Sieben Fragen an Seunghee Kim

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der Filmemacherin und Animationskünstlerin Seunghee Kim konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Tiger and Ox“, der auf dem 63. DOK Leipzig seine Deutschlandpremiere feierte, erfahren, wie sie sich mit dem Thema der Stigmatisierung alleinerziehender Mütter in ihrem Land beschäftigte und warum sie sich dafür entschied den Film mit der linken Hand zu zeichnen.

The original english language interview is also available.

Du erzählst in Deinem Kurzfilm eine sehr persönliche Geschichte. Kannst Du mir mehr dazu erzählen, warum Du Dich entschieden hast, einen Film über Dich und Deine Mutter zu machen.

Ich habe vor „Tiger and Ox“ zwei animierte Kurzfilme gemacht. Die Titel sind „Mirror in Mind“ und „SimSim (The Realm of Deepest Knowing)“. Ich habe die beiden Kurzfilme geschaffen, um meine emotionalen Wunden zu heilen und um meine Seele zu erforschen. Im gleichen Sinne schuf ich „Tiger and Ox“, um aus dem Schatten der Vergangenheit hervorzutreten und vorwärts zu kommen. Jeder braucht an einem bestimmten Punkt in seinem Leben einen Schlussstrich. Ein Kapitel abzuschließen, weiterzugehen und ein neues Kapitel im Leben zu beginnen. Ich dachte, dass ich und meine Mutter einen Abschluss finden könnten, indem wir „Tiger and Ox“ machen, und zum Glück haben wir das getan. 

Nicht nur das, sondern ich wollte schon immer Kunst schaffen, die mit der Beziehung zwischen meiner Mutter und mir und alleinerziehenden Müttern zu tun hat, seit ich in meinen 20ern auf eine Kunsthochschule kam. Ich wurde jedoch emotional und vergrub mich in der Materie. Ich glaube, damals war ich zu jung, um mich rational zu verhalten und im Kontext der koreanischen Gesellschaft darüber zu sprechen. Wie auch immer, die Zeit ist vergangen. Ich habe zwei Kurzfilme gemacht. Ich glaube, ich bin erwachsener geworden als früher, um mit der Kontrolle meiner Emotionen über meine Familie im Film zu sprechen. Aber ironischerweise ist die Gesellschaft im Laufe der Zeit nicht so sehr gereift, um alleinerziehende Mütter zu akzeptieren.

So ist die Situation in Südkorea weiterhin schwierig für alleinerziehende Mütter?

Ja, leider – das ist es definitiv. Erinnerst du dich an die Frage, die ich am Ende des Films gestellt habe? Die Frage lautet: „Wenn ich ein Kind allein aufziehe, könnte ich von ihm verlangen, dass es anderen angstfrei erzählt, dass es nur mit seiner Mutter und ohne seinen Vater lebt?“ Ich kann mir vor meinem inneren Auge die harten Situationen vorstellen, denen ich und meine Kinder ausgesetzt wären, angenommen, ich wäre eine alleinerziehende Mutter. 35 Jahre sind vergangen, seit meine Mutter mich zur Welt gebracht hat, und die Gesellschaft hat sich nicht wesentlich verändert. Sicherlich ändert sie sich langsam, aber es ist schwer zu sagen, dass es keine Schwierigkeiten und Vorurteile gegenüber alleinstehenden Müttern mehr gibt.

Das ist nicht nur ein Problem der koreanischen Gesellschaft. So viele alleinerziehende Mütter in der Welt, einschließlich Europa und den Staaten, sind immer noch mit Armut, sozialer Ausgrenzung, Stigmata usw. konfrontiert. Ich kann Ihnen hier keine Dissertation zu diesem Thema geben, aber Sie können zumindest diese Stichwörter googeln: alleinerziehende Mutter, Stigma, Armut, Diskriminierung, soziale Ausgrenzung, usw. Anhand der Suchergebnisse können Sie sich anschauen, womit sie im täglichen Leben konfrontiert sind.

Was ich oft von den Zuschauern bei „Tiger and Ox“ gehört habe, ist, dass sie sich nicht bewusst waren, womit alleinerziehende Mütter in der Gesellschaft konfrontiert sind, bis sie meinen Film gesehen haben. Das ist verständlich. Grundsätzlich ist es den Leuten wahrscheinlich nicht bewusst, wenn sie es nicht erleben. Wir können jedoch nicht sagen, dass es keine gesellschaftliche Diskriminierung und Schwierigkeiten für alleinerziehende Mütter gibt, nur weil die Leute es nicht wissen. Ich hoffe, dass „Tiger and Ox“ das Bewusstsein für die Kämpfe von alleinerziehenden Müttern schärfen konnte.

