„Buridans Esel“ von Günter de Bruyn (1968)

Doreen Kaltenecker
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224 Seiten / ab – Jahren / Fischer Taschenbuch Verlag / 12 €

Buchkritik: Der 1926 geborene Schriftsteller Günter de Bruyn gilt auch heute noch als eine der Größen der DDR-Literatur. Mit seinen Romanen fing er das Leben in der DDR ein. Der 1968 erschienene Roman „Buridans Esel“ erzählt nach einem Gleichnis von einem Mann, der sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss. 

Der Bibliothekar Karl Erp wacht eines Morgens auf und erkennt, dass er sich verliebt hat. Das Objekt seiner Begierde ist die neue Kollegin Fräulein Broder, die er nun fortan umwirbt. Dabei täuscht er Überstunden vor und lässt seine Frau Elisabeth und seine Kinder immer öfter links liegen. Als Fräulein Broder sich ihm gegenüber öffnet, steht er bald vor der Entscheidung, welchen weiteren Lebensweg und mit wem er nun gehen will.

Der deutsche Romanautor Günter de Bruyn (1926-2020) hat die DDR nie verlassen und dort viele Romane geschrieben und veröffentlicht. „Buridans Esel“ ist per se kein politisches Buch, sondern erzählt vordergründig eine Dreiecks-Liebesgeschichte. Es geht um einen Mann, der zwischen zwei Frauen und zwei Leben wählen muss. Beide Frauen stehen für eine bestimmte Gestaltung des Alltags, aber sie befinden sich auch an verschiedenen Enden eines Spektrums. Während Fräulein Broder das Neue, das Aufregende und den Anfang verkörpert, ist Elisabeth die Zukunft einer Beziehung und der Alltag. Zwischen ihnen steht ein Mensch, der von den Leser:innen keine Sympathie erhält. Karl Erp als entscheidungsunfähiger, treuloser Mann verkörpert viele Schwächen, die man ihm auch durch die Aufrichtigkeit seiner Gefühle nicht verzeihen kann. Umso mehr gefällt es, dass de Bruyn nicht mit einem Happy-End aufhört, sondern nach einem vermeintlich glücklichen Ende der Geschichte seinen Figuren weiter folgt. Dabei seziert er ihre Charaktere und Gefühle. Nebenbei erzählt er aber auch deutsche Geschichte. Wie lebt es sich in der DDR? Wie sehr steht man unter (rein nachbarschaftlicher) Beobachtung? Wie nimmt der Staat Einfluss auf das eigene Leben? Mit Fräulein Broders Geschichte kommen weitere Aspekte hinsichtlich der Kriegsvergangenheit des Landes hinzu. So bietet der Inhalt des Romans mehr als es anfänglich scheint. Trotzdem steht die meiste Zeit das Liebesleid seines Helden im Vordergrund. Dafür wählt de Bruyn das Bildnis von Buridans Esel. Denn dieser verhungerte zwischen zwei Heuhaufen, da er sich nicht entscheiden konnte, welchen er verspeisen sollte. 

Was den Roman so faszinierend macht, ist seine Sprache. Mit einer Vorliebe für lange, verschachtelte Sätze skizziert de Bruyn alle Befindlichkeiten. Teilweise erstrecken sich dabei zwei Sätze über eine ganze Seite. Um alle Raffinessen und Schlenker des Buches mitzubekommen, muss man das Buch mit hoher Konzentration lesen. Zu schnell kann man den Faden verlieren. Die Sprache und auch der Wohlklang der Sätze ziehen die Leser:innen in den Bann. So entstand im Gesamten ein Roman, der einen mit seiner Sprache und auch den Figuren herausfordert, kein Werk zum Schmökern ist und trotzdem fesseln kann, indem er die Menschen, ihre Gefühle und das Zwischenmenschliche auf den Punkt bringt.

Fazit: „Buridans Esel“ ist der wohl bekannteste Roman des Autors Günter de Bruyn. Er erzählt darin von einer klassischen Dreiecks-Geschichte, webt die Historie und den Zustand der DDR leise mit ein und besticht mit einer ungewöhnlichen Sprache, die viel Aufmerksamkeit fordert, aber die Figuren und ihre Beziehungen auf diese Weise den Leser:innen näher bringt.

Bewertung: 3/5

geschrieben von Doreen Kaltenecker

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