Sieben Fragen an Alison Kuhn

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© Urban Ruths Berlin

Interview: Im Gespräch mit der Filmemacherin Alison Kuhn („The Case You“ (2020), „Fluffy Tales“ (2021)) konnten wir mehr über ihren neuesten 30-minütigen Kurzfilm „Schwarmtiere“, der den 56. Hofer Filmtagen lief, warum sie sich entschieden hat, eine Geschichte von Rilke in die heutige Zeit zu holen und was dabei inszenatorisch herausfordernd war.

Wie kamst Du auf die Idee, die Novelle “Die Turnstunde” von Rainer Maria Rilkes zu verfilmen?

Es gibt ein Programm von 3sat, das sich „KlassiXS“ nennt. Darauf kann man sich jedes Jahr mit Abschlussfilm-Ideen bewerben. Die Voraussetzung besteht darin, dass es die moderne Adaption eines literarischen Werkes sein muss, dessen Autor*in bereits vor über 70 Jahren gestorben sein muss. Jedes Jahr gibt es außerdem ein anderes Leitthema, zu dem der Stoff passen muss – in meinem Fall war es ‚Einsamkeit‘. Ich habe also wochenlang Literatur gewälzt, bis ich schließlich auf „Die Turnstunde“ von Rainer Maria Rilke gestoßen bin. Die Geschichte zog mich sofort in ihren Bann, da sie zwar um 1900 geschrieben wurde, sich jedoch wahnsinnig zeitgenössich liest. Es gefiel mir, wie Rilke soziale Strukturen am Beispiel einer Klasse von Jungs aufzeigt und all dies in nur eine Szene packt, aus der die Originalnovelle besteht. Diese Reduktion gab mir außerdem die Gelegenheit, mich als Drehbuchautorin auszutoben. Ich habe mich gefragt: Welche Geschichte könnte ich bauen, die in dieser einen Szene gipfelt? Dass der Stoff bisher noch nie verfilmt wurde, war natürlich auch ein Plus.

War es schwierig oder leicht, die Geschichte in die heutige Welt zu holen? Auf was hast Du Dein Augenmerk bei der Modernisierung gelegt?

Gwentsche Kollewjin

Zuallererst musste ich ein neues Setting finden, da die Originalnovelle in einer Militärakademie spielt, die in dieser Form heute nicht mehr existieren könnte. Am geeignetsten erschien mir die Übertragung in ein Traditionsinternat. Davon gibt es in Deutschland noch einige. Eine heterogene Figurenkonstellation war mir besonders wichtig. Aus der reinen Jungenschule habe ich ein gemischtes Internat gemacht und auch den Protagonisten ‚Karl Gruber‘ zu einer ‚Karla‘ umgeschrieben. Dennoch fand ich es schön, eine gewisse Zeitlosigkeit beizubehalten, um Bezüge zur Novelle herzustellen. So war es mir zum Beispiel wichtig, mein modernes Internat in einem historischen Gebäude zu erzählen. Wir hinterfragen in unserem Film ja das Konstrukt von ‚Tradition‘ kritisch und wollten dieses deshalb auch visuell und narrativ im Film verankern.

In welchem Rahmen ist Dein Kurzfilm entstanden?

Der Film ist eine Koproduktion von ZDF / 3sat und der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF. Ich und viele weitere unserer Teammitglieder haben damit den Bachelor-Abschluss gemacht. Wir hatten 13 Drehtage im August 2021 und haben in Berlin und Brandenburg gedreht.

Du hast schon Lang- und Kurzfilme realisiert. Jetzt nun ein mittellanger Film – wie kam es zu der Länge?

Die Länge war durch den Sender vorgegeben. Ich hatte Lust auf das mittellange Format, da es – besonders dramaturgisch – ein sehr anspruchsvolles ist. Ich habe im langen Format bisher nur dokumentarisch gedreht, daher erschien mir dies wie ein guter Zwischenschritt vom Kurzspielfilm zum Langspielfilm. Ich habe also versucht, mich eher an einer Langfilmdramaturgie zu orientieren, als einen sehr langen Kurzfilm zu drehen.

Du hast Deine Geschichte nah an der Realität inszeniert. Was lag Dir visuell am Herzen?

Gwentsche Kollewjin

Visuell war es uns wichtig, die starren Konventionen des Internats zu verbildlichen. So haben wir in den Innenräumen der Schule zum Beispiel sehr viel vom Stativ gedreht. Die Kamerabewegung folgt sehr konsequent der Emotionalität unserer Protagonistin. So springen wir zum Beispiel auf eine Handkamera, wenn Karla wütend wird – beispielsweise als sie aus dem Schlaf gerissen wird oder auf ihren brennenden Bienenstock zuläuft. Weibliche Wut darzustellen war uns sowieso ein großes Anliegen. Für manche Bilder haben wir uns außerdem an Gemälden orientiert. In der Szenographie haben wir versucht, die Machtstrukturen zu unterstreichen – so ist das Büro des Rektors zum Beispiel sehr prunkvoll, während die Schlafzimmer der Schüler*innen eher schlicht gehalten sind. Das Motiv der „Schwarmtiere“ taucht immer wieder auf – in Form von Bienen oder Pfauen. Unsere wunderbare Kamerafrau Antonia Pepita Giesler und die tolle Szenenbildnerin Lucia Jo Eifler haben visuell eine Wahnsinnsleistung erbracht, wie ich finde.

Das Casting ist großartig – erzähl mir bitte mehr zur Wahl der Schauspieler:innen.

Linda Rohrer

Ja, ich bin auch super stolz auf den tollen Cast. Alle haben fantastische Arbeit geleistet. Es war sehr anspruchsvoll, dieses große Ensemble zusammenzustellen. Wir haben jede Menge junge Schauspielende zum Casting bzw. E-Casting eingeladen und blieben für die Hauptrolle sofort an Gwentsche Kollewijn hängen, die genau das verkörpern konnte, was wir uns gewünscht haben: eine Protagonistin, die zart und gleichzeitig rau erscheinen kann – die viel ausdrückt, ohne viel sagen zu müssen. Um sie herum haben wir das weitere Ensemble zusammengestellt. Dabei war uns Diversität, z.B. in Hinblick auf ethnische Herkunft oder Behinderungen, sehr wichtig.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ja, diverse Projekte, über die ich aber leider noch nicht allzu viel sagen darf. Nur so viel: Gerade bin ich in der Vorproduktion einer spannenden neuen Serie, die ich im Januar drehen werde und schreibe an zwei Langspielfilmen.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Schwarmtiere

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