Sieben Fragen an Zhang Xu Zhan

Doreen Kaltenecker
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)

Interview: Im Gespräch mit dem taiwanischen Filmemacher Zhang Xu Zhan konnten wir mehr über seinen Kurzfilm „Compound Eyes of Tropical“ (OT: „熱帶複眼“) erfahren, der auf dem 66. DOK Leipzig 2023 den ‚mephisto 97.6 Preis‘ gewann. Er erzählt, wie die Geschichte aus Volksmärchen geformt wurde, wie lange die Umsetzung des Stop-Motions-Film gedauert hat und wichtig das Material Papier für seine Werdung zum Filmemacher wie auch für den Film war.

The original english language interview is also available.

Welche Geschichte und Sagen haben Deinen Kurzfilm geschaffen? Wie ist die Idee für die Entstehung entstanden?

Die Anfänge meiner Filmarbeit liegen in meiner Zeit als Artist in Residence in Indonesien. Dort stieß ich auf ein indonesisches Volksmärchen, in dem ein Maus-Hirsch einen Fluss überquert.

Diese Erzählung hat Ähnlichkeit mit Volksmärchen aus anderen Kulturen, wenn auch die Figuren durch andere Tiere ersetzt werden. In Taiwan zum Beispiel tritt eine Maus auf eine Kuh, um einen Fluss zu überqueren. In Japan tritt ein Kaninchen auf ein Krokodil, und in der westlichen Tradition tritt der Pfefferkuchenmann auf einen Fuchs, um den Fluss zu überqueren.

Meine Forschungen befassten sich mit den Verbindungen zwischen der taiwanesischen Kultur und den globalen Kulturen, ein Phänomen, das ich als ‚interkulturellen Fluss‘ bezeichnet habe. Mit ‚kulturübergreifendem Fluss‘ meine ich, dass Elemente wie Musik, Volksgeschichten und bestimmte Muster in verschiedenen Ländern unterschiedliche Bedeutungen haben können, ihr Kern jedoch derselbe bleibt.

Ähnliche Geschichten mit unterschiedlichen Charakteren tauchen in verschiedenen Kulturen auf, was mich zur Entdeckung des ‚Aarne-Thompson-Klassifizierungssystems‘ führte. Dieses System kategorisiert Volksmärchen auf der Grundlage ihrer Erzählstruktur, und die Geschichte vom Tier, das den Fluss überquert, ist eine solche Struktur, die in vielen Kulturen vorkommt.

Ich habe das Volksmärchen von der Flussüberquerung in eine Art schamanischen (Yi-Zhen) Volkstanz umgewandelt und die Tanzform zur Neuinterpretation des Volksmärchens verwendet.

Indem ich die universelle Struktur von Volksmärchen erforsche, beteilige ich mich an Diskussionen über multiple Identitäten, die ein breites Spektrum von Ethnien umfassen. Die Volkstanzaufführung ist in eine universelle Struktur von Volksmärchen eingebettet und untersucht die Verwendung von Materialien und Identität bei verschiedenen Ethnien. Trotz der Unterschiede zwischen den Religionen sind die Kernaussagen bemerkenswert ähnlich. Die verschiedenen Arten von Volksmärchen haben eine gemeinsame Struktur. Ich verwende das Konzept des zusammengesetzten Auges, um die vielfältigen Identitäten verschiedener ethnischer Gruppen und die universelle Struktur von Volksmärchen zu untersuchen.

Dein Stop-Motion-Film spielt mit Perspektiven und Schnitten – kannst Du mir bitte mehr dazu erzählen?

In diesem Film habe ich mit verschiedenen filmischen Sprachen experimentiert und über sie nachgedacht, wie z. B. mit der Montage, zahlreichen Nahaufnahmen und speziellen Blickwinkeln, die alle dazu dienen, Atmosphäre zu schaffen. Da es dem gesamten Werk an Sprache fehlt, sind der Schnitt und der Rhythmus der Aufnahmen für mich entscheidende erzählerische Mittel.

Compound Eyes of Tropical“ nimmt Volksgeschichten über die Überquerung von Flüssen aus verschiedenen Regionen als Haupterzählung und Hintergrund. Der Film verwendet Montagetechniken, um verschiedene Versionen der Geschichte innerhalb einer einzigen Zeitachse zu präsentieren und übt die Kombination und Verschmelzung verschiedener Kulturen im selben zeitlichen und räumlichen Kontext durch schnelle Übergänge zwischen den Aufnahmen.

