„Nachtwanderer“ (2018)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Auf dem DOK Leipzig lief der deutsche Dokumentarfilm „Nachtwanderer“ (Deutschland, 2018) von Benjamin Rost. Der Film überzeugte mit seinem Portrait des Transit-Ortes Raststätte, mit seinem gesellschaftlichen Querschnitt und intimen Einblicken.

Auf dem angepriesenen Erlebnisrasthof Geiselwind trifft man LKW-Fans, Spielsüchtige, Tramper, Cruiser und Survivalkünstler an. Auch arbeiten hier viele nur nachts, ob in der Tankstelle selbst oder im Pornokino nebenan. Der Filmemacher Benjamin Rost und sein Kameramann Leonhard Kaufmann strandeten dort für drei Monate und fügten sich in den nächtlichen Rhythmus ein.

Der Filmstudent Benjamin Rost war gerade auf den Weg zurück zu seiner Uni in Ludwigsburg, um seiner Crew mitzuteilen, dass das Filmprojekt über seine Eltern nicht realisiert werden kann. Dabei kam er an der Erlebnisraststätte Geiselwind vorbei und fragte sich, was wohl das Erlebnis dabei sei. Dahin kehrte er zusammen mit seinem Kameramann Leonhard Kaufmann und dem nötigen Equipment zurück und lebte fortan in einem Wohnwagen vor Ort. Dort lernten sie viele Menschen kennen, die es aus den unterschiedlichsten Gründen an diesen Ort verschlagen hatte. Sie wählten für ihren 60-minütigen Dokumentarfilm schlussendlich sechs Protagonisten – sechs Geschichten – aus. Wie nah sie denen kommen durften, entschieden die Protagonisten selbst. So ist der Zuschauer manchmal nur reiner Beobachter und dann wieder erlebt er intime Szenen mit oder wohnt der Unterhaltung von Regisseur und Protagonist bei. Die sechs Geschichten schaffen es, ein überzeugendes Panoptikum durch die Gesellschaft zu ziehen und zeigen, welche Faszination das Nachtleben (vor allem an so einem unwirklichen Ort) auf die unterschiedlichsten Menschen ausübt.

Aus dem 40 Stunden umfassenden Material wählten sie nur die nächtlichen Szenen und Interviews aus, welche einfach den Zauber, den dieser Ort auf die Menschen ausstrahlt, mehr betonen. Ihre Filmaufnahmen sind dabei ganz unterschiedlich: Von voyeuristischen Blicken aus dem eigenen Wohnwagenfenster bis hin zu Beobachtungen aus der Ferne, von den lichtdurchfluteten Aufnahmen der Raststätte selbst bis zu Nahaufnahmen ist alles vertreten und passt sich der jeweiligen Figur an. Hinzu kommt, dass sich das Filmteam selbst mit einbezieht und nicht unsichtbar bleibt und damit mehr das Gefühl von Spontanität und Authentizität vermittelt, so dass es manchmal sogar so wirkt, als ob die Filmschaffenden selbst überrascht sind von Vorgängen und Erzähltem. Trotz einiger fragwürdiger Aussagen vermeidet es der Film mit seiner recht neutralen Art, die Charaktere in Schubladen zu stecken und überlässt es dem Zuschauern Interpretationen und Wertungen vorzunehmen. All die Geschichten fangen Rost und sein kleines Team in stimmigen Bildern ein, welche einem das Gefühl vermitteln, wie es ist länger als andere wach zu sein, so dass man sich wünscht noch mehr nächtlich umherwandernde Menschen kennenzulernen.

Fazit: Benjamin Rosts Dokumentarfilm „Nachtwanderer“ entführt die Zuschauer in einen unwirtlichen Raum und zeigt anhand von sechs Geschichten, welche Menschen sich nachts auf einer Raststätte ein- oder zusammenfinden. Dabei vermittelt er nicht nur stimmig ein gutes Gefühl von nächtlichen Lebensarten, sondern zieht dabei einen gelungenen Gesellschaftsquerschnitt, den er mit einer guten Mischung aus Beobachtungen und Interviews eingefangen hat. So gibt „Nachtwanderer“ nicht nur der Raststätte, wo man selten länger verweilt, sondern auch den Menschen, die nachts arbeiten oder aus anderen Gründen unterwegs sind, ein Gesicht.

Bewertung: 7,5/10

Trailer zum Film „Nachtwanderer“

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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