Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)
Filmkritik: Die Dokumentation „Berlin Bytch Love“ (Deutschland, 2022) von Heiko Aufdermauer und Johannes Girke, die im Programm ‚MOP-Watchlist‘ des 44. Filmfestival Max Ophüls Preis 2023 lief, ist das Portrait eines jungen Berliner Pärchen, das auf der Straße lebt. Dabei haben sich die beiden Filmemacher entschieden, abseits des bekannten Dokumentarfilm-Baukastens ihren Film mit den Mitteln des Spielfilms zu erzählen.
Die 15-jährige Sophie und ihr zwei Jahre älterer Freund Dominik leben seit einem halben Jahr auf den Straßen von Berlin. Sie genießen dabei die gemeinsame Zeit und schlagen sich mit Flaschensammeln und Campieren in Parks und Hauseingängen durch. Als Sophie schwanger wird und Dominik eine Gerichtsverhandlung droht, ergreifen sie die Chance ihr Leben zu ändern und beziehen eine kleine Wohnung abseits der quirligen Metropole.
Die beiden Filmemacher Heiko Aufdermauer und Johannes Girke haben auf den Straßen von Berlin die beiden Protagonist:innen Sophie und Dominik kennengelernt. Es entstand schnell die Idee, die beiden filmisch zu begleiten. Doch wollten sie daran auch ein Ziel knüpfen. So schufen sie den Impuls, dass sie die beiden so lange begleiten wollen, bis sie eine Bleibe gefunden haben. Über zwei Jahre waren sie nun immer wieder mit ihnen unterwegs und zusammen. Obwohl man es im Film nicht sieht, sind sie in einem ständigen Austausch mit den beiden, begleiten sie in ihrem Alltag und erleben Tief- und Höhepunkte ihrer Beziehung. Die Schwangerschaft, der Umzug in die Kleinstadt und auch die familiären Probleme setzen den beiden über die Zeit immer wieder zu. Die beiden Regisseure zeigen genug, um ein Gefühl für die jungen Protagonist:innen und ihr Leben zu bekommen, gehen aber auch auf Abstand, um ihnen Luft zum Atmen zu geben. Entstanden ist eine sehr präzise Beobachtung von zwei Jugendlichen, die Probleme mit dem Einfinden in Strukturen und auch mit dem Gesetz haben. Gleichzeitig erzählt es eine intensive Liebesgeschichte. Ihre Art der Dokumentation ist dabei so nah dran, dass man sofort in die Welt der beiden eingezogen wird.
Interessant ist auch, dass sie einen anderen Weg als klassische Dokumentationen gehen, obwohl der Inhalt des Films nicht dokumentarischer sein könnte. Sie verwenden in ihrem Film viele Mittel des Spielfilms. Seien es Nahaufnahmen, viele Schnitte und auch Parallelmontagen. Hinzu kommt, dass sie den ganzen Film nachträglich vertont haben. Dabei haben sie Wert darauf gelegt, dass vieles hörbar wird, was ansonsten nicht wahrnehmbar ist. Als Zuschauer:in kann man sogar die Berührungen der beiden hören, sodass ihre Beziehung viel greifbarer wird. All diese Elemente unterstützen perfekt die Dokumentation und zeigen, dass man sich dem Spielfilm ohne Verlust der Authentizität annähern kann und damit ein filmisches Erlebnis schafft, dass ein größeres Publikum erreichen kann, da es sich leicht zugängerlicherer Erzählmechanismen bedient. So entstand ein eindringlicher Dokumentarfilm, der die Geschichte zweier Straßenjugendlicher auf so packende Weise erzählt, dass man sich ganz automatisch mit den Themen des Films – sei es Obdachlosigkeit, Teenagerschwangerschaften und auch Perspektivlosigkeit – beschäftigen will und muss.
Fazit: „Berlin Bytch Love“ ist eine Dokumentation von Heiko Aufdermauer und Johannes Girke, welche das Leben zweier Jugendlichen porträtieren, die auf den Straßen von Berlin leben, und dafür die Mittel des Spielfilms verwenden. So entstand ein authentischer, aber auch ästhetischer Dokumentarfilm, der es schafft, die Mittel der beiden ansonsten oft sehr konträren Erzählformen zu vereinen und dem Publikum eine Geschichte zu zeigen, die berührt und auf wichtige Themen aufmerksam macht.
Bewertung: 9/10
Kinostart: noch nicht bekannt
Der Film wurde für den Deutschen Dokumentarfilmpreis nominiert, der am 30. Juni 2023 verliehen wird.