„From Dawn To Midday on the Sea“ (2022)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Der Gewinner des Hans Ohlms Preis für den Besten Debütfilm auf dem 30. Internationalen Filmfest Oldenburg 2023 war der japanische Spielfilm „From Dawn To Midday on the Sea“ (OT: „海の夜明けから真昼まで“, Japan, 2022) von Takayuki Hayashi. Er berichtet dabei von seinen eigenen Gedanken als junger Mann und gibt einen Einblick in die Psyche von Incels, womöglich ohne, dass es ihm bewusst ist.

Nachdem eine junge Frau Mai (Hanon) von einem Mittzwanziger (Kaito Yoshimura) entführt und mehrere Tage festgehalten wurde, kehrt sie an ihre Schule zurück. Scheinbar unberührt von all dem Mitleid und Getuschel versucht sie sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Doch geprägt von ihren Erfahrungen, gelingt es ihr nur, zu dem zu aggressiven Ausbrüchen tendierenden Außenseiter Ujie (Yu Uemura) eine Verbindung herzustellen. 

Der japanische Regisseur Takayuki Hayashi erzählt in seinem 77-minütigen Debüt von den Gefühlen eines jungen Mannes und verarbeitet damit sein eigenes Gedankengut, was ihn früher umgetrieben hat. Dabei geht es um philosophische Fragen nach dem eigenen Glück, dem Leben an sich und ob man dem Club der 27 durch Suizid beitreten möchte. Doch schuf er nicht nur einen Film, der von einem Mann mit all diesen Gedanken handelt, sondern der aufgrund dieser eine junge Frau entführt. In seinem Gedankengut steckt dabei auch viel Misogynie, Abneigung gegen das gesellschaftliche System und man fühlt sich an die wütenden jungen Männer erinnert, die als Incels bezeichnet werden. Zwar gibt es hier keine Gewalt-Explosion, aber das Verhalten beider männlicher Figuren ist besorgniserregend. Doch schlimmer ist der mangelnde Abstand des Filmemachers zu seinen Protagonisten. Im Gegensatz scheint er gerade dies gut zu heißen und schuf mit seiner Frauenfigur einen Menschen, der den beiden Liebe und Verständnis entgegenbringt und so auch das Auf-die-armen-Männer-zugehen propagiert. 

Yû Uemura und Hanon

Dazu kommt eine Inszenierung, die ebenso verschrobelt ist wie das Gedankengut der beiden Männer und das Verhalten des Mädchens. In Rückblenden und in wenig zusammenhängenden Szenen wird die Geschichte der Annäherung beschrieben und oft lässt Hayashi Sachen im Unklaren. Das erzeugt aber auch Spannung und er kann diese bis zum Ende halten, so dass man als Zuschauer:in stets verlockt ist zu denken, dass noch etwas Schlimmeres kommen wird. Aber dies wird gerade nicht eingelöst, stattdessen geht es nur um den in sich gekehrten Blick. Durch Bilder, bei denen scheinbar nur draufgehalten wird, soll sich das Gefühl von philosophischer Stille einstellen, aber es gibt dem Film unnötige Längen. Auch wenn der Film jungen Menschen am Rand der japanischen Gesellschaft näher kommen möchte, ist das, was er erzählt, bedenklich und geht vom Ansatz her einen scheinbar falschen Weg.

Fazit: „From Dawn To Midday on the Sea“ ist ein japanisches Drama von Takayuki Hayashi, der sich darin einsamen jungen Männern mit mitfühlenden Blick annähert. Das ist mit dem Spiel der Ungewissheit und vor allem in seiner beinahe episodenhaften Struktur eine Zeit lang spannend, doch wird es mit der Zeit immer ärgerlicher, weil es inakzeptables Verhalten und Denkweisen verharmlost. Trotzdem ist ein Spielfilm entstanden, der zum Diskutieren einlädt und eine andere Sicht auf die japanische Gesellschaft offenbart, die bereits in Romanen wie Sayaka Murata („Ladenhüterin“) anklingt.

Bewertung: 5/10

Kinostart: unbekannt 

Trailer des Films „From Dawn To Midday on the Sea“:

geschrieben von Doreen Kaltenecker

Quellen:

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