Zehn Fragen an Jindřich Andrš

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Zoom-Gespräch mit dem tschechischen Regisseur Jindřich Andrš konnten wir mehr über seinen Debütfilm „A New Shift“ (OT: „Nová šichta“), der auf dem 63. DOK Leipzig 2020 seine Internationale Premiere feierte, erfahren, wie es zu dem Kurzfilm „The Last Shift of Tomáš Hisem“ (OT: „Poslední Šichta Tomáše Hisema“) kam, wie lange die Entstehung der Dokumentation gedauert hat, was ihm dabei wichtig war und wie es zu der gelungenen Zusammenarbeit mit Tomáš kam. 

The original english language interview is also available.

Dein Kurzfilm „The Last Shift of Tomáš Hisem“ wurde 2017 veröffentlicht. Wie hast du Tomáš gefunden und wie bist du zu diesem Projekt gekommen? Seine Geschichte erzählst Du in „A New Shift“ weiter – wie kam es zu der Entstehung beider Filme?

Ich habe in Zeitungen gelesen, dass es so ein Experiment geben soll, dass Bergleute zu Computerprogrammierern umgeschult werden. Und ich dachte, das ist doch nicht möglich, wie soll das denn gehen? Ich war auch deshalb interessiert, weil ich es in gewisser Weise als Metapher für das digitale Zeitalter und diesen großen gesellschaftlichen Wandel sah. Ich fühlte mich also davon angezogen, ging zum ersten Kurs und lernte dort Tomáš kennen.

Der Kurzfilm „The Last Shift“ ist ein Nebenprodukt zu meinem Langfilm. Wir begannen mit den Dreharbeiten zu „A New Shift“ im Jahr 2017, als die Mine geschlossen werden sollte. So konnten wir den Moment seiner letzten Schicht einfangen, aber wir durften nicht in die Mine hinuntergehen, also kam Tomáš auf die Idee, dass wir ihm vielleicht eine Kamera geben könnten und er es für uns filmen könnte. Und das taten wir dann auch. Es war eine Art Geheimoperation. Aber als er dann das Material mitbrachte, war es für uns so interessant, dass wir beschlossen, einen weiteren Film nur aus dem Material der GoPro zu machen, weil wir wussten, dass dieses Material in der Langform-Dokumentation nur ein paar Minuten lang verwendet werden würde.

Hast du Tomáš für deinen Kurzfilm im Bergwerk irgendwelche Anweisungen gegeben, was er filmen sollte?

Wir haben ihm nur wenige Anweisungen gegeben, weil wir hauptsächlich die Arbeit filmen und den Bergbau zeigen wollten. Das ist auch der Grund, warum er so traurig ist, wenn er erfährt, dass es an diesem Tag keine Arbeit zu sehen gibt, als dann dieser Ausfall passiert und er den Bergbau nicht für uns filmen kann.

Wir haben ihm eigentlich nicht gesagt, dass er das Geschehen kommentieren soll, so dass wir wirklich überrascht waren, dass er zu einer Art Führer für den Zuschauer wurde. Dieser Aspekt hat uns sehr gut gefallen.

Tomáš ist wirklich offen und sympathisch. War es einfach, Tomáš für dieses Projekt zu gewinnen?

Ja, das war genau so. Aber es war auch einfach, weil wir Studenten waren. Wir sind als Filmhochschulstudenten auf ihn zugegangen und erst dann hat sich das zu so einem großen Projekt entwickelt. Anfänglich war es nur eine Übung für die Hochschule. Ich glaube, am Anfang konnte er sich nicht vorstellen, wie lange es dauern würde und wie viel Druck wirklich auf ihm lasten würde. Also traf er sich sehr bereitwillig mit uns und verbrachte Zeit mit uns und arbeitete am Film.

Wie lange haben die Dreharbeiten gedauert? Wie oft habt ihr Tomáš besucht?

Wir haben fast zwei Jahre lang gedreht. Insgesamt hatten wir 60 Drehtage.

Es war wirklich schwierig zu koordinieren und zu entscheiden, wann gedreht wird, da Tomáš wirklich seine persönliche Zeit für unsere Bedürfnisse ändern musste. Das war also ein großer Druck auf ihn und seine Familie.

Und dann wollten wir zum Beispiel auch sein allererstes Bewerbungsgespräch filmen. Stell dir vor, du gehst zu einem Vorstellungsgespräch und hast ein Filmteam im Schlepptau. Ich glaube, das ist sehr beängstigend, nicht nur für ihn, sondern auch für die Personalverantwortlichen. Es ist, als ob sie dann nicht nur dich einstellen, sondern auch diese verrückte Filmcrew, was ein guter Grund sein kann, dich nicht einzustellen. Das war also eine Herausforderung.

