Acht Fragen an Alison Kuhn (2023)

Doreen Kaltenecker
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URBAN RUTHS BERLIN

Interview: Im Gespräch mit der Regisseurin Alison Kuhn („The Case You“ (2020), „Fluffy Tales“ (2021)) konnten wir mehr über ihre Regiearbeit bei der Serie „Watch Me – Sex sells“, die in der Mediathek vom ZDF zu finden ist, erfahren. Sie erzählt darin, wie sie zum Projekt dazu kam, welche Anforderungen ‚Instant Fiction‘ mit sich bringt und wie der Cast mit diesen Themen vor allem der damit einhergehenden Nacktheit umgegangen ist. 

Kannst Du mir mehr zur Skriptentwicklung der drei Autor:innen erzählen und wie Du zu dem Projekt dazu gekommen bist?

Ich wurde als Regie angefragt, als es schon die Charaktere und einen Staffelbogen gab. Daher kann ich nur vom Hörensagen erzählen, dass die Autor:innen Lene Pottgießer, Jonas Bock und Christian Hödl wohl schon seit einiger Zeit eine Stoffidee zum Thema digitalisiertes Sexwork hatten und die Produktionsfirma DRIVEbeta scheinbar ebenfalls. Also sind beide Parteien aufeinander zugegangen und haben angefangen, gemeinsam zu entwickeln. Die Autor:innen haben viel recherchiert und wurden auch durch Expert:innen beraten, die selbst in dem Feld tätig sind.

Wie früh war das ZDF involviert und wie passt der öffentlich-rechtliche Sender zu eurem Format?

ZDF und Jonas Römmig

Anna Werner Friedmann und Agnes Decker

Das ZDF war schon in die Charakter- und Staffelbogenentwicklung involviert. Wir hatten mit Ronja Reitzig und Julia Brand zwei tolle junge Redakteurinnen, die sehr für das Projekt gekämpft haben. Es ist die erste ZDFneo-Eigenproduktion mit FSK16 und alleine daher schon ungewöhnlich für den Sender und das Format. Es war sehr anspruchsvoll, dieses sogenannte ‚Instant Fiction‘-Format mit diesem Thema zu bespielen. Der Gedanke dahinter besteht nämlich darin, zeitaktuelle Themen so zügig zu produzieren, dass sie zum Veröffentlichungszeitpunkt noch aktuell sind. Es sollen nur sechs Monate zwischen Idee und Veröffentlichung liegen.

War von Anfang an klar, dass es nur eine Mini-Serie mit sechs Folgen werden sollte?

ZDF und Tiana Lenz

Maddy Frost

Ja, das ist ein vorgegebener Teil des ‚Instant Fiction‘-Formats. Eigentlich sollten es nur 15 Minuten pro Folge werden, aber da hatten wir dann wohl zu viel zu erzählen mit unseren drei Strängen – daher sind wir etwas länger geworden.

Wo und wie lange habt ihr gedreht?

Wir hatten nur 12 Drehtage in Berlin. Was das für ein Ritt war, kann man sich mal ausgehend von den beinahe zwei Stunden Serienmaterial runterrechnen. Der ganze Cast und das tolle Team um Kameramann Jonas Römmig, Szenenbildnerin Katherine Halbach oder Kostümbildnerin Laura Schäffler – ich könnte noch zahlreiche weitere Namen nennen – hat Höchstleistung erbracht, um diese Qualität in der kurzen Zeit abzuliefern.

Was lag Dir bei der Inszenierung visuell am Herzen?

