“Jahrhundertfrauen” (2016)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Sieben Jahre sind bereits seit dem großartigen Film “Beginners” (2010) vergangen, bis der amerikanischen Regisseur Mike Mills seinen nächsten Film realisierte. Sein dritter Langfilm “Jahrhundertfrauen” (OT: “20th Century Women”, USA, 2016) kann auf voller Linie überzeugen und hätte den Oscar für das beste Originaldrehbuch, für den er nominiert war, vollends verdient.

Der 15-jährige Jamie (Lucas Jade Zumann) lebt im Jahr 1979 zusammen mit seiner Mutter Dorothea Fields (Annette Bening) im kalifornischen Santa Barbara. Kurz vor den 80er Jahren stehen dem Land Amerika viele Veränderungen bevor, so dass sich die bereits über 50-jährige Dorothea, die in die wirtschaftliche Depression hineingeboren wurde, nicht fähig fühlt, ihren Sohn allein zu erziehen. So versucht sie den Handwerker William (Billy Crudup) als Vaterfigur zu etablieren, was aber scheitert. Daher geht sie auf die anderen beiden Frauen in Jamies Leben zu und bittet um ihre Mithilfe. Die Mitzwanzigerin Abigail ‘Abbie’ Porter (Greta Gerwig) vermittelt ihm ihre Welt des Punk und des Feminismus. Die gleichaltrige Julie (Elle Fanning), für die Jamie mehr empfindet, zeigt ihm die Offenheit der neuen Welt. So wächst Jamie mit drei Frauenfiguren auf, die ihm die Ideale ihrer jeweiligen Epoche näher bringen.

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Der amerikanische Regisseur und Drehbuchschreiber Mike Mills (*1966) hat bereits in seinem zweiten Film – “Beginners” persönliche Geschichte verarbeitet, indem er von dem späten Coming-out seines eigenen Vaters erzählt, und machte daraus eine wunderschöne und auch schwermütige Komödie. Auch “Jahrhundertfrauen” fußt auf der eigenen Biographie. Es ist ein Portrait seiner Mutter, die sich Miles nie richtig erschließen konnte. So ist der Film nicht nur ein Liebesbrief, sondern auch eine Spurensuche und zugleich auch ein umfangreiches Portrait des damaligen Amerikas. Das Jahr 1979 war ein Jahr voller Umbrüche und Veränderungen. Es war das letzte Jahr von Jimmy Carters Präsidentschaft, die Islamische Revolution begann, Apple kam auf dem Markt und Kernkraftwerke wurden zum allgemeinen Thema. Für Mike Mills ist das ein Jahr des Abschieds und der Abkehr von der Unschuld, die zuvor herrschte.

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Die drei Frauenfiguren repräsentieren alle eine Ära der amerikanischen Geschichte. Die Mutter, welche herausragend von Annette Benning gespielt wird, stammt aus der Zeit der wirtschaftlichen Depression und kann dem Tempo der neuen Zeit nicht vollends folgen. Sie bewegt sich dabei zwischen klassischer Denkweise und Bohème. Sie ist dabei eine sympathische Person mit einem stimmigen Maß an Schwermut, was den Zuschauer tief berühren kann. Die Untermieterin Abbie steht für die Generation der Babyboomer, der Punkbewegung und des Feminismus. Sie gibt Jamie und so auch dem Zuschauer die passende Lektüre und führt in die modernen Theorien ein. Abbie mit ihrer Zerbrechlichkeit durch ihre Krankheit, ihrer Kunst und ihrer selbstbewussten Stärke ist nicht nur sympathisch, sondern zeigt den Aufbruch in die Moderne. Abbies Musik steht symbolisch für den Kampf, der in der Zeit ausgetragen wurde, um sich als Frau, Künstlerin und Individuum zu verwirklichen. Die dritte Frauenfigur ist die beste Freundin von Jamie. Julie ist ungefähr in seinem Alter, gehört der Generation X an, wie auch der Regisseur Mike Mills selbst, und genießt die Freiheiten, welche die Veränderungen der letzten Jahre mit sich gebracht haben. Mit einer Theraupthin als Mutter lebt sie aber nicht nur die fröhlichen Zeiten aus, sondern ist auch geprägt von Unsicherheit, was sie mit den Freiheiten vor allem in sexueller Hinsicht anfangen soll. Die drei Frauen in Mills Film sind dabei nie Stereotypen, sondern sind angefüllt mit Leben, Bedürfnissen und Widersprüchen. Das macht diese Konstellation so reizvoll und zieht den Zuschauer in ihren Bann. Zudem verknüpft er wunderbar Privates mit Politischen, laut eigener Aussage des Regisseurs ist dies sowieso nie trennbar. So schuf er im Gesamten ein Werk voller Poesie, Schönheit und Liebe, welches aber zugleich eine Geschichtsstunde und ein Trauerstück über die verlorene Zeit ist. Abgerundet wird das Ganze von dem stimmigen Ensemble, der wunderschönen Musik und den verträumten Bildern. So kann man nur hoffen, dass sein nächster Film nicht so lange auf sich warten lässt.

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Fazit: Der Spielfilm “Jahrhundertfrauen” ist zugleich persönliches wie historisches Kino. Mit vielen Sympathieträgern, dem richtigen Look und der perfekt ausgewählten Musik trifft es den Nerv der Zeit und saugt die Betrachter ein. Der Regisseur Mike Miles entführt die Kinogänger auf eine Reise, die geprägt ist von Veränderung, Schönheit und dem richtigen Maß an Melancholie. Die Zeit auf seinen neuen Film zu warten, hat sich gelohnt.

Bewertung: 9/10

Kinostart: 18. Mai 2017, DVD-Start: 29. September 2017

Der Trailer:

geschrieben von Doreen Matthei

Quelle: Pressematerial von Splendid Pictures

2 Gedanken zu ““Jahrhundertfrauen” (2016)

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