Sieben Fragen an Omer Sterenberg

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit dem israelischen Filmemacher Omer Sterenberg konnten wir mehr über seinen Kurzfilm „Listening In“ (OT: „HaMa’azin“) erfahren, der seine Weltpremiere bei den ‘Berlinale Shorts’ der Berlinale 2020 hatte und auch für den Teddy Award nominiert war. Er erzählt dabei mehr über die Entstehung, visuelle Umsetzung und wie sehr die Themen Homosexualität und Militärdienst in Israel miteinander verbunden sind.

The original english language interview is also available.

Wie entstand die Idee zu Deinem Film „HaMa’azin“?

Eitan Gimelman

Ich kam auf die Idee, nachdem ich auf einen Brief gestoßen bin, der von einigen Soldaten geschrieben wurde, die sich weigerten, ihren Militärdienst fortzusetzen, weil sie das als Verbrechen gegen das palästinensische Volk ansahen. Eines der Dinge, die sie erwähnt haben, war die Nutzung privater Informationen, insbesondere der sexuellen Orientierung, zu Sicherheitszwecken. Ich sprach mit einem palästinensischen Freund von mir, und er erzählte mir, dass dies in der palästinensischen LGBTQ-Gemeinde immer ein Gerücht war und dass er immer mit der Angst leben musste, jemand könnte ihn erpressen. Während dieses Gesprächs wurde mir klar, dass ich dieses Thema mit Hilfe des Kinos behandeln möchte, da ich auf beiden Seiten der Barrikade war – einerseits bin ich ein Israeli, der in der Armee gedient hat und Teil der israelischen Gesellschaft ist, und andererseits bin ich schwul und habe ein starkes Engagement für LGBTQ auf der ganzen Welt, unabhängig von meiner Nationalität.

Kannst Du mir zum Hintergrund erzählen – wie passen die Themen Homosexualität und Armee-Dienst zusammen?

Diese Verbindung ist für israelische Filmemacher fast zu einem Klischee geworden. Der ikonischste schwule Film in Israel, „Yossi & Jagger“ (2002), zeigt eine Affäre zwischen einem Offizier und einem Soldaten in einer Kampfeinheit. Diese maskuline Umgebung und die Tatsache, dass der Militärdienst sogar für LGBTQ-Personen obligatorisch ist, sind der perfekte Schauplatz für eine LGBTQ-Handlung. Dennoch übersehen viele der Armeefilme in Israel, insbesondere diejenigen mit einer schwulen Erzählung, die palästinensische Seite und konzentrieren sich auf die militärische Erfahrung selbst.

Eitan Gimelman

Ein weiterer Aspekt dieser Verbindung ist die Tatsache, dass der Militärdienst fast wie eine Eintrittskarte in die israelische Gesellschaft ist. Eines der ersten Pro-LGBTQ-Gesetze in Israel hat mit dem Verbot der Diskriminierung von LGBTQ-Personen im Militärdienst zu tun. Unter diesem Gesichtspunkt wird das Desertieren oder die Weigerung, Befehle aufgrund der eigenen individuellen Ideologie zu befolgen, fast als Verrat angesehen. Das macht den Konflikt des Protagonisten des Films noch tiefer, da er gezwungen ist, seine Identität zu wählen – ist er ein israelischer Soldat oder ein schwuler Mensch?

Die Darstellung des Alltags wirkt sehr authentisch. Spielen eigene Erfahrungen mit rein? Wie realistisch sollte Deine Geschichte sein?

Mein künstlerischer Leiter, DP und ich recherchierten, um den Alltag dieser Einheit herauszufinden, behielten aber die künstlerische Freiheit, diesen Alltag auf eine filmische Art und Weise darzustellen, die diese Geschichte effektiver macht. Als Shiri Kuban, die DP, und ich den realistischen Aspekt diskutierten, kamen wir zu dem Schluss, dass wir eine realistische Umgebung und Kulisse schaffen und diese auf nicht realistische Weise filmen wollen, um den Standpunkt unseres Protagonisten auszudrücken. Ich kann nicht wirklich sagen, wie realistisch der Film ist, da mein Armeedienst ganz anders war als der beschriebene, aber der Konflikt und die innere Erfahrung sind realistisch und basieren auf meinen eigenen Erfahrungen.

Was war Dir visuell noch wichtig?

Eitan Gimelman

Wir versuchten, ein ausdrucksstarkes Motiv zu schaffen, das hauptsächlich auf statischen Nahaufnahmen basiert. Wir verwendeten Kamerabewegungen und lange Einstellungen, um die inneren Gedanken und Gefühle des Protagonisten zu beschreiben. Wir wollten dem Protagonisten aus zwei Gründen nahe sein: erstens, um sein Gesicht dem Publikum vertraut zu machen und Intimität zu schaffen, und zweitens, um ihn von seiner Umgebung zu entfremden. Wir haben uns auch für einen dunklen, fast geheimnisvollen Schauplatz entschieden, um die Geschichte dramatischer zu gestalten.

Erzähl mir mehr über die Besetzung. Wie hast Du den großen Schauspieler Eitan Gimelman gefunden?

Das erste, worüber der Casting Director und ich gesprochen hatten, war, dass wir einen Schauspieler mit einem ausdrucksstarken Gesicht finden müssen, der eine Geschichte nur mit seinen Augen erzählen kann. Wir haben nach verschiedenen Schauspielern gesucht (vor allem über soziale Netzwerke), die das Drehbuch mit ihren eigenen Qualitäten und ihrer eigenen Persönlichkeit aufladen können. In der Sekunde, in der wir Eitan persönlich kennen gelernt haben, wussten wir sofort, dass er die Ausstrahlung und das Gesicht hat, die diese Geschichte zum Leben erwecken können. Er hatte einfach diese perfekte Mischung aus Unschuld und Leidenschaft.

