Zehn Fragen an Othmar Schmiderer

Doreen Kaltenecker
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© Jörg Burger

Interview: Im Interview erzählt uns der Regisseur Othmar Schmiderer, warum er das Dokumentarfilm-Kino bevorzugt, was hinter seinem Film „Die Tage wie das Jahr“ steckt und wie es war über ein Jahr dem Leben auf einem Bio-Bauernhof beizuwohnen.  

Ihr Film „Die Tage wie das Jahr“ fiel mit seinem untypischen Konzept, indem im Film auf Kommentare und Interviews verzichtet wurde, auf dem DOK Leipzig auf. Können Sie nochmal genauer erklären, warum sie diesen Ansatz gewählt haben?

Ich nehme im gegenwärtigen Produktions- und Vertriebsgeschehen eine starke Tendenz zur Info-Doku wahr und bedauere, dass ein cineastisches Dokumentarfilm-Kino zunehmend eine seltene Spezies mit sehr eingeschränkten Präsentationsplattformen wird. Wir wollten formal einen Kontrapunkt setzen. Es motivierte uns, auf eine Filmsprache zu vertrauen, die auf Kommentare, Interviews und Erklärungen verzichtet. Ich denke, es passiert im Publikum etwas anderes, wenn man mehr Raum zur Betrachtung, zum Sehen, zur eigenen Assoziation und Interpretation lässt. Meiner Ansicht nach gibt es derzeit zu viele Filme, die einem die Welt erklären! Ich möchte die Gelegenheit nutzen, über das Sehen und das Sich-Einlassen eine andere Wahrnehmung herzustellen und auch ein anderes Rezipieren zu ermöglichen. In gewissem Sinne einen Kontrapunkt zu einer vordergründigen Fernsehästhetik setzen. Impulsgebend waren dafür auch die wunderbaren Essays über das Sehen von John Berger.

Wie sind sie auf die Neuwirths aufmerksam geworden und haben dann das Konzept für den Dokumentarfilm entwickelt?

© Othmar Schmiderer

Wir sind über unseren Freund, den Autor Bodo Hell auf sie gestoßen, haben sie besucht und waren von diesem Mikrokosmos fasziniert. Die Einfachheit der Produktionsmittel, die Ernsthaftigkeit, mit der die beiden ihre Arbeit verrichten hat uns beeindruckt. Es war dann ein längerer Prozess, die beiden zu überzeugen und für dieses Filmprojekt zu gewinnen. Sie waren anfangs eher skeptisch, haben dann aber zugestimmt und es entstand eine relativ lange Zusammenarbeit und letztlich auch Freundschaft. Sowohl das Thema als auch unser Zugang haben einen großzügigen Umgang mit Zeit verlangt. Diesem Thema filmisch gerecht zu werden verlangte, einen gesamten Jahreszyklus darzustellen. Für mich war von Beginn an klar, dass ich die Arbeitsabläufe unserer Protagonisten ein Jahr lang beobachte und über die Jahreszeiten hinweg mitgehe, um auch die Faktoren Zeit und Raum entsprechend zu erfassen. Die Jahresstruktur hat mit Rhythmus zu tun. Will man sich mit dieser Form der Landwirtschaft aus nächster Nähe auseinandersetzen, dann muss man sie in ihrer rhythmischen Struktur begreifen. Der Film beginnt mit der Geburt der Tiere im Winter und am Ende kehren wir wieder zum Winter zurück. Formal filmisch hat uns das Prinzip der Wiederholung fasziniert:  Es muss täglich gemolken, alle zwei Tage gekäst werden usw. Alle Handgriffe sind Teil von sich wiederholenden Tätigkeiten. Das Prinzip der Wiederholung verlangte differenzierte Perspektiven, die gefunden werden mussten. Wie wählt man die richtige Cadrage? Wie rhythmisiert man die Abläufe? Das waren die Fragen, mit denen wir uns bei der Konzepterstellung, beim Dreh und speziell in der Montage beschäftigt haben.

Wunderbar ist es, dass der Film auch gar keine Interviews oder einen Off-Kommentar benötigt, um seinen Standpunkt klar zu machen. Der Film ist ein intimes Plädoyer für die Abwendung von der heutigen Agrarindustrie und zeigt wie das Leben eines wahren Biohofs auszusehen hat. Gab es noch weitere Aussagen, welche Ihnen am Herzen lagen?

© Othmar Schmiderer

Es war uns von Beginn an wichtig, niemals in eine falsche Idylle oder in ein Aussteiger-Epos abzugleiten. Es gilt zu zeigen, wie viel Arbeit das bedeutet, darüber hinaus soll es ein Beispiel dafür sein, dass man mit knappen Ressourcen und einer intensiven Auseinandersetzung mit der Materie auf eigenen Beinen stehen kann und einen Kontrapunkt zur industriellen Agrarwirtschaft setzen kann, von der man weiß, wie schädlich ihre Auswirkungen langfristig sind. Die kleinteilige Landwirtschaft ist selbst heute noch weltweit die am weitesten verbreitete. Studien beweisen, dass man in Österreich und auch weltweit mit Biolandwirtschaft die Bevölkerung ernähren und nachhaltige positive Effekte auf die Menschen und den Planeten erzielen könnte. der Fleischkonsum müsste für diesen Fall allerdings etwas eingeschränkt werden.