Eine weitere Herausforderung waren die Fußballspiele, weil Fußballfans wirklich dazu neigen, die Medien zu hassen. Es war also manchmal wirklich schwierig für uns, diesen Druck aufrechtzuerhalten und weiter an dem Film zu arbeiten.

Kannst du mir ein bisschen mehr über euren visuellen und dokumentarischen Ansatz erzählen?

Ich glaube, wir haben tatsächlich ziemlich viel über die formalen Aspekte nachgedacht. Wir wollten wirklich eine Art von Nähe erreichen, weil wir das Gefühl hatten, dass dies eine intime Geschichte ist. Wir waren also ganz nah an den Protagonisten dran und haben viele dieser schnellen Bewegungen mit der Kamera gemacht und wir wollten, dass die Sprache der Kamera dynamisch ist.

Was unseren dokumentarischen Ansatz angeht, so ist etwa ein Drittel des Films reine Beobachtung, ohne Regieanweisungen von mir, zum Beispiel die Fußballszenen oder in der Mine. Bei einem weiteren Drittel war ich eine Art Moderator, wo ich vielleicht erwähne, was mich interessiert und einfach frage, ob sie darüber sprechen können. Es wäre unmöglich, einen reinen Beobachtungsfilm zu machen und die ganze Zeit mit der Kamera an der richtigen Stelle zu sein. 

Also mussten wir über andere Ansätze nachdenken. Zum Beispiel die Kneipenszenen: Wir haben die Jungs einfach angerufen und sie in der Kneipe zusammengebracht. Dann habe ich etwas aus den Nachrichten über Tomáš auf den Fernseher gezeigt und wir haben einfach das Gespräch verfolgt, das sich daraus ergab. Ein anderes Beispiel sind die Journalisten, die Tomáš außerhalb der Mine Fragen stellen: Ich habe den Journalisten diese Fragen vorgeschlagen.

Und am Ende brauchten wir auch einige Rekonstruktionen: Es gab einige Momente, in denen es nicht möglich war zu filmen, weil Tomáš nicht wollte oder aus anderen Gründen. Wenn Du Dich an die Szene erinnern, als er irgendwie die Hoffnung verloren hat und sich mit seiner Frau auf dem Balkon unterhält. Das wurde eigentlich erst viel später gefilmt, als er schon einen Job hatte, weil er es zum eigentlichen Zeitpunkt nicht wollte. Aber als er den Job bekam, war er immer noch in der Lage, sich gedanklich in diese Zeit zu begeben und das für die Kamera nachzustellen. In diesem Sinne war Tomáš ein sehr guter Schauspieler. Etwa ein Drittel des Films ist tatsächlich mit diesen Rekonstruktionen gemacht.

Hat Tomáš den Film schon gesehen und was hält er davon?

Ja, wir haben ihm den Film schon vor etwa einem Jahr gezeigt, bevor wir ihn fertiggestellt haben, denn wir haben vorher vereinbart, dass wir sehr intime Dinge filmen dürfen, aber dann kann er entscheiden, was er im Film zeigen will. Wir hatten wirklich Angst, ob wir sein Einverständnis bekommen würden, aber zum Glück wollte er nichts herausschneiden. Das war großartig.

Er hat den Film auch nur einmal im Kino gesehen und dann haben wir gehört, dass er ihn vor etwa einer Woche gesehen hat. Ich glaube, er hat den Film wirklich gemocht. Ich glaube, er hatte Angst vor dem ganzen Aufwand und ob er in dem Film nur dumm aussehen würde. Wir machen uns weder über ihn noch über die Fußballfans oder seine Kollegen lustig. Viele Arbeiter werden manchmal auf eine absurde oder lustige Weise dargestellt. Unsere Protagonisten hatten also wirklich Angst davor. Jetzt denke ich, dass er wirklich glücklich ist, das Feedback der Zuschauer zu bekommen und zu wissen, dass es viele Leute gibt, die schreiben, dass er ein wirklich guter Typ und mutig ist. 

Man merkt wirklich, dass der Film offen ist für die Menschen, die ihr filmt, und das hat mir sehr gut gefallen. Arbeitet Tomáš immer noch als Softwareentwickler und ist er immer noch glücklich?