Kannst Du mir zum Schluss mehr von Dir erzählen – wie bist Du zum Film gekommen?

Eitan Gimelman

Ich bin Filmstudent bei Sam Spiegel, und dieser Film wurde in einem Kurs von Nadav Lapid geschrieben und entwickelt. Es ist mein erster Film, daher habe ich nicht viel über meine Biografie zu erzählen. Ich habe Filme immer gemocht und hatte einen besonderen Platz in meinem Herzen für Filme, die versuchen, die klassischen Arten des Geschichtenerzählens und Filmemachens herauszufordern. Meine Mutter ist eine große Kunstliebhaberin, und als ich aufwuchs, hat sie mich mit vielen Filmen konfrontiert. Ich nehme an, sie sind einfach ein Teil von mir.

Hast Du bereits neue Projekte in Planung?

Ich habe gerade mit der Arbeit an meinem Abschlussprojekt begonnen, das sich mit denselben Fragen der homosexuellen Identität in einer männlichen, gewalttätigen heteronormativen Welt befasst, aber aus den Augen eines Jugendlichen, der sich über seinen bevorstehenden Militärdienst Gedanken macht.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Listening In“


Interview: In conversation with the Israeli filmmaker Omer Sterenberg we could learn more about his short film “Listening In” (OT: “HaMa’azin”), which had its world premiere at the ‘Berlinale Shorts‘ of the Berlinale 2020 and was also nominated for the Teddy Award. He tells us more about the origin, visual realization and how the topics homosexuality and military service are connected to each other in Israel.

How did the idea for your film “HaMa’azin” come about?

I came up with the idea after I came across a letter written by a few soldiers who refused to keep doing their army service due to what they saw as crimes against the Palestinian people. One of the things they’ve mentioned was the use of private information, specifically sexual orientation, for security purposes. I talked to a Palestinian friend of mine, and he told me it has always been a rumor in the Palestinian LGBTQ community, and he always had to live with the fear someone would blackmail him. During this conversation I realized I want to deal with this subject through cinema, as I was on both sides of the barricade – on the one hand I’m an Israeli who served in the army, and a part of the Israeli society, and on the other hand I am gay and have a commitment to LGBTQ all over the world, regardless of nationality.

Can you tell me about the context – how do the topics homosexuality and army service fit together?

This connection has become almost a cliché for Israeli filmmakers. The most Iconic gay film in Israel, Yossi & Jagger, portrays an affair between an officer and a soldier in a combat unit. This masculine environment and the fact that the army service is obligatory even for LGBTQ, are the perfect setting for an LGBTQ storyline, Yet a lot of the army films in Israel, especially the ones with a gay narrative, overlook the Palestinian side and focus the military experience itself.

Another aspect of this connection is the fact that army service is almost like an entrance ticket to the mainstream Israeli society. One of the first pro LGBTQ law in Israel has to do with prohibition of discrimination against LGBTQ in army service. From this point of view, deserting or refusing to follow orders because of your own individual ideology is considered almost as betrayal. That makes the conflict of the protagonist of the film even deeper, as he is forced to choose his identity – is he an Israeli soldier or a gay human being.

The depiction of everyday life seems very authentic. Do your own experiences play a role? How realistic was your story supposed to be?

My art director, DP and I made a research in order to figure out the everyday routine of this unit but, kept the artistic freedom to portray this everyday life in a cinematic way that will make this story more effective. As Shiri Kuban, the DP, and I were discussing the realistic aspect, we figured out we want to create a realistic environment and setting, and film it in a non-realistic way, expressing the point of view of our protagonist. I can’t really tell how realistic the film is, since my army service was very different from the one described, yet the conflict and the inner experience is realistic and is based on my own experiences.

What else was important to you visually?

We tried to create an expressive visual, based mostly on static close ups. We used camera movements and long shots to describe the protagonist’s inner thoughts and feelings. We wanted to be close to the protagonist for two reasons: first, to familiarize his face to the audience and create intimacy, and second to alienate him from his surroundings. We’ve also decided on a dark, almost mysterious setting, in order to make the story more dramatic.

Tell me about the casting. How did you find your great actor Eitan Gimelman?

The first thing the casting director and I were talking about is that we needed to find an actor with an expressive face, that can tell a story only with his eyes. We’ve looked for different actors, mainly through social networks, that can charge the script with their own qualities and personality. The second we’ve met Eitan in person, we immediately knew he has the vibe and the face that can bring this story to life. He just had this perfect mixture between innocence and passion.

Can you tell me more about yourself at the end – how did you get into film?

I’m a film student in Sam Spiegel, and this film was written and developed in a course by Nadav Lapid. It is my first film, so I don’t have a lot of biography to share. I have always liked films and had a special place in my heart for films that try to challenge the classic ways of storytelling and filmmaking. My mom is a big art lover and she exposed me to many films as I grew up. I’m assuming it’s just part of who I am.

Are new projects already in the pipeline?

I’ve just started work on my final project, which deals with the same issues of homosexual identity in a masculine, violent heteronormative world, but from the eyes of an adolescent who’s making his mind regarding his upcoming military service.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm „HaMa’azin“

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