„Guaicurus Street“ (2019)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Wie schafft man es, ein authentisches Bild eines Rotlichtviertels zu schaffen, bei dem man auch hinter die Kulissen schauen darf. Der brasilianische Regisseur João Borges findet mit seinem Dokumentarfilm „Guaicurus Street“ (OT: „Rua Guaicurus“, Brasilien, 2019), der auf dem 62. DOK Leipzig seine Weltpremiere feierte, eine elegante Lösung. Der Einsatz von Schauspielern macht es möglich und so verschwimmen bei diesem Film die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion.

Der Alltag in einem der Laufhäuser im Rotlichtviertel von Belo Horizonte besteht aus dem Anbieten an geöffneten Türen oder Fenster, dem Warten auf neue Kunden und dem Liebesakt selbst. In den Zimmern richten sich die Prostituierten so gut es geht ein und bereiten sich auf die verschiedenen Kunden und deren Bedürfnisse vor.

Der brasilianische Filmemacher João Borges (*1978), der in Belo Horizonte geboren wurde und dort lebt, wollte mehr über das sehr aktive und gut besuchte Rotlichtviertel seiner Stadt wissen. Er durfte vor Ort in einem der Laufhäuser drehen und tauchte dabei in die Lebenswelt der Prostituierten ab, verbrachte mit ihnen Zeit, filmte sie in ihren Pausen und interviewte sie. Doch um das ganze Geschehen zu dokumentieren, bedurfte es eines Kniffs. Zum einen setzte er eine Schauspielerin ein, die als Küken neu dazukommt. In dieser erdachten Figur steckt die Essenz seiner Recherchen und so macht er deutlich, wie schwer es ist, dort zu landen. Zum anderen zeigt er aber auch die langjährigen Prostituierten in ihrer Professionalität, die sie sich über die Jahre antrainiert haben. Um auch den Kundenkontakt real einzufangen, setzte Borges ebenfalls einen Schauspieler als Freier ein und kann so den realen Geschichten ein Gesicht geben und die Schilderungen lebendig machen. Diese künstlerische Freiheit stößt zuweilen (wie auch bei dem Film „Marina“ von Julia Roesler im letzten Jahr) auf Kritik, ist aber in keiner Weise verschleiert oder als Betrug gedacht, sondern als reine Ergänzung, so dass man es nicht nur durch Interviews erzählen muss. Die Schauspieler sind dabei realitätsnah und fügen sich gut in die Szenerie ein. Abgerundet wird der Film von den ruhigen Einstellungen, die den Protagonisten Raum zum Atmen geben, und einer visuellen Ausgestaltung, die mit starken Farben arbeitet. Natürlich ist die Farbe Rot hier überall präsent. Im Gesamten schuf Borges einen mutigen Film, der die Zuschauer in eine Welt abtauchen lässt, zu der man so keinen Kontakt hat. Er zeigt das Menschliche hinter der Industrie und schuf damit eine nicht offensiv anklagende, aber ehrliche und keine einseitige Darstellung, sondern betrachtet es mit offenen Augen und bezieht den Zuschauer dazu ein. 

Fazit: Der brasilianische Regisseur João Borges entführt den Zuschauer in das Rotlichtviertel von Belo Horizonte. Er zeigt das Leben als Prostituierte und kann dank eines Kniffs über das bloße Interviewen hinaus gehen. Das baut eine intensive Spannung auf und macht die Situationen der Prostituierten greifbarer. Der Zuschauer wird dazu eingeladen, sich seine eigene Meinung zu bilden und seinen Blick zu erweitern. 

Bewertung: 7/10

Trailer zum Kurzfilm „Guaicurus Street“:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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