Er arbeitet jetzt für den Arbeitgeber, der im Film gezeigt wird, seit etwa zwei Jahren, glaube ich. Natürlich ist er aufgestiegen, weil er als Junior-Programmierer und Junior-Tester angefangen hat und jetzt ist er in einer höheren Position. Ich glaube, er mag den Arbeitsplatz wirklich, weil es gute Leute um ihn herum gibt. Ich glaube, er hat tatsächlich eine Firma gefunden, in die er wirklich hineinpasst. Es ist keine kalte, konzernartige Umgebung. Es ist ein recht kleines Unternehmen und ich denke, er hat dort gute Freunde gefunden. Natürlich gibt es einige Dinge, die er nicht mag, zum Beispiel wird er immer noch schlechter bezahlt als zu seiner Zeit als Bergarbeiter. Außerdem fällt es ihm im Gegensatz zu seiner Zeit als Bergarbeiter viel schwerer, die Fragen und Probleme, die er bei der Arbeit zu lösen hat, tatsächlich bei der Arbeit zu lassen und sie nicht mit nach Hause zu nehmen.

Habt ihr auch nach der Fertigstellung der Dokumentation noch Kontakt zu ihm?

Ja, haben wir! Wir sind während der Dreharbeiten ziemlich gute Freunde geworden, weil wir eine wirklich schwierige Phase seines Lebens über viele Jahre gemeinsam erlebt haben. Wir sind gemeinsam durch dieses Abenteuer gegangen. Wir sind immer noch in Kontakt, auch wenn es nichts mit dem Film zu tun hat.

Er lebt im entgegengesetzten Teil der Tschechischen Republik, er ist also ziemlich weit weg, so dass es für uns schwierig ist, uns zu treffen. Also rufen wir normalerweise an, aber manchmal kommt er zu einem Fußballspiel nach Prag. Dann treffen wir uns meistens und trinken ein Bier.

Ich weiß, dass es in der aktuellen Zeit eine Herausforderung ist, den Film in die Kinos zu bekommen, aber weißt du trotzdem, wann dein Film in die Kinos kommen könnte?

Ja, der Kinostart ist jetzt schon seit einem halben Jahr blockiert und wir mussten ihn immer wieder verschieben. Wir verhandeln noch über einen breiten Kinostart, das kann noch dauern.

Entwickelst du schon neue Projekte?

Ich entwickle mehrere Projekte und an einem davon arbeite ich schon seit geraumer Zeit. Ich würde gerne einen Film über MedizinstudentInnen machen. Genau wie „A New Shift“ ist dieses Projekt mit einer bestimmten Art von Arbeit verbunden. Ich würde gerne einen Film über einen Studenten oder eine Studentin machen, der oder die Medizin studiert und wie er oder sie sich verändert, wie aus einem Studenten oder einer Studentin ein junger oder eine junge Ärztin wird. Das ist also etwas, das mich interessiert und das ich jetzt entwickle.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Films „A New Shift“ und des Kurzfilms „The Last Shift of Tomáš Hisem“ 


Interview: In our Zoom conversation with Czech director Jindřich Andrš, we were able to learn more about his debut film “A New Shift” (OT: “Nová šichta”), which had its International Premiere at the 63rd DOK Leipzig, how the short film “The Last Shift of Tomáš Hisem” (OT: “Poslední Šichta Tomáše Hisema”) came about, how long it took to make the documentary, what was important to him in the process, and how the fruitful collaboration with Tomáš came about. 

Your short film “The Last Shift of Tomáš Hisem” was released 2017. How did you find Tomáš and how did you come to this project? You continue telling his story in “A New Shift” – what are the origins of both films?

I read in newspapers that there is this kind of experiment which will happen, that miners should retrain and become computer programmers. And I thought that is not possible, how could that happen? I was also interested because I saw it as a metaphor in a way for the digital era and going through this huge societal shift. So I was just attracted to it, I went to the first class and I met Tomáš.

The short film “The Last Shift” is a by-product of my feature film “A New Shift“.. We started to shoot “A New Shift” in 2017 when the mine was going to close. So we were able to capture the moment of his last shift, but we were not allowed to go down to the mine, so Tomáš came up with the idea that maybe we could give him a camera and he could film it for us. And so we did. It was all kind of a secret operation. But then when he brought the material, it was so interesting for us that we decided to make another film just from the material of the GoPro, because we knew that in the long-form documentary that material would be used for only a few minutes.

For your short film in the mine, did you give Tomáš any instructions on what he should film?

We only gave him a few instructions because we mainly wanted to film the work and show the mining. So that’s also why he’s so sad when he finds out that there is no work to see that day because then this failure happened and he couldn’t film the mining for us.

We actually didn’t tell him to comment on what was happening so that we were really surprised that he became a kind of a guide for the viewer. We really liked that aspect.

Tomáš is really open and sympathetic. Was it easy to win Tomáš for this project?