Warum wählst Du als Personifikationen den Tiger und den Ochsen?

Früher habe ich mit meiner Mutter oft über das Schicksal gesprochen und gefragt, warum das Leben so schwer für uns ist. Dann drehte sich unser Gespräch um die asiatischen Tierkreiszeichen. Tiger und Ochse kamen ganz natürlich im Kontext des Gesprächs heraus. Wir glauben durchaus an die Astrologie. 

Du hast Dich für schwarz-weiße Zeichnungen auf braunem Papier entschieden. Erzähl mir zu diesen visuellen Entscheidungen?

Zunächst einmal geht es bei „Tiger and Ox“ um meine Wurzeln. Da ich über meine Wurzeln spreche, wollte ich die Visualisierung nicht stilvoll oder poliert gestalten. Um eine interessante Tatsache hinzuzufügen: Ich habe die Zeichnungen mit der linken Hand gezeichnet, und ja, ich bin Rechtshänderin. Ich glaubte, wenn ich mit der rechten Hand zeichnete, würde ich die Zeichnungen unbewusst sehr poliert gestalten. Ich wollte das verhindern und rohe und unordentliche Linien zeichnen. Im gleichen Sinne wollte ich visuell zu den Grundlagen zurückkehren. Die Bleistiftzeichnung ist die beste grundlegende Technik, also glaubte ich, dass die Bleistiftzeichnung das geeignetste Medium wäre, um über meine Wurzeln zu sprechen.

Was das braune Papier betrifft, so habe ich sie mit Kaffee eingefärbt. Um die Farbintensität der braunen Farbe zu erreichen, musste ich das Papier immer wieder einfärben. Das erfordert körperliche Aktivität, wodurch der Prozess für mich wie ein Ritual oder eine Therapie war. Haben Sie schon von den 108 Niederwerfungen im Buddhismus gehört? Manchmal machen Menschen mehr als 108 Mal. Es ist eine meditative Praxis zur Selbstreflexion und Reue. Das Papier immer wieder mit Kaffee zu beträufeln, hatte einen ganz ähnlichen Effekt auf mich.

Hat Deine Mutter schon den Film gesehen? Wie hat sie gefunden?

Ja, sie hat ihn gesehen. Wenn ich einen Film mache, zeige ich ihn immer zuerst meiner Mutter. Normalerweise sind ihre Kommentare zu meinen Filmen ganz ähnlich wie die allgemeine Reaktion des Publikums. Das ist der Grund. Ich habe ihn ihr zuerst gezeigt, und sie sagte nur „gute Arbeit“. Ja, nur das. Ich dachte, der Film würde sie dieses Mal nicht überzeugen, aber vielleicht wurde sie beim Anschauen von „Tiger and Ox“ emotional und versuchte, das vor mir zu verbergen. Wir waren letztes Jahr auf einem Filmfestival in Korea, und sie erzählte mir, dass sie die Tränen zurückhielt, während sie den Film sah.

Sich selbst mit seiner Familie auf diese Weise auseinanderzusetzen hat Dich das selber verändert? Siehst Du Dinge jetzt anders?

Der Unterschied in mir selbst ist: Ich fühle mich viel wohler, wenn ich an die Vergangenheit denke, und ich habe mich dafür begeistert, ein besseres Verständnis für die Probleme und die soziale Ausgrenzung zu haben, mit denen alleinerziehende Mütter konfrontiert sind, und wie die Ehe Frauen beeinflusst.

Kannst Du am Schluss noch mehr von Dir erzählen und welche nachfolgende Projekte vielleicht schon geplant sind?

Ich habe hauptsächlich animierte Kurzfilme gemacht und mit anderen Dokumentarfilmern für ihre Spielfilme zusammengearbeitet. In diesen Tagen habe ich darüber nachgedacht, wie ich mehr als das, was ich erzählen möchte, durch Film verbreiten kann. Ich denke schon seit einigen Jahren darüber nach und habe es während der Pandemie beschleunigt. Außerdem hoffe ich, den Horizont zu erweitern; Serien oder Spielfilme zu machen. Aber vorher muss ich den „Tiger and Ox“-Festivallauf abschließen und eine Pause einlegen. Dann werde ich das nächste Projekt in Angriff nehmen können. 

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Tiger and Ox


Interview: In our conversation with filmmaker and animation artist Seunghee Kim, we were able to learn more about her short film “Tiger and Ox“, which celebrated its German premiere at the 63rd DOK Leipzig, how she dealt with the issue of stigmatization of single mothers in her country and why she chose to draw the film with her left hand.You tell a very personal story in your short film. Can you tell me more about why you decided to make a film about you and your mother.

