Sieben Fragen an Eugenia Bakurin

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Interview: Im Gespräch mit der Regisseurin Eugenia Bakurin konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Long Time No Techno“ erfahren, der auf der Eröffnung des 35. Filmfest Dresden 2023 lief und den Short Tiger Award gewann. Sie erzählt, wie der Krieg das Projekt verändert hat, wie viel Material sie für den Found-Footage-Film sichten musste und warum sie sich auf das Cannes Filmfestival freut.

Wie ist die Idee zu Deinem Found-Footage-Film entstanden? Was war zuerst da? Die Bilder oder die Musik?

Die Idee zu „Long Time No Techno“ hat sich mit der Zeit entwickelt. Ich hatte bereits zuvor eine ähnliche Arbeit gemacht, bei der ich Material aus dem sowjetischen Fernsehen verwendet hatte. Ich fand es faszinierend, damit zu arbeiten. Also suchte ich eine Weile nach einem passenden Thema für ein neues Projekt, bis ich schließlich auf die Kinderfilme gestoßen bin. Einen Zusammenschnitt aus magischen oder glücklichen Momenten hielt ich für eine gute Idee. Obwohl ich die Filme aus meiner eigenen Kindheit kannte, waren sie in Vergessenheit geraten.

Parallel dazu arbeitete Momen Shaweesh an seinem neuen Album „Mersal“. Als ich das Stück „Oud Tech“ zum ersten Mal hörte, wollte ich es unbedingt in meiner Arbeit verwenden. Glücklicherweise erhielt ich seine Erlaubnis dafür. Anfang Februar 2022 erstellte ich den ersten Entwurf des Films.

Als dann am 24. Februar 2022 Putin die Ukraine überfiel, war ich zutiefst betroffen. Die Situation ließ mich nicht los, und ich musste die Arbeit vorerst unterbrechen. Ich empfinde eine starke Verbundenheit zur Ukraine und konnte nicht verstehen, wie man dieses Land angreifen konnte. Schließlich hatten solche Filme die Kindheit der heutigen russischen Soldaten genauso geprägt wie meine eigene.

Um meinen Unmut, meine Verzweiflung und Trauer über die Situation auszudrücken, entschied ich mich dafür, den Film ausschließlich aus ukrainischen Quellen zusammenzusetzen, die aus der Sowjetzeit stammten. Denn der Angriff auf die Ukraine bedeutet auch Angriff auf die Verbindung und das gemeinsame kulturelle Erbe des gesamten postsowjetischen Raumes.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit dem Komponisten Momen Shaweesh?

Die Zusammenarbeit mit Momen verlief sehr inspirierend. Wir hatten regelmäßigen Austausch, sowohl persönlich als auch digital. Er war sehr offen für meine Vision und Ideen. Seine Musik verlieh meinem Film eine zusätzliche Dimension und trug maßgeblich zur gewünschten Stimmung bei. Ich bin außerordentlich dankbar für seine Mitwirkung, die letztendlich zu einer gelungenen Symbiose von Bild und Ton führte. 

Wie viel Material hast Du gesichtet und nach welchen Kriterien hast Du die Filmaufnahmen ausgewählt?

Insgesamt habe ich zwölf Filme gesichtet, was etwa 22 Stunden Material entsprach. Es war eine zeitaufwendige Aufgabe, das gesamte Filmmaterial zu durchsuchen und nach den passenden Aufnahmen zu suchen.

Bei der Auswahl der Filmaufnahmen habe ich mich auf Ausschnitte konzentriert, die glückliche oder skurrile Momente darstellten. Ich suchte gezielt nach Szenen, die eine Verbindung zum Tanz hatten oder allgemein eine kindliche Freude vermittelten.

Nicht alle Filmaufnahmen passten jedoch in das Konzept und die gewünschte Atmosphäre meines Films. Letztendlich habe ich mich auf die besten Ausschnitte aus nur fünf Filmen beschränkt, die am besten meinen Kriterien entsprachen und die Botschaft meines Films am stärksten vermittelten.

Der Rhythmus und das Zusammenspiel mit der Musik sind so immens wichtig, so dass ich mir den Schnitt herausfordernd vorstelle. Kannst Du mir zum Schnittprozess erzählen?

Der Schnittprozess war in der Tat eine große Herausforderung für mich. Es gab sowohl Vor- als auch Nachteile darin, mit bereits fertiger Musik zu arbeiten. Die Komposition hat sowohl etwas ruhigere Momente als auch sehr energiegeladene Passagen. Diese Spannung wollte ich nutzen.

Der Schnitt kann auf zwei Ebenen betrachtet werden. Zum einen ging es um den inhaltlichen Aspekt: Ich versuchte, aus den vorhandenen Filmclips eine neue Geschichte zu erzählen. In meinem Film steht ein kleiner Junge im Mittelpunkt, der ein Musiker ist und Klavier spielt. In meiner Vorstellung fungiert er als Komponist, und alles, was im Film passiert, sieht er in seinem Geiste. Es sind die Träume und Fantasien eines gewöhnlichen kleinen Jungen: ein Besuch in einem Vergnügungspark oder einem Spielzeugladen. Ich habe versucht, visuelle Entsprechungen zu finden, die diese Vorstellungswelt zum Ausdruck bringen.

Auf der anderen Ebene befinden sich der musikalische Rhythmus und die Klangfarben der Instrumente. Hier habe ich ebenfalls nach visuellen Entsprechungen gesucht. Manchmal lag der Fokus auf dem Spielen eines bestimmten Instruments im Bild, während mir zu anderen Momenten Bewegungen und Perspektiven passend zum Rhythmus erschienen.