Yeah, it was just like that. But it was also easy because we were students. We approached him as a film school students. And then it developed into such a huge film and project. But at the beginning, it was just a school exercise. I think at the beginning he couldn’t imagine how long it would take and how much pressure would be on him, really. So he was very happy to meet with us and to spend the time and work with us on it.

How long did filming take? How often did you visit Tomáš?

We were shooting for almost two years. Altogether we had 60 shooting days.

It was really tough to coordinate and decide on when to film, since Tomáš had to really change his personal time for our needs. So that was a big pressure on him and his family.

And then, for example, we also wanted to film his very first job interview. Imagine that you are going to an interview with a film crew behind you. I think that’s very scary, not just for him, also for the HR manager. It’s as though then they are not hiring just you, but also this crazy film crew, which can be a good reason not to hire you. So that was challenging.

Another challenge were the football games because football fans really tend to hate the media. So it was really difficult for us sometimes to maintain this pressure and to continue to work on the film.

Can you tell us a bit more about your visual and documentary approach?

I think we were actually thinking quite a lot about the formal aspects. We really wanted to achieve a kind of closeness because we felt this is an intimate story. So we would be really close to the protagonists and we would just do a lot of these fast movements with the camera and we wanted to be the language of the camera to be dynamic.

Regarding our documentary approach, about one third of the film is pure observation, with no directions from me, for example the football scenes or in the mine.

For another third I acted as a kind of moderator, where I might mention what I’m interested in and just ask whether they could talk about that. It would be impossible to make a purely observational film and to be with the camera in the right place all the time. So we had to think about other approaches. For example, the pub scenes: we just called the guys and brought them together in the pub. Then I would put something on the TV from the news about Tomáš and we just followed the conversation that resulted. Another example are the journalists asking Tomáš questions outside of the mine: I suggested those questions to the journalists.

And in the end we also needed some reconstructions: there were some times when it was not possible to film because Tomáš didn’t want to or for some other reason. If you remember the scene when he kind of lost hope and he has a chat with his wife on the balcony. This was actually filmed much later, when he had a job already because he didn’t want to film when he was really working in the factory and he didn’t want to reflect on this at that time because it was too tough for him. But when he got the job he was still able to go in his mind to this time period and to recreate that for the camera. In that sense Tomáš was a very good actor. About one third of the film is actually done using these reconstructions.

Did Tomáš see the film already and what does he think about it?

Yeah, we already showed him the film about a year ago, before we finished it, because we agreed before that we will be allowed to film very intimate things, but then he will be able to decide what he wants to show in the film. We were really afraid whether we would get his approval, but luckily, he didn’t want to cut out anything. That was great.

He also saw it just once in a cinema and then we heard he saw it like a week ago. I think he really liked the film. I think he was afraid about all the effort and whether he would just look stupid in the film. Now I think he is really happy to have viewers’ feedback and to know that there are a lot of people writing that he’s a really good guy and he’s brave. We are not making fun of him or of football fans or his colleagues.

Many workers are sometimes shown in an absurd or funny way. So our protagonists were really afraid of this.

You can really see that your film is open for the people you are filming and I really liked that. Is Tomáš still working as a software developer and still happy?

He’s now working for the employer shown in the film for about two years, I think. Of course, he moved up because he was starting as a junior programmer and junior tester and now he’s more senior. I think he really likes the place because there are good people around him. I think he actually found the company where he really fits in, it’s not some cold, corporate environment. It’s quite a small company and I think he has found good friends there. Of course, there are some things he doesn’t like, for example he is still paid less than when he was a miner. Also, unlike as a miner he has a much harder time leaving the issues and problems he has to solve at work actually at work and takes them home with him.

Do you still have contact with him after having finished the documentary?

Yeah, we have! We became quite good friends during the filming, because we experienced a really difficult period of his life together over many years. We went through this adventure together. We are still in touch, even if it’s not connected to the film.

He lives in the opposite part of the Czech Republic, so he’s quite far away, so it’s difficult to meet for us. So we usually call, but sometimes he’s coming to a football match in Prague. So then we usually meet and have a beer.

I know that getting your film into cinemas is challenging in the current time but do you nevertheless know when your film might come to cinemas?

Yeah, the release has now been blocked for half a year and we always had to postpone it. We are still negotiating about a broad release, which can take quite some time.

Are you already developing any new projects?

I’m developing several projects and one of them I’ve been working on for quite a time. I would like to make a film about medical students. Just like “A New Shift” that project is connected to a certain type of work. I would like to make a film about a student who is studying medicine and how does he or she change, how is a student becoming a young doctor? So that’s something I’m interested about and I’m now developing.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the film “A New Shift” and the shortfilm “The Last Shift of Tomáš Hisem

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