Aus welchen Materialien hast Du Deinen Film geschaffen?

Für diesen Film habe ich ein traditionelles Papierhandwerk verwendet, das in meiner Familie über Generationen hinweg weitergegeben wurde, um Puppen herzustellen. In Taiwan wird diese Handwerkstechnik typischerweise für die Herstellung von Papieropfern verwendet, insbesondere für Beerdigungen. Ich habe diese Technik für meine Arbeit adaptiert und angewendet. Das visuelle Empfinden von Materialien ist in meinem kreativen Prozess von entscheidender Bedeutung, und die Materialität von Papier ist ein wesentlicher Aspekt meines Schaffens. In dieser Arbeit werden in großem Umfang Papiermaterialien verwendet, wobei das Äußere der Puppen die ursprüngliche Textur von Zeitungen beibehält, um ihre Haut und ihr Fell darzustellen. Ich verwende Zeitungen in verschiedenen Sprachen, z.B. Chinesisch, Englisch und Indonesisch, um den Dialog zwischen verschiedenen Texten zu reflektieren.

Auch die Textur des Wassers in diesem Film ist etwas, dem ich große Aufmerksamkeit schenke. Das Wasser im Video ist eine Mischung aus verschiedenen Arten von Papier und einigen Plastiktüten.

Der Rhythmus der Trommeln und das Fehlen der Sprache zeichnen den Film gleichermaßen aus – kannst Du mir etwas mehr zur tonalen Ebene erzählen?

Ähnlich wie bei meinen früheren Arbeiten habe ich mich entschieden, Botschaften auf nonverbale Weise zu vermitteln. Ich glaube, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, Sprache auszudrücken.

Bei der Konzeption dieses Werks habe ich darauf geachtet, dass jede Figur einen eigenen Klang oder ein eigenes visuelles Symbol hat, so als wären es Symbole einer anderen Sprache. So wird beispielsweise der Auftritt einer Fliege vom Klang einer Glocke begleitet, während das Öffnen und Schließen des Krokodilmauls mit dem Rhythmus eines traditionellen Instruments, der Zimbel, synchronisiert ist. So entstehen bei den Darbietungen der Figuren verschiedene Rhythmen durch das Zusammenspiel verschiedener Instrumente.

Durch die Hervorhebung des Trommelelements interpretiert „Tropical Compound Eyes“ eine traditionelle taiwanesische Aufführung. In solchen Aufführungen dient das Trommeln oft als Stichwort für die Aktionen der Darsteller. Die Darsteller wiederum bewegen sich im Einklang mit dem Trommelrhythmus, und gelegentlich trägt das Tempo des Trommelns dazu bei, die Gesamtatmosphäre zu schaffen und die Emotionen des Publikums zu beeinflussen, unabhängig davon, ob es sich um ein schnelles oder langsames Tempo handelt.

Neben dem Einsatz von Instrumenten habe ich bei der Produktion Zeitungen mit verschiedenen Sprachen verwendet, um die Haut, die Kleidung und die Accessoires der einzelnen Figuren zu gestalten. Dies ist für mich auch eine zusätzliche Interpretation von Sprache.

In welchem Rahmen, mit welcher Teamgröße und über welche Zeit konntest Du Deinen Film realisieren?

Der Film „Tropical Compound Eyes“ wurde etwa drei Jahre lang mit einem Kernteam von fünf Personen produziert, das aus drei Animatoren (einschließlich mir selbst) und zwei Grafikern bestand. Da wir ein sehr kleines Team sind, ist es oft erforderlich, dass einzelne Personen mehrere Rollen übernehmen.

Der Raum für die Dreharbeiten und die Produktion war relativ begrenzt und betrug etwa 5 Ping (eine Flächeneinheit in Taiwan, die etwa 16,5 Quadratmetern entspricht). Diese Einschränkung veranlasste uns dazu, Szenen zu entwerfen, die modular aufgebaut und leicht zu transportieren sind, damit wir bei der Planung zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr Flexibilität haben.

Kannst Du mir noch ein bisschen mehr zu Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Meine Arbeit ist eng mit dem Hintergrund meiner Familie verbunden, die traditionelle Papierkunstwerke herstellt, die bei feierlichen Anlässen wie Beerdigungen und der Verehrung von Gottheiten verwendet werden. In der taiwanesischen Kultur bringen die Menschen den Verstorbenen und den Göttern Opfer dar, indem sie Papierobjekte oder Papiergeld verbrennen.

