Sieben Fragen an Amelie Vierbuchen, Franca Pape und Lea Sprenger

Doreen Kaltenecker
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)
Jan Leonid Karger

Interview: Im Gespräch mit den drei deutschen Filmemacherinnen Amelie Vierbuchen, Franca Pape und Lea Sprenger konnten wir mehr über ihren Kurz-Dokumentarfilm „Kassieren“ erfahren, der auf dem 66. DOK Leipzig 2023 seine Weltpremiere feierte, wie sie zu ihrem Thema der Archivarbeit fanden und warum sie beim Entwickeln des Films beschlossen hatten, selbst ein Teil dieses Projekts zu werden.

Wie kam es zur Entstehung eures Kurzfilms „Kassieren“ und warum hat er diesen Titel bekommen?

Wir studieren zusammen an der Kunsthochschule Medien in Köln und der Film ist im Rahmen eines Dokumentarfilm Seminars entstanden. Ausgehend von dem ehemaligen Standort der Chemischen Fabrik Kalk, suchten wir in einem Archiv nach erhaltenen Dokumenten. Der Archivar, den wir dort trafen, macht uns mit der schwierigen Verantwortung des „Kassierens“, also des Wegwerfens von Materialien, bekannt. Im Schnittprozess wurde uns dann klar, dass wir vor genau der gleichen Herausforderung stehen, wie der Archivar, nämlich vor der Frage, was wird gezeigt und was lassen wir aus? Uns wurde dann schnell klar, dass es ein Film über das Filmemachen und das Archivieren an sich werden wird. Und damit stand auch der Titel. 

War es von Anfang an Bestandteil des Konzepts, dass ihr und eure Recherchearbeit ein Teil des Films sein werdet oder hat sich das während des Films verändert?

Nein, aber es war in dem Sinne auch keine Überraschung. Wir hatten ein grobes Konzept und wollten Bilder aus der Vergangenheit mit Bildern aus der Gegenwart kombinieren, doch der Film entstand maßgeblich während des Schneidens und in der Reaktion auf unser gesammeltes Material. Ein großer Teil davon war unsere Recherchearbeit, aber vor allem auch die Fehler, die uns und dem Archivar passierten und die durch die Benutzung von verschiedenen Technologien aufkamen. Gerade diese Fehler haben uns interessiert, da sie die Lücken unserer Recherche offenlegten und uns die Möglichkeit gaben, über die (Un-)Möglichkeit einer allumfassenden Geschichtsschreibung nachzudenken.

In welchem Rahmen habt ihr das Projekt entwickelt und wie viel Zeit hattet ihr für die Realisierung?

Es ist im Rahmen unseres Studiums entstanden und hat natürlich viel länger gedauert als gedacht. Auch wenn wir nur zwei Drehtage hatten, zog sich die Postproduktion mit so viel Fremdmaterial sehr. Insgesamt haben wir ungefähr ein Dreiviertel Jahr an dem Film gearbeitet. Ein großer Teil der Arbeit floss allerdings in Exceltabellen und Quellenangaben. Wir konnten viel über Urheberrechte im Film lernen.

Was lag euch visuell am Herzen?

Von Anfang an wollten wir mit einer Ästhetik arbeiten, die die Oberflächen des Ortes und der Materialien selbst strukturell in den Fokus nimmt. Während wir anfangs noch über Splitscreens nachdachten, konzentrierten wir uns sehr schnell auf die Oberflächen der Medien, durch die wir Zugang zu den Bildern bekommen. Das Auf- und Abfahren des flackernden 16mm-Bildschirms, das horizontale Schwenken über den noch erhaltenen Wasserturm und das Scrollen durch die Websites werden zu einer Bewegung, mit der wir uns durch die Materialien manövrieren. Uns war es wichtig, dass die Form auf den Inhalt reagiert und durch den schnellen Rhythmus die Überforderung und das Chaos erzählt und spürbar gemacht wird.  

Wie kam es zu eurer Zusammenarbeit und gab es klar aufgeteilte Arbeitsbereiche?

Die Zusammenarbeit entstand aus einem gemeinsamen Interesse, sich historisch mit dem Ort auseinandersetzen zu wollen und einem Interesse an Archivarbeit. Anfangs gab es keine genaue Aufteilung und da wir auf einem ähnlichen (Un-)Wissensstand waren, war es schön, dass wir ungehemmt ausprobieren und lernen konnten. Später hat es sich dann, auch bedingt durch äußere Umstände, ergeben, dass Lea Sprenger und Franca Pape zusammen die Montage und Postproduktion gemacht haben. 

Könnt ihr mir noch ein bisschen mehr von euch erzählen und wie ihr zum Film gekommen seid?

Wir studieren an einer Kunsthochschule, wo das Filmemachen sehr präsent ist, so kamen auch wir zum Filmemachen. Wir arbeiten alle auch interdisziplinär, das heißt in Text, Installation und Performance. Das Dokumentarfilm-Seminar bei Philip Scheffner und Solveig Klassen gab uns die Möglichkeit, einen sehr eigenen und nicht vorgefertigten Ansatz des Filmemachens zu entwickeln. 

Sind bereits neue Projekte (allein oder gemeinsam) geplant?

Derzeit beenden Franca Pape und Lea Sprenger zwei Dokumentarfilme, in denen sie sich gegenseitig technisch und inhaltlich unterstützt haben. Sie planen auch weiterhin gemeinsam an Filmen zu arbeiten und befinden sich aktuell in der Recherche zu einem neuen Projekt. Amelie Vierbuchen entwickelt aktuell ein installatives Projekt im Rahmen eines Stipendiums und Lea Sprenger und Amelie Vierbuchen planen im nächsten Jahr ein kollaboratives Projekt zu Neospiritualismus im Internet, das sowohl installativ als auch filmisch bearbeitet wird. 

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Kassieren

Kommentar verfassen