Der Film umfasst ein Jahr auf dem Bauernhof. Aber wie lang hat die Entstehung des Films mit Vorbereitung, Annäherung und Postproduktion gedauert?

Von der ersten Idee, über die Finanzierung, Vorbereitung, den Dreh bis zur Postproduktion und Fertigstellung dauerte eine diese Produktion ca. drei Jahre.

Den Schnitt des Films stelle ich mir auch sehr spannend vor. War es schwierig sich für Szenen zu entscheiden – es ist bestimmt viel mehr Material entstanden als schlussendlich im Film verwendet wurden.

© Othmar Schmiderer

Der Schnittprozess bei einem Dokumentarfilm ist ein sehr vielfältiger. Unabhängig vom Umfang des Materials verlangt es vorerst eine klare Strukturierung und Analyse des vorhandenen Materials. Mit der Verdichtung des Materials in vielen Durchgängen entwickelt sich allmählich der dramaturgische Bogen aus dem vorgegebenen Rohkonzept des Film immer deutlicher. In unserem Fall gingen wir natürlich auch sehr stark vom Rhythmus und den Wiederholungen des Arbeitsprozesses aus. Der Dialog mit dem Cutter Arthur Summereder war äußerst konstruktiv und ein gutes Regulativ durch seinen jungen, frischen Blick von außen auf das Material. Wir sind sehr schnell in einen guten Rhythmus gekommen. Eine lange Diskussion ergab sich noch, ob das eine oder andere Zitat oder Essay in den Film sollte oder nicht. Braucht man noch eine Erklärung, einen Hinweis, oder erzählt sich das ohnehin? Letztlich blieben wir konsequent und vertrauten der Bildsprache und Montage und dem Grundsatz: Weniger ist mehr.

Wie haben sie es geschafft, dass das Ehepaar Neuwirth ihr Leben mit ihnen teilt? Wie verlief die Annäherung?

© Othmar Schmiderer

Das ist eine Frage des gegenseitigen Vertrauens und letztlich natürlich der Art und Weise des Umgangs miteinander, der Empathie, des gegenseitigen Respekts und der Achtsamkeit. Wir wurden zu einem Teil des gesamten Arbeitsprozesses.

Haben Sie dementsprechend auch selbst auf dem Biohof mit angepackt und Eigenproduktionen erlernt?

Zum Teil, aber in erster Linie habe ich versucht meinen Blick zu schärfen auf das was vor mir lag und passierte. Es ist schön an einem Prozess teilzunehmen, der wirklich Sinn macht und Identität stiftet!

Wie war es mit den Tieren des Bauernhofs zu drehen?

© Othmar Schmiderer

Das ist eine ganz eigene und ganz besondere Sache. John Berger sagt: „der Mensch wird sich erst in der genauen Betrachtung des Tieres seiner selbst bewusst.“ Die Kommunikation und die Prozesse, die zwischen Elfriede und Gottfried und den Tieren non-verbal ablaufen, sind etwas sehr Besonderes, neben den Tätigkeiten des Alltags. Blick in Blick mit einem Tier zu sein, bedeutet, wie gesagt, in eine ganz eigene Sphäre zu gelangen, die schwer zu beschreiben ist. Es ist eine Art von Dialog da, man spürt etwas, es eröffnet einen archaischen Raum. Das hat viel mit Konzentration und der Bereitschaft zu tun, sich einzulassen. Wenn dieser Moment eintritt, in dem man das Gefühl bekommt, mit Tieren im Dialog zu sein und sie vielleicht sogar zu verstehen. Das sollte im Film immer wieder durchblitzen. Besonders auch im Montageprozess ging es darum – niemals vordergründig aber doch – ein besonderes Augenmerk auf die Kommunikation zwischen den Menschen und Tieren zu legen.

Was hat dieser Film bei Ihnen selbst bewirkt?

Eine große Achtung vor der Arbeit und Konsequenz unserer Protagonisten und eine Zuversicht, dass es doch auch anders geht. Gleichzeitig ein Hinterfragen der eigenen Handlungsweisen und Konsequenzen und eine Dankbarkeit für den Einblick in ein solches Leben.

Können Sie mir zum Abschluss noch etwas über sich selbst erzählen und welche weitere Projekte in Zukunft auf dem Plan stehen?

© Othmar Schmiderer

Ich bin derzeit gerade noch mit der Distribution des Films beschäftigt und und erarbeite gleichzeitig mit meiner Partnerin Angela Summender ein neues Filmprojekt über das Phänomen des Einfamilienhauses – „Der Traum vom Haus“. Das Einfamilienhaus als Synonym für Lebensraum und Lebenstraum, als Ambivalenz zwischen Traum und Alptraum. Was bedeutet der Traum vom Haus in einerseits für Individuen und andererseits für die Gesellschaft in ökologischer, ökonomischer, soziologischer und ästhetischer Hinsicht? Dieses Phänomen wollen wir in einem nächsten Dokumentarfilm untersuchen.  

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Die Tage wie das Jahr

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