I have made two animated shorts before “Tiger and Ox“. The titles are “Mirror in Mind” and “SimSim (The Realm of Deepest Knowing)”. I created the two shorts to heal my emotional wounds and for soul-searching. In the same sense, I created “Tiger and Ox” to get out of the shadow of the past and move forward. Everybody needs closure at some point in their life. Closing a chapter, moving on and starting a new chapter in life. I thought I and my mother could have a closure through making “Tiger and Ox“, and thankfully we did. 

Not only that, but I also had always wanted to create art related to the relationship between my mother and me and single-mother families since I got into an art school in my 20s. However, I got emotional and buried myself in the matter. I think, at that time, I was too young to keep myself rational and talk about it in the context of Korean society. Anyway, time has passed. I created two shorts. I guess I have grown up more than in the past to talk about my family on film with the control of my emotions. However, ironically, the society has not matured as much as time has passed to accept single mothers.

Is the situation in South Korea still difficult for single mothers?

Yes, unfortunately – definitely it is. Do you remember the question that I threw at the end of the film? The question is that “If I raise a child alone, could I ask them to tell others that they are living with only their mother, without their father fearlessly?” I can picture the harsh situations that I and my kids would face in my mind, supposing I was a single mother. 35years have passed since my mother gave birth to me, and society has not changed significantly. Surely slowly it is changing, but it is hard to say that there are no more difficulties and prejudice toward single mothers.

If you don’t mind, I would like to add one more. it is not the problem only for Korean society. Still so many single mothers in the world including Europe and the states face poverty, social exclusion, stigmas, etc. I can’t give you a thesis on the matter here, but at least you can goole these keywords; single mother, stigma, poverty, discrimination, social exclusion, etc. You will take a look at what they are confronting in daily life through the search results.

What I heard often from the audience on “Tiger and Ox” is that they have been unaware of what single mothers face in the society until they watch my film. It is understandable.  Basically people are likely to be unaware If they don’t experience it. However, we can’t say that there are no social discrimination and difficulties for single mother family because people don’t know. I hope “Tiger and Ox” could rise the awareness of the struggles of single mother families.

Why did you choose the tiger and the ox as personifications?

I used to talk about fate with my mother often, asking why life is so tough on us. Then our conversation turned to Asian Zodiac signs. Tiger and Ox came out naturally in the context of the conversation. We quite believe the astrology. 

You chose black and white drawings on brown paper. Tell me about these visual choices.

First of all, “Tiger and Ox” is about my roots. Speaking about my roots, I didn’t want to make the visualization stylish or polished. To add one interesting fact, I drew the drawings with my left hand, and yes, I am right-handed. I believed if I drew with the right hand, I would consciously polish the drawings. I wanted to prevent that from happening and draw raw and untidy lines. In the same sense, I wanted to go back to basics visually. Pencil drawing is the best basic technique, so I believed pencil drawing would be the most suitable medium to talk about my roots.

Regarding the brown papers, I dyed the papers with coffee. To make the color intensity of the brown color, I had to dye the paper over and over again. it requires physical activity, which made the process like a ritual or therapy to me. Have you heard of 108 prostrations in Buddhism? Sometimes people do more than 108 times. It is a meditative practice for self-reflection and repentance. Dying the paper with coffee over and over again had the very similar effect on me.

Has your mother seen the film? How did she respond to it?

Yes, she has seen it. Whenever I make a film, I always show it to my mother first. Usually her comments on my films are quite similar to the audience’s general response. That’s why. I showed her first, and she just said “good job”. Yes, only that. I thought the film would be not compelling to her this time, but she might have gotten emotional watching “Tiger and Ox” and tried to hide it from me. We visited a film festival in Korea last year, and she told me that she was holding back the tears while watching it.

Did dealing with your family in this way change you? Do you see things differently now?

The difference in myself is…… I feel way more comfortable thinking of the past, and I I got enthusiastic to have a better understanding of the problems and social exclusion that single mothers face and how marriage affects women.

Can you tell us more about yourself at the end and what subsequent projects might already be planned?

I have made animated shorts primarily and collaborated with other documentary filmmakers for their feature films. These days, I have been thinking of how to distribute more than what I want to talk through film. It has been several years thinking of it and accelerated during the pandemic. Also, I hope to expand the horizon; making series or feature films. But before that I will have to wrap up the “Tiger and Ox” film festival circuit and take a break. Then I will be able to kick off the next project. 

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm „Tiger and Ox

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