Acht Fragen an Jillian Corsie

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der amerikanischen Regisseurin Jillian Corsie konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Tooth“ erfahren, der im ‚Shock Block‘-Programm des 24. Landshuter Kurzfilmfestivals 2024 lief, erfahren, wie sie die Zähne mit 2D-Animationen und praktischen Effekten zum Leben erweckt hat und wie sich eine Bekanntschaft von einem Radausflug als die perfekte Hauptdarstellerin entpuppte.

The original english language interview is also available.

Wie ist die Idee zu diesem Kurzfilm entstanden?

Im Sommer 2020 beschlossen meine Eltern, nach 34 Jahren aus dem Haus meiner Kindheit auszuziehen, was meine Mutter dazu veranlasste, gefühlt ihr gesamtes Hab und Gut bei mir abzuladen, einschließlich aller meiner Milchzähne! Sie hatte jeden Zahn aufbewahrt, der mir jemals aus dem Mund gefallen war (oder gezogen worden war).

Natürlich wusste ich nicht, was ich mit den Zähnen tun sollte, also legte ich sie in meinen Medizinschrank, wo sie ein Jahr lang lagen. Jeden Abend, wenn ich mir die Zähne putzte, starrte ich auf dieses Glas mit Zähnen. Bis ich „Tooth“ gemacht habe, hatte ich immer wieder den Alptraum, dass mir die Zähne ausfallen. Also fragte ich mich: Könnte ich diese Zähne benutzen, um diesen Albtraum zum Leben zu erwecken? Und was würde passieren, wenn ich mir die Zähne putzen würde und sie alle herausfielen? Ich habe diese Frage einer befreundeten Schriftstellerin gestellt. Ihre Antwort: „Nun, sie würden zum Leben erwachen und dich umbringen, natürlich.“

Und so wurde die Idee für „Tooth“ geboren!

Ich mag total Deine Mischung aus Stop-Motion und 2D-gezeichneten Gesichtern. Kannst Du mir etwas mehr zu der handwerklichen Seite erzählen?

Ich bin Cutterin und habe jahrelang als Schnittassistentin Kompositionen entworfen und Flame Artists bei der Arbeit beobachtet. Als ich mich also entschloss, diesen Film zu machen, hatte ich volles Vertrauen in die visuellen Effekte. Erstens wusste ich, dass ich so viele praktische Effekte wie möglich drehen wollte. „Jurassic Park“ [Anm. d. Red. 1993, Regie von Steven Spielberg] ist seit meiner Kindheit mein Lieblingsfilm – auch wegen der unglaublichen Effekte, die auch heute noch Bestand haben.

Ich bewunderte Spielbergs meisterhafte Mischung aus CGI und praktischen Effekten und klebte die Zähne an Drähte und Angelschnüre, wobei ich zusammen mit meinem Produktionsdesigner stundenlang ihre Bewegungen testete. Alle Nahaufnahmen der Zähne sind zu 100 % mit der Kamera umgesetzt. Wir haben die Drähte in der Nachbearbeitung entfernt. Für die Weitwinkelaufnahmen mussten wir uns etwas mehr einfallen lassen. Zum Glück ist mein Freund Jared Potter sehr begabt und hat alle Zähne gescannt, um 3D-Modelle der eigentlichen Zähne anzufertigen.

Da das Konzept von Natur aus absurd ist, war es nur natürlich, dass die Zahngesichter als einfache 2D-Animation erstellt wurden. Mein Freund Tom Smith zeichnete die einzelnen Gesichter und verlieh den Zähnen mehr Charakter.

Im Grunde genommen verwebt der Film nahtlos praktische Effekte, die durch visuelle 3D-Elemente verstärkt werden, mit charmanten 2D-Animationen. Das Ergebnis ist eine visuell dynamische und kohärente Erzählung, auf die ich sehr stolz bin.

Hattest Du Vorbilder, an denen Du Dich orientiert hast?

Steven Spielberg! Meiner Meinung nach ist er der Größte aller Zeiten. Was mich an Spielbergs Arbeit am meisten fesselt, ist seine Meisterschaft im Aufbau von Spannung, indem er die Enthüllung des ‚Monsters‘ oft kunstvoll bis zum richtigen Moment zurückhält. Er war ein Pionier bei der Kombination von praktischen und digitalen Effekten, vor allem in seinen frühen Werken, und er beeinflusst nach wie vor meinen Ansatz beim Filmemachen. Ich schaue mir immer noch mindestens einmal im Jahr „ET“, „Der weiße Hai“ und „Jurassic Park“ an.

Wie lange habt im Gesamten an dem Film gearbeitet und wie groß war euer Team?

