die bühne: Im schönsten Wiesengrunde

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Aufführungsbericht: Das Laientheater der TU Dresden nimmt sich der britischen Dramatikerin Sarah Kane an. Ihre Stücke sind mehr berüchtigt denn berühmt für ihre offene Gewaltdarstellung, für Brutalität, die aus allen Poren trieft. Wie wollen die Laien das darstellen, womit schon die Profis Probleme haben? Da soll der Schauspieler mitten auf der Bühne seinen Darm entleeren. Da werden Augen ausgesaugt und Dinge irgendwo hineingesteckt, wo sie nicht hineingehören. Für diese Schonungslosigkeit gewann Sarah Kane mehrere Preise, auch aus Deutschland. Dennoch nahm sich die depressive Britin 1999 das Leben. Sie wurde nur 28 Jahre alt. Ob ihr gefallen hätte, wie die Studenten ihr Werk verwursten?

Es wäre schon eine Herausforderung gewesen, ein einzelnes Drama der Sarah Kane zu inszenieren. Nicht schwer genug!, entschieden die Mitwirkenden um Regisseur Fynn Schmidt. Also kamen zu „Zerbombt“ („Blasted“) noch Versatzstücke von „4.48 Psychose“ („4.48 Psychosis“) plus einigem anderen Material hinzu. Wie sieht das im Ergebnis aus?

Überwältigend, anfangs. Zuerst sieht der Zuschauer schließlich das Bühnenbild. Und das hat Quentin Delaval beeindruckend reich und detailverliebt angelegt. Saftig grün leuchtet der Kunstrasen, auf dem Gartenmöbel aus Plastik stehen. Ein kleiner Zaun markiert die Grenze zum Nachbarn. Der Aufgang der Nachbarin ist mit Blumentöpfen verziert, in ihrer Küche steht alles Nötige. Das Publikum freut sich darauf, die Schauspieler in der Kulisse handeln zu sehen. Noch.

Es könnte so schön sein. @Max Helm PhotoArts

Vinzenz Buhl hebt an und ergießt als depressiver Ian auf das Publikum einen Schwall aus Selbstmitleid. Er jammert, findet sich dick, hässlich und unnütz. Im ersten Moment wirkt es noch skurril, doch schnell ist der Bogen überspannt. Was hat der für ein Problem? Das wird nicht klar. Hannah Breitenstein lächelt resolut den Weltschmerz ihres Gegenübers klein und redet ihm gut zu, während sie den Kaffeetisch deckt. Ist sie seine Freundin? Redet aber wie eine Ärztin. Irgendeine Form von psychiatrischem Betreuer? Das wäre sie dem Text von Sarah Kane nach, denn hier haben wir einen Teil von „4.48 Psychose“ vor uns. Darin verarbeitet Kane ihre eigenen Eindrücke während des Aufenthalts in der Psychiatrie. Das Programmheft weist die Figur dagegen als Nachbarin aus. Schon da zeichnet sich ab, woran der Abend scheitert. Allein die Verstrickung von zwei Dramen zu einem einzigen wäre schwierig geworden. Überhaupt nicht nachvollziehbar bleibt die Verlegung der Handlung in einen Garten. Dadurch verschiebt sich der Inhalt so, dass der Zusammenhang nicht mehr ersichtlich ist.

 

Keine Angst, das sind nur Hunde! @Max Helm PhotoArts

Nachdem sich unser depressiver Ian ordentlich ausgejammert hat und mehrmals an- und ausgezogen wurde, zieht ein Gewitter herauf. Es kündigt einen Bruch im Geschehen an. Amelie Schmidt und Marvin Klimainsky, die bisher im schwarzen und weißen Pelzmantel auf dem Boden lagen, erheben sich. Um ihre Hälse hängt jeweils ein dicker Strick. Sind sie Geister von Hingerichteten, ganz nach Fausts Gretchen? Wiedergänger oder Dämonen? Geschminkt sind sie so, doch das Programmheft nennt sie: Ians Hunde. Was sie dann erzählen, liegt jenseits des Wissenshorizonts eines jeden Vierbeiners. Sie berichten Ian von den Scheußlichkeiten, die während der Kriege geschehen, die auf der ganzen Welt grassieren. Soll Ian das von seinem Selbstmitleid herunterbringen? Oder soll es ihm sagen: Hast recht, die Welt ist schlecht, häng dich auf, kannst meine Leine haben? Es knirscht im Gebälk des Sinnzusammenhangs.

