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Wie hat alles begonnen? Wie seid ihr den beiden begegnet?
Heiko: Unsere Vorgeschichte gehört dazu, deswegen werde ich kurz damit anfangen. Johannes und ich sind uns 2018 auf einem Campingplatz in Albanien wieder begegnet. 17 Jahre zuvor haben wir zusammen in Berlin unsere Aufnahmeprüfung gemacht und haben uns dann, obwohl wir uns gut verstanden haben, aus den Augen verloren. Nachdem wir uns dann noch zwei weitere Male begegnet sind, dachten wir das ist ein Zeichen und wir sollten unbedingt zusammen arbeiten. Damals beschlossen wir einen Film über Jugendliche zu machen, die von zu Hause weggelaufen sind. Und nur drei Tage später sind uns Sophie und Dominiki vor einem Supermarkt begegnet: Wir sind (auch aufgrund meines heulenden Hundes) ins Gespräch gekommen. Zu diesem Zeitpunkt sah man ihnen nicht an, dass sie auf der Straße leben. Uns war dann schnell klar, dass sie die beiden sind, die wir gesucht haben.
Johannes: Danach mussten wir uns nur überlegen, wie wir es den beiden schmackhaft machen können, dass wir über sie einen Film drehen wollen. Also haben wir uns überlegt, dass wir sozusagen ein Ziel vorgeben. So haben wir ihnen vorgeschlagen, dass wir sie filmisch begleiten wollen, bis sie eine Wohnung finden und wir gleichzeitig ein Auge auf sie haben werden, wenn wir mit ihnen unterwegs sind.
Als ihr das mit der Wohnungssuche vorgeschlagen hattet, wusstet ihr da schon, dass sie schwanger ist? Wie habt ihr ihr Vertrauen gewinnen können?
Sprich ihr habt euch zwar mit ihnen unterhalten, aber nie in Form von Interviews?
Wirkliche Interviews haben wir nur ganz am Anfang und sehr wenige gemacht, weil wir relativ schnell gemerkt haben, dass das überhaupt nicht zu dem Film passt, den wir machen wollen, weil Interviews immer eine Distanz herstellen zwischen den Gefilmten und den Interviewenden. Daraus entstanden eine Hierarchie und auch eine Bewertung, die wir nicht wollten.
So seid ihr dann unsichtbar für das Publikum geworden?
Es war auch nicht immer einfach, mit ihnen zu drehen. Auch wenn der fertige Film fast wie ein Spielfilm aussieht, konnten wir gar nicht dokumentarischer arbeiten. Absprachen oder das Anbringen des Mikros waren nicht leicht, so dass wir für jede Wiederholung von Gesprächen etc. kämpfen mussten, was aber meistens nicht möglich war.
Johannes: Diese Bemühungen haben wir dann schnell fallen lassen. Wir haben gemerkt, dass wir einfach schneller sein müssen und wir sind auch schneller geworden.
Am Anfang des Films wussten wir noch nicht, was für ein Film mit welchen Elementen es wird. So haben wir uns nach jeden Dreh hingesetzt und über das Aufgenommene gesprochen und wo es uns hinführt. Wir haben intensive Gespräche darüber geführt, was wir in filmischer aber auch menschlicher Hinsicht tun sollten. Da wir auch selbst Eltern sind, wollten wir adäquat reagieren, aber auch nicht den Film gefährden. In gewisser Weise sind wir in einem Interessenkonflikt gewesen. So haben wir auch während des Drehens schon verschiedene Sachen ausprobiert: Interviews, nicht Interviews, stärker geführte Situationen, einfach nur Situationen laufen lassen und auch auflösungsmäßig entwickelt, würde ich sagen. So haben wir immer wieder darüber gesprochen und neue Wege gefunden.
Heiko: Ja, es war alles wahnsinnig flüchtig, also in jeder Hinsicht. Unsere Protagonistinnen waren flüchtig. Im wahrsten Sinne des Wortes sind sie – sie wurden ja von der Polizei gesucht – ja auch vor der Kamera geflohen.Das war ein Prozess der Annäherung und auch der zunehmenden Intimität. Wir hatten aber wahnsinniges Glück mit den beiden gehabt, denn sie haben eine gewisse Lust an der Kamera entwickelt, das hat sich dann erst wieder gegen Ende verändert. In der Phase, als es ihnen als Paar nicht mehr gut ging, wollten sie uns auch nicht mehr präsent haben. Das war auch tatsächlich die schmerzhafteste Phase unserer Arbeit. Das war auch im Schnitt noch ein Problem – wie gestaltet man Leere, ohne die Zuschauer zu langweilen? Denn als sie von der Straße weg waren, waren sie dermaßen lethargisch und ihr Leben sinnentleert. Das haben wir dann auch in unserer Kameraarbeit aufgenommen – von der bewegten Kamera hin zum Stativ. Die zweite Phase ihres Zusammenseins war so wirklich schmerzhafter, sodass wir meistens froh waren, wieder fahren zu dürfen.
Also obwohl sie gern bei dem Projekt dabei sein wollten, war es schwierig, sie zum Mitmachen zu bewegen?
Johannes: Aber ich würde mal sagen, es gab nie den Moment, dass wir sie überzeugen mussten, weiter im Film zu sein. Es war eher so, dass wir ihnen manchmal auf der einen Seite lästig waren, wenn wir kamen. Auf der anderen Seite waren sie froh, denn wenn wir kamen, bedeutete es, dass sie zum Beispiel einkaufen gehen konnten. Auf diese Weise haben wir sie unterstützt und außerdem haben wir ihnen Aufmerksamkeit gebracht. Doch wenn wir dann ihre Unterstützung brauchten, waren sie hin und wieder unwillig und wollten in Ruhe gelassen werden. Aber es gab bei uns nie den Moment, dass wir uns Sorgen gemacht haben, dass wir den Film nicht weitermachen könnten.