Die Dreharbeiten selbst dauerten drei Tage und wir hatten eine achtköpfige Crew. Das ‚Set‘ war das Badezimmer meiner Eltern, und wenn meine Mutter gewusst hätte, worauf sie sich einlässt, als sie mir diese Zähne übergab, hätte sie es wahrscheinlich nicht getan. Wir drangen drei Tage lang in ihr Haus ein und beschäftigten sie als Handwerker.

Ich habe den Film in etwa einem Tag geschnitten und ihn an Jared, meinen Visual-Effects-Künstler, geschickt. Ich gab ihm sechs Monate Zeit für die visuellen Effekte, damit er neben anderen Jobs arbeiten konnte. Ich habe zwar jeden am Set entlohnt, aber die Preise waren meist Freundschaftspreise, so dass ich bereit war, sehr flexibel mit der Zeit umzugehen und ihnen so viel Zeit zu geben, wie sie brauchten, um die Arbeit zu erledigen. Das Gleiche gilt für die 2D-Animation, die Farbe, die Mischung und die Musikkomposition.

Wir schlossen die Dreharbeiten im Januar 2022 ab und hatten im September 2022 einen fertigen Film.

Wie kam Janine Peck zu dem Projekt dazu – und wie war es für sie, diese Rolle zu spielen?

Janine Peck

Die Beteiligung von Janine Peck an dem Projekt war eine zufällige Begegnung während einer Fahrradtour einer Frauengruppe. Meine Eltern sind gerade in eine neue Stadt gezogen, und meine Mutter versuchte, neue Leute kennenzulernen. Sie lud mich zu der Fahrradtour ein, und dort lernte ich Janine und ihre Frau Jeanne kennen und verliebte mich sofort in sie.

Sie sind beide so wunderbare und interessante Menschen, und Janine hat mit ihrem roten Lippenstift und ihrem wilden Selbstbewusstsein einen Hauch von Glamour an sich. Ich hatte das Drehbuch für „Tooth“ und wollte eine typische ‚20- oder 30-jährige Schauspielerin aus LA‘ besetzen. Ich bin Programmgestalterin bei einem Filmfestival, und wir haben uns gerade darüber unterhalten, dass wir immer die gleichen Gesichter auf der Leinwand sehen. Das brachte mich zum Nachdenken. Obwohl Janine keinerlei Schauspielerfahrung hatte und ich sie kaum kannte, wusste ich plötzlich, dass ich sie fragen wollte, ob sie in Betracht ziehen würde, sich von meinen Zähnen ermorden zu lassen.

Janine und Jeanne luden mich zum Abendessen ein. Nach dem Hauptgang nahm ich meinen Mut zusammen und erzählte ihnen von dem Film. Ich sah Janine an und sagte: „Würdest du jemals in Betracht ziehen, Schauspielerin zu werden?“ Sie unterbrach mich sofort mit einem lauten „JA!“

Sie brauchte nur wenige Anweisungen. Die Frau ist ein Naturtalent! Am Tag vor den Dreharbeiten gingen wir die Blockade durch und besprachen, wie wir ihren Sturz behandeln würden (wir ließen sie auf eine Luftmatratze zurückfallen). Die Tage waren lang und sie verbrachte die meiste Zeit auf einem kalten Badezimmerboden, aber sie war fantastisch. Sie war auch schon mit mir auf Filmfestivals unterwegs, verkleidet als riesiger Zahn!

Du drehst eigentlich Dokumentarfilme – wie (anders) war es, so einen unterhaltsamen Genre-Short zu schaffen?

Tooth“ ist mein erster narrativer Film, also war er auch ohne das Blut ganz anders! Ich bin Dokumentarfilmerin und Filmeditorin und habe mich auf charakterorientierte Erzählungen spezialisiert, die sich mit sozialen Themen befassen. Meine früheren Arbeiten befassten sich oft mit sensiblen Themen, und ich habe Jahre damit verbracht, hunderte von Stunden traumatischen Filmmaterials zu sichten. Ich bin zwar sehr stolz auf die Filme, die ich gemacht habe, und auf die Wirkung, die sie hatten, aber die Arbeit an ihnen macht in der Regel nicht so viel ‚Spaß‘.

Als meine Mutter mir meine Zähne übergab, gab sie mir die Gelegenheit, die Dinge aufzumischen und etwas zum Lachen zu machen.

Als Kind habe ich Horrorfilme geliebt und immer SNL-Parodien gemacht. Die Produktion von „Tooth“ fühlte sich an, als würde ich wieder das tun, was ich als kleines Mädchen geliebt habe. Ich habe mich mit meinen Freunden getroffen und einen albernen Film gedreht. Die Atmosphäre am Set war definitiv anders als die intensive, oft emotional aufgeladene Umgebung des Dokumentarfilms.