Zu den zwei Ian unheimlich umkreisenden Gestalten kommt noch der bärtige Nachbar von nebenan. Der hat bisher Ians Jammern mit Gelächter quittiert, mit Genuss und mangelnden Manieren seine Nudeln gemampft und in die Glotze geguckt. Jetzt kommt Robert Kersten als Nachbar in Bewegung. Er fragt Ian, ob er auch Soldat sei. Und ob er auf seiner Seite stehe. Welche Seite denn? Taliban? Militante Kleingärtner zur Erhaltung der deutschen Gartenzwergpopulation? Man weiß es nicht, wenn man Sarah Kane nicht kennt. Seit dem Gewitter bildet „Zerbombt“ die Textgrundlage des Dargestellten. Da geht es um einen reichen und sadistisch veranlagten Journalisten, der seine Freundin quält, dann aber vom einbrechenden Krieg überrascht wird. Alles, was die bühne den Hunden und nun auch dem Nachbarn in den Mund legt, sagt eigentlich der Soldat, der den Journalisten überfällt.

Nun reden die drei Unheimlichen auf Ian ein. Ob er schon mal jemanden getötet habe? Es geht um Folter, es geht um all das, was die Weltöffentlichkeit gar nicht wissen will. Schließlich zieht der Nachbar-Soldat Ian nach hinten, um ihn dort zu vergewaltigen. Dass die Hunde all das erzählen, was nicht sichtbar ist, ist ein klassischer wie genialer Schachzug. Zum Schluss zerrt der Nachbar sein Opfer noch mal hervor. Es sei nichts anderes und erst recht nichts Schlimmeres, wenn so was einem Europäer passiert statt einem Afrikaner, heißt es da ungefähr. Mit der Kirschtorte vom Plaste-Kaffeetisch verschließt der Nachbar Ian die Augen. Auch das löst die Schwierigkeit des Originaltextes gut, denn dort soll der Soldat (Nachbar) Ians Augen aussaugen.

Blendung durch Tortensahne. @Max Helm PhotoArts

Zum Abgesang zitiert der so geblendete Ian einen Text der Soziologie, der sich um das Fremde dreht. Darum, dass etwas nicht fremd sein kann, sobald es erwartet und bewillkommnet wird. Es ist eine starke Aussage, die jedoch nicht zum gerade Gebotenen passt.

Leider gibt es noch etwas, das so gar nicht passt, und das ist der Ankündigungstext. Sarah Kane ist in Deutschland trotz der Auszeichnungen so gut wie unbekannt. Wer nicht googelt, sondern einfach dem Appetitmacher-Text vertraut, der guckt während des Spektakels auf der Bühne ziemlich dumm aus der Wäsche. Denn dieser Text erzählt von Kleingartenidylle bis zur Pedanterie, vom Unglücklichsein zwischen Vogelzwitschern und Kirschtorte und von nervenden Nachbarn. Das klingt nach Nachbarschaftsstreit, nach Tortenschlacht und Gartenzwergen mit gespaltenen Schädeln. Das klingt aber ganz und gar nicht nach einem Einbruch des blanken Kriegsgrauens. Es ist gut möglich, dass das als Schockmoment für das Publikum gedacht ist. Wer aber etwas Lustiges, Leichtes, vielleicht auch Seichtes erwartet, wird von so einem Brocken erschlagen. Ganz abgesehen davon, dass dieser Abend den Dramaturgen schmerzlich vermissen ließ. Den Figuren fehlte trotz der durchweg guten darstellerischen Leistung die klare Definition. Durch die ganze Aufführung zogen sich Unklarheiten und Fragen.

Fazit: Es ist nicht so, dass Sarah Kane wegen „Im schönsten Wiesengrunde“ in ihrem Grab rotieren wird wie ein Dönerspieß. Aber gerade dem Stück „Zerbombt“ wird die klare Logik genommen, die es gnadenlos bis zum Ende durchspielt. Wer das Stück dennoch sehen will, sollte den Beschreibungstext auf der Webseite der bühne ignorieren und stattdessen die zwei Dramen von Sarah Kane lesen. Außerdem unbedingt das kostenlose Programmheftchen mitnehmen und lesen, bevor das Stück beginnt.

Geschrieben von Katrin Mai

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