Ich habe meiner Familie oft dabei geholfen, diese Papierkunstwerke für den Verkauf herzustellen, wobei ich traditionelle Methoden anwandte. Diese Kunstwerke konnten von großen Häusern, Kleidung oder Gegenständen, die der Verstorbene im Jenseits benötigt, bis hin zu Fabelwesen, Tieren oder Darstellungen von Göttern reichen. Die innere Struktur dieser Puppen ist aus Bambus und Zeitungspapier gefertigt und ähnelt der Haut der Götter. Traditionell sollten Zeitungen mit einer Schicht aus Bastelpapier und Dekorationen bedeckt werden, aber in meiner Arbeit habe ich mich dafür entschieden, die Zeitung für das Publikum offen zu lassen.

Die Aufführung von „Compound Eyes of Tropical“ ist stark vom traditionellen taiwanesischen Volkstanz ‚Yi – Zhen‘ beeinflusst, der üblicherweise bei religiösen Zeremonien aufgeführt wird. Der Tänzer trägt ein Kostüm, das den Oberkörper bedeckt und einem Tier oder einer Gottheit ähnelt, wobei die Beine sichtbar sind. Dieser Tanz folgt in der Regel einer grundlegenden Handlung und wird als Opfergabe an die Götter aufgeführt.

Bei diesen traditionellen zeremoniellen Volkstänzen tragen die Tänzerinnen und Tänzer ein Drachen- oder ein Löwenkostüm, wobei das Drachenkostüm weiter verbreitet ist. Ich habe diese Art von Volkstanz in eine Dschungelkulisse für meine Arbeit integriert.

Bei Drachendarbietungen jagt der Drache oft eine runde Glocke an einer langen Stange, die von einem anderen Darsteller gesteuert wird. Ich habe diese Volkstanzformation auf die Figuren in meinem Video angewandt. Die Hauptpuppe stellt den Volkstänzer dar, der auf der oberen Hälfte ein Kostüm trägt, das halb Fuchs, halb Maus und halb Hirsch ist. Die Fliege symbolisiert die Glocke, der der halbe Fuchs und die Maus hinterherjagen, und man kann jedes Mal, wenn die Fliege auftaucht, den Klang einer Glocke hören.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Das nächste Projekt ist noch ziemlich geheim.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Compound Eyes of Tropical


Interview: In our conversation with Taiwanese filmmaker Zhang Xu Zhan, we were able to find out more about his short film „Compound Eyes of Tropical“ (OT: „熱帶複眼“), which celebrated its German premiere at the 66th DOK Leipzig 2023. He explains how the story was formed from folk tales, how long it took to realize the stop-motion film and how important the material of paper was for his becoming a filmmaker as well as for the film.

What story and legends created your short film? How did the idea for its creation come about?

The inception of my film work took place during my time as an artist in residence in Indonesia. It was there that I encountered an Indonesian folktale featuring a mouse- deer crossing a river.

This narrative bears resemblance to folktales found in various cultures, albeit with characters replaced by other animals. For instance, in Taiwan, a mouse steps on a cow to traverse a river. In Japan, a rabbit steps on a crocodile, and in Western tradition, the Gingerbread Man steps on a fox crossing the river.

My research delved into the connections between Taiwanese culture and global cultures, a phenomenon I termed ‚cross-cultural flow.‘ By ‚cross-cultural flow‘, I mean that elements like music, folk stories, and specific patterns may hold different meanings in different countries, yet their core essence remains the same.

Similar stories, with different characters, emerge in diverse cultures, leading me to the discovery of the ‚Aarne-Thompson classification system‘. This system categorizes folktales based on their narrative structure, and the animal crossing the river story is one such structure shared across many cultures.

I transformed the folktale about crossing the river into a type of shamanic (Yi-Zhen) folk dance, using the dance form to reinterpret the folktale.

By exploring the universal structure of folktales, I engage in discussions about multiple identities spanning a diverse range of ethnicities. The folk dance performance is embedded within a universal folk story structure, examining the use of materials and identity across diverse ethnicities. Despite differences in religions, core messages are remarkably similar. Various types of folktales share a common structure. I employ the concept of a compound eye to explore multiple identities across a diverse range of ethnic groups and the universal structure of folktales.

Your stop-motion film plays with perspectives and cuts – can you please tell me more about this?