Kannst Du mir noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist? 

Ich glaube nicht, dass es jemals eine Frage war, dass ich Filmemacherin werden würde. Ich habe mit vier Jahren angefangen, Theaterstücke zu inszenieren und Filme zu drehen, als ich die VHS-Kamera meines Vaters in die Hände bekam. Ich habe immer Kurzfilme für Klassenprojekte gemacht, und als ich aufs College ging, war es klar, dass ich auf die Filmschule gehen würde.

Ich bin so glücklich, dass ich in diesem Medium arbeiten und Geschichten erzählen kann. Ich liebe es, wie ein Film, sei es ein großer, erschütternder Dokumentarfilm oder ein winzig kleiner Film mit Zahnpuppen, ein Publikum berühren und zu Gesprächen anregen kann.

Eine meiner schönsten Erinnerungen auf meiner Reise als Filmemacherin war eine Vorführung meines Dokumentarfilms „Trichster“ im Jahr 2015. Der Film befasst sich mit der Haarausfallkrankheit Trichotillomanie, und während einer Vorführung auf einer Trichotillomanie-Konferenz, an der 300 Menschen teilnahmen, stand ich hinten, als der Abspann lief. Am Ende standen alle 300 Menschen auf und klatschten. Ich war von so viel Gefühl und Stolz erfüllt. Ich liebe es zu sehen, welche Wirkung meine Filme haben können, und ich kann es kaum erwarten, mehr davon zu machen.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Der Erfolg von „Tooth“ gab mir das nötige Selbstvertrauen, um ein noch größeres Projekt zu starten: „Lamb“. Es ist ein Coming-of-Age-Horrorfilm, an dem ich gerade schreibe und den ich in Schottland in einer kleinen Schafstadt drehen werde, in der meine Großmutter lebte. „Lamb“ ist eine völlig neue Art von Herausforderung: Schreiben ist hart! Kürzlich habe ich erfahren, dass ich in der Endauswahl für ein Film Fatales Fellowship für ein Stowe Narrative Lab bin, was mir bei einigen dieser Überarbeitungen sehr geholfen hat.

„Lamb“ ist zwar ein Horrorfilm, aber auch ein sehr persönlicher Film über Trauer und Identität. Ich kann es kaum erwarten, mit der Produktion dieses Films zu beginnen!

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Tooth


Interview: In our conversation with American director Jillian Corsie, we learned more about her short film „Tooth„, which screened in the ‚Shock Block‘ program of the 24th Landshut Short Film Festival 2024, how she brought teeth to life with 2D animation and practical effects, and how an acquaintance from a bike ride turned out to be the perfect leading lady.

How did the idea for this short film come about?

In the summer of 2020 my parents decided to move out of my childhood home after 34 years, causing my mother to offload what felt like all of her belongings onto me…..including all of my baby teeth! She had kept every tooth that had ever fallen out of (or been pulled from) my head.

Of course, I didn’t know what to do with the teeth, so I put them in my medicine cabinet where they sat for a year. Every night I’d brush my teeth, and stare at that jar of teeth. Until I made „Tooth„, I had a recurring „teeth falling out“ nightmare. So I wondered…could I use these teeth to bring that nightmare to life? And what would happen if I were brushing my teeth….and they all fell out? I posed this question to a writer friend of mine. Her response: “Well, they’d come to life and kill you, of course.“

And so, the idea for „Tooth“ was born!

I really like your mix of stop-motion and 2D drawn faces. Can you tell me a bit more about the craft side?

I’m an editor and I spent years as an assistant editor roughing out comps and watching Flame artists work, so when I decided to make this film, I had complete confidence in what would be needed for visual effects. Firstly, I knew I wanted to shoot as many practical effects as possible. Jurassic Park has been my favorite movie since I was a kid – partly for the incredible effects it has that still hold up today.  

Drawing from my admiration for Spielberg’s mastery of blending CGI with practical effects, I glued the teeth to wires and fishing lines, spending hours testing their movements alongside my production designer. All of the closeup teeth are 100% practical; we removed the wires in post. For the wide shots, we had to be a little more clever. Luckily, my friend Jared Potter is super talented and he scanned all of the teeth to make 3D models of the actual teeth themselves.  

Because the concept is inherently absurd, it felt only natural that the tooth faces would be simple 2D animation, and my friend Tom Smith drew individual faces and gave the teeth more character.

In essence, the film seamlessly weaves together practical effects, enhanced by 3D visual elements, and charming 2D animation. The result is a visually dynamic and cohesive narrative that I’m immensely proud of.  

Did you have any role models that you took inspiration from?

