„The Quiet Girl“ (2023)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Einer der Oscarkandidaten in diesem Jahr für den ‚Besten internationalen Film‘ war der irische Spielfilm „The Quiet Girl“ (OT: „An Cailín Ciúin“, Irland, 2023) des Regisseurs Colm Bairéad, der hiermit sein Debüt feiert. Das ruhige Drama ist nicht nur etwas Besonderes, da es in gällischer Sprache gedreht wurde, sondern erreicht das Publikum insbesondere auch mit seiner zarten Erzählung.

Die neunjährige Cáit (Catherine Clinch) wächst im Jahr 1981 zusammen mit drei Schwestern in ärmlichen Verhältnissen auf. Als die Geburt des fünften Kindes bevorsteht, beschließen die Eltern (Michael Patric und Kate Nic Chonaonaigh), dass Cáit, die immer schon auch von den anderen ausgegrenzt wird, den Sommer bei Verwandten weit weg verbringen soll. Eibhlín (Carrie Crowley) und Seán (Andrew Bennett) nehmen sie auf und plötzlich erlebt das sehr vorsichtige Mädchen Dinge, die sie bisher nicht kannte, wie einen Umgang auf Augenhöhe, Einfühlungsvermögen und Liebe.

Catherine Clinch und Carrie Crowley

Der 95-minütige Spielfilm des irischen Filmemachers Colm Bairéad, der zusammen mit Claire Keegan auch das Drehbuch geschrieben hat, ist das einfühlsame Portrait eines Kindes, die zum ersten Mal erfährt, was bedingungslose Liebe ist. Dafür baut sich die Geschichte langsam auf. Wir sehen den Alltag des neunjährigen Mädchens, das versucht, Anschluss oder ein bisschen Nähe zu finden. Die harte, kalte Umgebung – auch die familiäre – scheint kein Mitgefühl zu haben. Es braucht nur wenige Szenen, um herauszufinden, wie es sich für sie anfühlt. Dann beginnt der Sommer in einer neuen Umgebung. Das Publikum macht mit Cáit die ersten Schritte, ist verwundert und irritiert, dass ein Miteinander auch anders aussehen kann. Cáit wird dabei immer mehr sie selbst und freier. Ihre Entwicklung berührt die Zuschauer:innen dabei, ohne dass es irgendwelcher Sentimentalität oder Rührseligkeiten bedarf. Wie auf Zehenspitzen schreitet die Geschichte voran, wir erfahren mehr von der Tragik, welche das Pärchen erlitten hat, und erleben das wärmende Gefühl von Liebe. Als das Ende des Sommers naht, wird Cáit und damit auch allen Zuschauer:innen bang, wie es denn nun weitergehen soll. Nur so viel sei gesagt: Bairéad findet einen Schluss, der kein Auge trocken lässt. 

Carrie Crowley, Catherine Clinch und Andrew Bennett

Dass der Film so gut funktioniert, verdankt er natürlich auch dem fantastischen Cast und dem wohl dosierten Zeitkolorit der 80er Jahre in Irland. Dabei ist er weit entfernt von klischeehaften Aufnahmen der Landschaften, sondern zeigt dieses in verschiedenen Ausprägungen, u.a. auch als ein landwirtschaftlich geführtes, auch mal graues Land. Irland wirkt anfänglich genauso kalt und unwirtlich wie die Gefühle, die dem Mädchen entgegenschlagen. Mit dem Ortswechsel kommen Stück für Stück Farben hinzu, so kann man an der Umgebung ablesen, wie es auch im Herzen von Cáit aussieht. Dass dies auch so gut möglich ist, liegt daran, dass Bairéad einen fantastischen Cast zusammengestellt hat. Allen voran die jetzt 14-jährige Schauspielerin Catherine Clinch, die mit wenigen Blicken und vorsichtigen Bewegungen die Gefühle des scheuen Mädchens perfekt verkörpert und einfängt, wie sie mit der neuen Liebe immer mehr erblüht. Der Film erzählt seine Geschichte konsequent aus ihrer Sicht, trotzdem gibt es auch für die erwachsenen Figuren genug Raum zum Atmen. Diese werden ebenso einfühlsam wie überzeugend von Darsteller:innen wie Carrie Crowley („Vikings“ (2013-2014)) und Andrew Bennett („This is my father“ (1998)) eingefangen. Rundherum ist der Film vermutlich der warmherzigste und berührendste Film des Jahres 2023 und hätte es mehr als verdient, dafür mit einem Oscar bedacht zu werden (gewonnen hat der deutsche Beitrag „Im Westen nichts Neues“ von Edward Berger). 

Catherine Clinch

Fazit: „The Quiet Girl“ ist der Debüt-Spielfilm von Colm Bairéad. Der in Gällisch realisierte Film erzählt eine leise, einfühlsame Familiengeschichte, nutzt die irische Schroffheit genauso wie eine konsequente Perspektive aus der Sicht des Kindes. Hervorragend inszeniert und besetzt, berührt der Film das Publikum zutiefst und ist wohl einer der stärksten Filme dieses Kinojahres.

Bewertung: 9/10

Kinostart: 16. November 2023

Trailer zum Film „The Quiet Girl“:

geschrieben von Doreen Kaltenecker

Quellen:

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