Es erforderte viel Feingefühl und Experimentieren, um den richtigen Schnitt zu finden, der sowohl die erzählte Geschichte unterstützt als auch mit der Musik harmoniert. Ich habe viele verschiedene Varianten ausprobiert, um den Rhythmus und die Emotionen der Musik visuell widerzuspiegeln.

Dein Film schafft es mit dem Short Tiger Programm bis nach Cannes. Freust Du Dich auf das Festival?

Ja, ich freue mich unglaublich auf das Cannes Festival! Die Tatsache, dass mein Film „Long Time No Techno“ mit dem Short Tiger ausgezeichnet wurde und somit in das ‚Next Generation Short Tiger‘-Programm aufgenommen wurde, ist ein riesiger Erfolg für mich. Die Premiere des Programms und die Preisverleihung fanden bereits in Dresden statt, wo ich die anderen Regisseur:innen und ihre Teams kennenlernen durfte. Es war großartig, so viele talentierte Filmemacher:innen zu treffen und sich auszutauschen.

Darüber hinaus organisiert die Filmförderungsanstalt gemeinsam mit German Films Workshops und Trainings für uns, um uns auf die Präsentation unserer nächsten Projekte vor Fachpublikum vorzubereiten und potenzielle Partner:innen zu finden. Ich bin sehr dankbar für diese Unterstützung und die Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln.

Die Teilnahme am Cannes Festival ist für mich eine unglaubliche Chance, mein neues Projekt weiter voranzutreiben. Ich werde die Gelegenheit nutzen, um mich mit anderen Filmemacher:innen und Produzent:innen zu vernetzen und mögliche Kooperationsmöglichkeiten zu erkunden. Ich bin gespannt auf die Reaktionen und das Feedback auf meinen Film und hoffe, dass er beim Festival eine positive Resonanz findet.

Kannst Du mir noch kurz was von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Ich wurde in Kasachstan geboren, habe jedoch belarussische, ukrainische und russlanddeutsche Wurzeln. Seit 2002 lebe ich in Deutschland. In meinem direkten Umfeld gab es keine Menschen, die im Bereich Film oder Kunst tätig waren. Dennoch wusste ich schon als Teenager, dass ich gerne an einer Kunsthochschule studieren würde. Nach meinem Abitur in Hamburg entschied ich mich jedoch zunächst dafür, Lehramt zu studieren, da ein reines Kunststudium für mich damals noch unsicher erschien. Somit habe ich Kunst, Wirtschaft und Politik studiert.

Dies führte mich nach Kiel, wo ich die Möglichkeit hatte, diese Fächerkombination gleichzeitig an der Universität und der Muthesius Kunsthochschule zu studieren. Im Kunststudium musste man sich auf einen Schwerpunkt festlegen, und für mich war es dann Medienkunst und später Experimentalfilm. Die Entscheidung, Filme zu machen, traf ich während einer Exkursion nach New York. Dort besuchten wir mit unseren Professoren Arnold Dreyblatt und Stephan Sachs das Anthology Film Archive. Die Filme, die ich dort sah, beeindruckten mich zutiefst, insbesondere Larry Gottheims „Fog Line“ von 1970. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich auch Experimentalfilme machen will, und so landete ich in der Filmklasse.

Nach meinem Lehramtsstudium habe ich zunächst mein Referendariat abgeschlossen, wobei ich mich auch dort auf das Thema Film im Kunstunterricht spezialisiert habe. Nach dem Staatsexamen entschied ich mich dann, an die Kunsthochschule zurückzukehren und mein Studium im Bereich Experimentalfilm fortzusetzen.

Der Weg zum Film war für mich also ein langer Prozess, der durch meine Leidenschaft für Kunst geprägt wurde.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ja, ich arbeite fast immer an mehreren Projekten parallel. Eines meiner aktuellen Projekte ist ein immersives Medienprojekt namens „Terra Media“, an dem ich gemeinsam mit meiner Arbeitspartnerin Pola Rader arbeite. Es handelt sich um ein medienkünstlerisches Erlebnis, das in erster Linie für Kinder konzipiert ist. Es besteht aus zwei Räumen, in denen man märchenhafte Erfahrungen machen kann. Kurz gesagt, es handelt sich um interaktive Projektionen. Jeder Raum repräsentiert ein Märchen, wobei das eine Märchen das Thema Loslassen behandelt und das andere Märchen die andere Seite der Medaille, nämlich Vergebung, beleuchtet. Unsere Inspiration dafür waren kasachische und slawische Mythologien. Das Projekt wird bereits durch die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein unterstützt, und wir befinden uns derzeit in der Prototypenphase. Ich freue mich darauf, das Projekt bald in die Produktion bringen zu können, dafür suchen wir gerade aktiv nach weiteren Förderungen und Sponsoren.

Ein weiteres Projekt, an dem ich zurzeit arbeite, ist ein essayistischer Dokumentarfilm, der ebenfalls Found Footage beinhalten wird. Der Arbeitstitel des Projekts lautet „Wo kommst du eigentlich her?“. Dort beschäftige ich mich mit der Frage der nationalen Identitäten in Osteuropa und gehe dabei von meiner eigenen Familiengeschichte aus. Dafür reise ich nach Kasachstan, Belarus und hoffentlich bald auch in die Ukraine. Ich habe bereits vor der Pandemie einige Recherchereisen unternommen und bin derzeit auf der Suche nach einem Team und Produzenten, die mich bei der Umsetzung des Films unterstützen würden. Ich würde dieses Projekt gerne auch in Cannes vorstellen, daher bin ich gespannt auf die Möglichkeiten, die sich dort bieten. 

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Long Time No Techno

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