„Die Kinder aus Korntal“ (2023)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: „Die Kinder aus Korntal“ ist eine Dokumentation von Julia Charakter, die ihre Weltpremiere auf dem 66. DOK Leipzig 2023 feierte und den DEFA-Förderpreis gewinnen konnte. Sie beschäftigt sich mit den jahrzehntelangen Missbrauchsfällen der evangelikalen Brüdergemeinde in einem kleinen Ort namens Korntal, positioniert sich dabei klar, fordert zum Handeln auf und lässt trotzdem beide Seiten zu Wort kommen.

In dem Ort Korntal in der Nähe von Stuttgart in Baden-Württemberg wurden über mehrere Jahrzehnte hinweg Kinder missbraucht. Dies passierte unter den Augen der Öffentlichkeit in den Heimen der evangelikalen Brüdergemeinde. 2013 beschlossen das ehemalige Heimkind Detlev Zander und mehr als 150 weitere Betroffene, den Skandal öffentlich zu machen. Nun steht die Gemeinde vor dem Aufarbeitungsprozess, doch dieser geht nur schleppend voran und deshalb kämpfen Zander und seine Mitstreiter:innen jetzt immer noch dafür, dass sie gehört werden. 

Die 90-minütige Dokumentation begleitet ehemalige Heimkinder auf ihrem leid- und mühevollen Weg dahin, dass die Brüdergemeinde und der Ort Korntal die Taten anerkennen und auch entschädigen. Detlev Zander war der erste, der die Missbräuche öffentlich gemacht hat und so ist er auch der Hauptprotagonist der Doku, der auch nach jahrelangen Kämpfen seine Bestrebungen nicht aufgibt. Die deutsche Regisseurin Julia Charakter begleitet ihn bei all seinen Wegen und er erzählt in Interviews, die oft mit harmlosen Aufnahmen der Gebäude oder des Ortes bebildert werden, was passiert ist. Hinzu kommen andere ehemalige Heimkinder, die mit ihr offen über das sprechen, was ihnen passiert ist. Dabei gibt es im Verlauf des Films in ihren Schilderungen einen Abwärtsspirale, denn nach und nach erzählen sie all das schreckliche Leid von harten und strengen Erziehungsmethoden hin zu Gewalt und Vergewaltigungen. Ein Gefühl von Fassungslosigkeit macht sich beim Publikum breit, das durch Interviews mit Ortsansässigen und dem jetzigen Vorsteher der Brüdergemeinde noch verstärkt wird. Wie kann ein ganzer Ort wegsehen und nicht erkennen, was jungen, unschuldigen Menschen angetan wird? Charakter findet dabei eine Inszenierung, die den Menschen und ihren Worten viel Raum lässt. Sie fügt keine weiteren Kommentare aus dem Off hinzu oder dramatisiert die Aufnahmen. Besonders gut ist der Einsatz des Liedes „Kinder (Sind so kleine Hände)“ von Bettina Wegner. Am Anfang führt er in das Thema ein und am Ende entlädt er bei einer Pressekonferenz zum Aufklärungsbericht im Juni 2018 seine ganze emotionale Kraft. Die Dokumentation „Die Kinder aus Korntal“ ist ein starkes Portrait eines jahrzehntelangen Kampfes und ein Aufschrei. Es fordert klar einen anderen Umgang mit Missbrauchstätern und einen veränderten Blick auf solche Institutionen. So kann man hoffen, dass der Film, der auf dem DOK den DEFA-Förderpreis gewann, einem großen Publikum zugänglich gemacht wird und so viele Menschen erreichen kann.

Fazit: „Die Kinder aus Korntal“ ist ein sensible Dokumentation über einen großen Missbrauchsfall, der sich jahrzehntelang direkt vor den Augen eines ganzen Ortes abgespielt hat. Die Regisseurin Julia Charakter interviewt dafür Betroffene und begleitet den ersten Ankläger dieser Taten bei seinem Kampf um Anerkennung und Reputation. Auch die Gegenseite lässt sie zu Wort kommen und schuf so einen aufwühlenden Film, der das Publikum fassungslos zurücklässt und eine klare Botschaft mit sich bringt.

Bewertung: 9/10

Trailer zum Film „Die Kinder aus Korntal“:

geschrieben von Doreen Kaltenecker

Quellen:

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