Wie oft habt ihr sie über den gesamten Zeitraum getroffen? Könnt ihr es sagen? Seid ihr in der ersten Phase häufiger bei ihnen gewesen und in der zweiten dann weniger?
Heiko: Wir haben das Glück, dass sie bei mir um die Ecke wohnen. Am Anfang haben wir sie sehr engmaschig gesehen. Manchmal jeden Tag morgens und dann sind wir abends nochmal hin. Da sie kein Handy hatten, konnten wir sie ja auch nicht erreichen, so dass immer eine gewisse Unschärfe vorhanden war.
Johannes: In Eberswalde haben wir sie ca. einmal im Monat gesehen, wenn nichts Konkretes anstand. Aber zeitweise waren wir da auch jede Woche oder alle zwei Wochen vor Ort. Nur von Dezember bis März war es wie eine größere Pause.
In welchem Jahr habt ihr gedreht? Es war noch vor Corona?
Johannes: Ja, es war vor Corona. Wir haben 2018 und 2019 gedreht.
Bei dem Filmdreh selbst seid ihr also meistens zu zweit oder zu dritt gewesen?
Johannes: Einen Punkt will ich noch ergänzen. Zwar haben wir den Entstehungsprozess komplett selbst finanziert, aber für die Postproduktion haben wir eine Kampagne gestartet und viele tolle Menschen haben sich dafür begeistern können und uns finanziell unter die Arme gegriffen, sodass wir für diese Phase noch 10.000 € bis 11.000 € einsammeln konnten.
Die Idee, die Geräusche auf diese Weise einzusetzen, entstand sozusagen beim Dreh?
Johannes: Ja, es gehörte zur Genese. Das Konzept ist im Prozess entstanden und ist natürlich ganz klar auch dem geschuldet, dass wir so einen schlechten Ton hatten und das wir es irgendwie auch interessant fanden, es mal auszuprobieren und wir fanden es passend und gut. Mittlerweile kann ich mir es auch gar nicht mehr anders vorstellen.
Das heißt, auch die Idee, dass es wie ein Spielfilm wirkt, ist erst mit der Zeit entstanden?
Johannes: Ja, ich selbst habe tausende von Stunden Interviews gedreht und geschnitten und ich wollte einfach mal was anderes machen. Ich konnte diesen klassischen Dokumentarfilm nicht mehr sehen. Er interessiert mich einfach weniger. So sind wir auch an den Dreh gegangen. Wir haben bereits beim Drehen immer wieder die Perspektive gewechselt, damit wir im Schneideraum genug Material haben, um eine gute Montage machen zu können. Dieses Konzept war von Anfang an ein großer Reiz für uns.
Dass ihr es so montieren konntet, lag auch daran, dass ihr so viele wichtige Momente mitbekommen habt. Waren das glückliche Zufälle, dass ihr zur rechten Zeit am rechten Ort wart, oder war es einfach bei ihr so oft da war, dass es dann funktioniert hat?
Heiko: Absolut, obwohl uns auch natürlich viele krasse Dinge entgangen sind. So haben wir einiges nicht drin, wie Einbrüche und illegale Autofahrten. Was im Nachhinein auch gut war, da wir damit definitiv eine juristische Grenze überschritten hätten. Es war schon grenzwertig, dass wir beim Drogenkauf- und Konsum dabei waren. Durch unser Vertrauensverhältnis haben sie uns dann aber von den anderen Aktivitäten erzählt. Das haben wir aber absichtlich ausgespart, weil es ja nichts ist, was wir mit der Realität abgleichen konnten. Jugendliche erzählen ja auch gern mal viel, was nicht so gewesen sein muss.
Johannes: Man muss auch sagen, dass wir dann in der Postproduktion beziehungsweise im Schnitt auch immer wieder überlegt und abgewägt haben: Was können wir zeigen, ohne unsere Protagonistin zu beschädigen oder auch strafrechtlich irgendwie in Gefahr zu bringen? Dominik hatte auch noch Bewährungsauflagen. Also, da haben wir immer auch nicht alles gezeigt, aber wir haben auch nichts erfunden, was es nicht gab.
Wie geht’s denn den beiden jetzt?
Zu Dominik habe ich noch regelmäßig Kontakt, da ich ihm über die Jahre sehr nahe gekommen bin. Doch leider hat er wieder ein Gerichtsverfahren, sodass er womöglich ins Gefängnis muss. Jonny, der Freund der Schwester, sitzt bereits im Gefängnis. Er selbst bemüht sich auch um Hilfe und sucht einen Therapieplatz.
Hatten die Protagonisten die Möglichkeit den Film schon zu sehen?
Habt ihr schon neue Projekte geplant?
Heiko: Johannes und ich denken tatsächlich gerade über verschiedene Projekte nach. Wir haben das Gefühl, dass wir mit diesem Film eine Technik sozusagen entwickelt haben, die etwas Besonderes ist und in der wir Geschichten erzählen wollen. Aber es muss nicht nur dokumentarisch sein, es kann auch ein Spielfilm werden. Generell finden wir das Thema Intimität zwischen Männern auf freundschaftlicher Ebene spannend, mal sehen ob sich daraus etwas entwickelt. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.
Johannes: Wir haben jedenfalls große Lust, das nächste Projekt zu starten und sind auch dabei, es zu entwickeln. Es wird sicherlich eine Mischform aus dokumentarischem und fiktiven Film werden, sozusagen ein ‚Dokumentarfilm Plus‘.
Heiko: Oder ein ‚Spielfilm Minus‘.
Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Berlin Bytch Love“