ZDF und Jonas Römmig

Maddy Forst, Agnes Decker und Tara-Louise Wittwer

Ich wollte gerne eine in sich geschlossene Welt kreieren. Jeder Charakter hat ein eigenes ästhetisches Konzept in Bezug auf Ausstattung, Farbgestaltung oder Cadrage. Ich wollte mich nicht von den Produktionsbedingungen der ‚Instant Fiction‘ dazu verleiten lassen, rough und improvisiert zu drehen. Für manche Projekte mag das gut aufgehen – da wird zum Teil sogar mit zwei Kameras gedreht, um Zeit zu sparen – aber DoP Jonas und ich hatten das Gefühl, dass dieses Sujet viel Ruhe und Gestaltung braucht. Es sollte keinen ‚Behind the Scenes‘-Charakter von digitalisierten Sexarbeiter:innen bekommen, sondern ganz klar eine fiktive Narration sein. So war es mir zum Beispiel wichtig, in den Szenen, in denen die intimen WatchMe-Inhalte von den Figuren produziert werden, niemals in die User-Perspektive zu springen, sondern ganz im Gegenteil immer zu kontextualisieren und in gewisser Weise zu entsexualisieren bzw. zu entromantisieren. Wir haben sehr viel Zeit in Vorbereitung und Konzeption gesteckt, sodass wir am Set gut vorbereitet waren und keine großen visuellen oder kreativen Entscheidungen mehr treffen mussten. Auch dies ist, wie ich finde, ein Schutz für die Schauspielenden und das Team. Wenn es um sensible Szenen geht, halte ich es das Beste, wenn alle Beteiligten schon im Vorfeld genau wissen, was passieren wird.

Die Auswahl der Darsteller:innen ist großartig! Wie habt ihr euren Cast gefunden?

ZDF und Tiana Lenz

Simon Mantei und Michelangelo Fortuzzi

Ja, ich mag unseren Cast super gerne! Die tolle Stephie Maile war Casting Director auf diesem Projekt und wir haben gemeinsam recherchiert, gebrainstormed, gecastet und schließlich in Absprache mit Redaktion und Produktion besetzt. Michelangelo Fortuzzi hatte ich zum Beispiel schon beim Lesen des Staffelbogens direkt im Kopf und habe mich sehr gefreut, dass auch er Lust auf die Rolle hatte. Anna Werner Friedmann und Simon Mantei haben uns beim Casting total überzeugen können und auf Maddy Forst sind wir über die Folkwang Universität aufmerksam geworden, wo sie bald ihren Schauspiel-Abschluss machen wird. Für die Spielpartner:innen, mit denen unser Hauptcast intime Szenen drehen sollte, haben wir auch den Cast in die Besetzungsentscheidung miteinbezogen, weil wir wollten, dass sie sich maximal wohlfühlen.

Wie gelang es den Schauspieler:innen mit so viel Nacktheit umzugehen?

ZDF und Jonas Römmig

Anna Werner Friedmann

Ich bin total beeindruckt, wie entspannt alle damit umgegangen sind. Das war natürlich auch unserer wunderbaren Intimacy Koordinatorin Marit Östberg zu verdanken, die das Projekt von der Entwicklung über das Casting und die Proben bis hin zum eigentlichen Dreh betreut hat und den Schauspielenden, wie auch mir, stets zur Seite gestanden hat. Es hat dem Cast sicherlich geholfen, dass das gesamte Team im Vorfeld von Marit gecoacht wurde. Ein ‚Closed Set‘ hatten wir in den entsprechenden Szenen natürlich sowieso. Es war auch wichtig, dass die Schauspielenden immer die Motivation für Nacktheit oder Intimität verstanden haben. Ein Ansatz von mir war zum Beispiel, dass ich nackte Körper gerne auf nicht-sexualisierte Weise filmisch darstellen und damit normalisieren wollte. Explizite Nacktheit war mir also im ‚Davor‘ und ‚Danach‘ wichtiger, als während der eigentlichen intimen Handlungen. Ich schätze, dass das auch dem Cast geholfen hat, damit umzugehen. Gegenseitiges Vertrauen, eine angenehme Arbeitsatmosphäre und gute Stimmung im Team sind hier natürlich immer das A und O.

An welchen neuen Projekten arbeitest Du momentan?

ZDF und Tiana Lenz

Jan Krauter und Anna Werner Friedmann

Als nächstes werde ich im Oktober einen Kinofilm drehen, den ich in dem Fall auch selbst geschrieben habe. Es wird eine schwarze Komödie über künstlerische Selbstverwirklichung, familiäre Verpflichtungen und die katholische Kirche. Dann arbeite ich noch an einem weiteren Kinofilm, über den ich aber leider noch nicht so viel sagen darf.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension der Serie „Watch Me – Sex sells

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