Steven Spielberg! He’s the greatest of all time, in my opinion. What captivates me most about Spielberg’s work is his mastery in building suspense, often by artfully withholding the reveal of the ‚monster‘ until just the right moment. He pioneered blending practical effects with digital, particularly in his early works, and continues to influence my approach to filmmaking.

I still go back and watch „ET“, „Jaws“ and „Jurassic Park“ at least once a year.

How long did you work on the film in total and how big was your team?

The shoot itself took 3 days and we had a crew of 8. The “set” was my parents’ bathroom, and if my mom knew what she was in for when she handed me those teeth, she probably wouldn’t have done it. We invaded their house for three days, employing them as craft services. 

I cut the film in about a day and sent it off to Jared, my visual effects artist. I gave him 6 months to do the visual effects so he could work around other jobs. While I did compensate everyone on set, the rates were mostly “friend rates” so I was willing to be very flexible with time and give them as long as they needed to get the work done. The same goes for the 2D animation, color, mix, and music composition.

We wrapped the shoot in January 2022 and had a finished film in September of 2022.

How did Janine Peck get involved in the project – and what was it like for her to play this role?

Janine Peck’s involvement in the project was a serendipitous encounter that stemmed from a chance meeting during a women’s group bike ride. My parents had just moved to a new city and my mom was trying to meet people. She invited me along on the bike ride and it was there that I met Janine and her wife Jeanne, and instantly fell in love with them. 

They are both such wonderful and interesting people, and Janine has a flair of glamor about her with her red lipstick and wild confidence. I had the script for „Tooth“ and was considering casting a typical “20 or 30 something LA actress”. I’m a film festival programmer and we had just had a conversation about how we keep seeing the same kinds of faces on screen. That got me thinking. Suddenly, even though Janine had zero acting experience and I barely knew her, I knew I wanted to ask her if she would consider letting my teeth murder her.

Janine and Jeanne invited me over for dinner. After our main course, I got up the nerve and told them about the film. I looked at Janine and said, “would you ever consider acting…”. She cut me off right away with a loud “YES!”

She needed very little direction. The woman is a natural! We walked through the blocking the day before the shoot and discussed how we would handle her fall (we had her fall back onto an air mattress). 

The days were long and she spent most of her time laying on a cold bathroom floor, but she was fantastic. She’s also been on the film festival circuit with me dressed up like a giant tooth!

You actually make documentaries – how (different) was it to create such an entertaining genre short?

Tooth“ is my first narrative film, so it was wildly different even without the blood! I’m a documentary filmmaker and film editor specializing in character-driven narratives addressing social issues. My previous works often delved into sensitive subject matter and I’ve spent years sifting through hundreds of hours of traumatic footage. While I’m so proud of the films I’ve made and the impact they have had, they are usually not that much “fun” to work on. 

When my mom handed me my teeth, she handed me an opportunity to mix things up and make something for a laugh. 

When I was a kid I loved horror films and always made SNL spoofs. Making „Tooth“ kind of felt like I was getting back to doing what I loved as a little girl. I was hanging out with my friends and making a silly movie. The atmosphere on set was definitely different from the intense, often emotionally charged environment of documentary filmmaking.

Can you tell me a bit more about yourself and how you got into film? 

I don’t really think there was ever any question that I would become a filmmaker. I started putting on plays when I was 4 and making movies when I got my hands on my dad’s VHS camera. I always made short films for class projects so when I went to college it was a no-brainer that I’d go to film school.

I’m so lucky that I get to work in this medium and tell stories. I love how a film, be it a big, gut-wrenching documentary or a tiny little movie made with tooth puppets, can touch an audience and start conversations. 

One of my favorite memories in my filmmaking journey occurred during a screening of my feature documentary, ‚Trichster,‘ in 2015. The film explores the hair-pulling disorder trichotillomania, and during a screening at a trichotillomania conference attended by 300 people, I stood in the back as the credits rolled.At the end all 300 people stood up and clapped. I was filled with so much emotion and pride. I love seeing the impact my films can have, and I can’t wait to make more of them.

Are there any new projects planned?

The success of „Tooth“ gave me the confidence I needed to start an even bigger project: „Lamb“. It is a Coming-of-Age horror film I am currently writing that I will shoot in Scotland in a small sheep town where my grandmother lived. „Lamb“ is a completely new kind of challenge: writing is hard! I recently learned I am a finalist for a Film Fatales Fellowship for a Stowe Narrative Lab, which has really helped my confidence through some of these rewrites.

While „Lamb“ is a horror film, it is also a very personal one about grief and identity. I can’t wait to go into production on this one!

Questions asked by Doreen Kaltenecker

Read on the german review of the short film „Tooth

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