In this film, I have experimented with and contemplated various cinematic languages, such as montage, numerous close-up shots, and special-angle shots, all used to create atmosphere. Because the entire work lacks language, the editing and rhythm of the shots are crucial narrative tools for me.

Compound Eyes of Tropical“ takes folk stories about crossing rivers from different regions as its main narrative and backdrop. It uses montage editing techniques to present different versions of the story within a single timeline, practicing the combination and blending of different cultures in the same temporal and spatial context through rapid transitions between shots.

What materials did you use to create your film?

I use a traditional paper-based craft skill passed down through generations in my family to create puppets for this film. In Taiwan, this craft technique is typically used for making paper offerings, especially for funerals. I adapted and applied this technique in my work. The visual feeling of materials is crucial in my creative process, and the materiality of paper is an essential aspect of my creation. This work extensively employs paper materials, with the puppets‘ exteriors retaining the original texture of newspapers to portray their skin and fur. I use newspapers from different languages, such as Chinese, English, and Indonesian, to reflect the dialogue between different texts.

The textural quality of water in this film is also something I pay close attention to. The water in the video is a mixture of different types of paper and some plastic bag materials.

The rhythm of the drums and the lack of language characterize the film equally – can you tell me more about the sound?

Precisely, similar to my previous works, I choose to convey messages in a non-verbal manner. I believe there are diverse ways to express language.

During the conceptualization of this work, I aimed for each character to possess a distinctive sound or visual symbol, as if they were symbols of another language. For example, the entrance of a fly is accompanied by the sound of a bell, while the opening and closing of the crocodile’s mouth are synchronized with the rhythm of the traditional instrument, the cymbal. Consequently, during character performances, various rhythms are generated through the collaborative efforts of different instruments.

In highlighting the drumming element, „Tropical Compound Eyes“ interprets a traditional Taiwanese performance . In such performances, drumming often serves as a cue for the actions of the performers. The performers, in turn, move in accordance with the drum rhythm, and occasionally, the tempo of the drumming contributes to creating the overall atmosphere, influencing the audience’s emotions, whether it is a fast or slow tempo.

Beyond the use of instruments, in terms of the materials employed in production, I utilized newspapers with various languages to craft the skin, clothing, and accessories of each character. This also serves as an additional interpretation of language for me.

In what framework, with what team size and over what period of time were you able to realize your film?

This film „Tropical Compound Eyes“ was in production for approximately three years, with a core team of five individuals, comprising three animators (including myself) and two art designers . As we are a very small team, it often requires individuals to take on multiple roles.

The filming and production space was relatively limited, amounting to about 5 ping (a unit of area in Taiwan, equivalent to approximately 16.5 square meters). This constraint prompted us to  design scenes that were modular and easy to transport, so we can have  more flexibility in scheduling at any given time.

Can you tell me a bit more about yourself and how you came to make the film?

My work is deeply connected to my family’s background in crafting traditional paper artworks used in ceremonial events such as funerals and worshiping deities. In Taiwanese culture, people make offerings to the deceased and gods by burning paper objects or paper money.

I often assisted my family in crafting these paper artworks for sale, using traditional methods. These artworks could range from large houses, clothing, or items needed by the deceased in the afterlife to mythical creatures, animals, or representations of gods. The inner structure of these puppets is crafted from bamboo and newspaper, resembling the skin of gods. Traditionally, newspapers should be covered with a layer of craft paper and decorations, but in my work, I chose to leave the newspaper exposed for the audience.

The performance of „Compound Eyes of Tropical“ is heavily influenced by the traditional Taiwanese folk dance known as „Yi – Zhen,“ commonly performed during religious ceremonies. The dancer wears a costume covering the upper body, resembling an animal or deity, with the legs visible. This dance typically follows a basic storyline and is performed as an offering to the gods.

In these traditional ceremonial folk performances , dancers wear dragon or lion costumes, with the dragon costume being more common. I incorporated this type of folk dance into a jungle setting for my work.

In dragon performances, the dragon often chases a round bell on top of a long pole controlled by another performer. I applied this folk dance formation to the characters in my video. The main puppet represents the folk dancer, wearing a half-fox, half-mouse-deer costume on the upper half. The fly symbolizes the bell that the half-fox and mouse-deer are chasing, and you can hear the sound of a bell every time the fly appears.

Are there any new projects planned? 

The latest project is quite secret.

Questions asked by Doreen Kaltenecker

Read on the german review of the short film „Compound Eyes of Tropical

Kommentar verfassen