Im tjg. Dresden: Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel

Aufführungsbericht: Mit einer einstündigen Inszenierung seines Sprachspielbuches feiert das Theater Junge Generation den 100. Geburtstag von Franz Fühmann (1922-1984). Dass der umtriebige Autor heute kaum noch bekannt ist, liegt wohl daran, dass er vom Hörspiel über Erzählungen und Essays bis hin zu Märchen, Wortexperimenten und Gedichten so ziemlich jede Gattung bediente – außer der, die heute am meisten geschätzt wird: dem Roman.

So eine Pflanze habe ich auch! Mitsamt Topf! © tjg. Dresden

Einen erheblichen Teil in Fühmanns Werk bildet Literatur für Kinder. Das für mich beste, das jede Person, die in der Grundschule Deutsch unterrichtet verpflichtend gelesen haben sollte (mit Wissenstest! echt!), ist das Sprachspielbuch mit dem seltsamen Titel „Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel“. Mit Lautmalereien, Worträtseln und lustigen Geschichten macht es Lust auf den spielerischen Umgang mit Sprache. Nur: Wie bringt man das auf die Bühne?

Regisseurin Julia Brettschneider übernahm die Rahmenhandlung aus Fühmanns Buch: eine Gruppe Kinder langweilt sich in den verregneten Sommerferien. Brettschneider belässt die Handlung, wo sie auch bei Fühmann angesiedelt war, nämlich in der DDR. Damals zeitgenössisch, atmet das Setting von Schrankwand und Tapeten bis hin zu den Blumentöpfen und den darin befindlichen Pflanzen heute Nostalgie. Es reicht über die Bühne hinaus bis in den Zuschauerraum, an dessen Wänden leuchtende Schriftzüge („Fleischwaren“) prangen.

Auch der neu hinzugeschriebene Strang ist reinstes und bekanntestes DDR-Vermächtnis: die Weltallreise des Sigmund Jähn. Das wäre vielleicht nicht unbedingt nötig gewesen, ergibt aber ein schönes Spektakel und passt zeitlich perfekt, denn sowohl der Flug ins All als auch die Veröffentlichung des Sprachspielbuches erfolgten im Jahr 1978. Mit dieser Einlassung umgeht Julia Brettschneider die Notwendigkeit einer Geisterbeschwörung. Ist es in Fühmanns Buch ein von den Sprachspielen der Kinder herbeigerufener Geist (Küslübürtün; später kommt noch Arthur Schopenhauer dazu, gefolgt von Christian Morgenstern), ist es auf der Bühne der aus dem All funkende Sigmund Jähn, der in einem roten Buch Anleitungen zu neuen Spielen gibt.

Was nicht niet- und nagelfest ist, wird im Laufe des Stückes quer über die Bühne befördert. © tjg. Dresden

Nicht fehlen darf natürlich die Geschichte von der Schneeseekleerehfee. Ihr musstet dreimal lesen? Dann versucht mal, das auszusprechen und dieser Geschichte zu folgen: Die Schneeseekleerehfee bekommt jähes Drehzehweh (die Gehzehen bleiben heil) und muss zur Heckenhexe, um einen Tee dagegen zu nehmen. Fühmann bastelt lange Wörter mit E als einzigem Vokal, und alle drei Schauspieler arbeiten sich daran ab, die Geschichte fehlerfrei zu erzählen. Bei der Aufführung, die ich angesehen habe, schafften sie es fast – auch meinen zwei Begleitkindern fiel der Minischnitzer auf, weil sie die Geschichte schon kannten. Das minderte nicht den verdienten tosenden Applaus für diese fabelhafte Leistung. Überhaupt ist es eine Freude, dem Schauspieltrio zuzusehen. Obwohl alle ü40, nimmt man ihnen das Kind sein ab, gerade weil sie nicht versuchen, kindlich zu sein. Fühmann, der mit seinem jungen Publikum auf Augenhöhe agierte (Leserbriefe von Kindern wurden beantwortet und selbst dem Auftrag zum Märchenschreiben folgte er), hätte es gefreut.

Fazit: Das Buch hätte deutlich mehr Spielzeit hergegeben, doch war es klug, es bei einer Stunde zu belassen. Denn die Sprachspielereien erfordern konzentriertes Zuhören, hin und wieder darf das Publikum auch mitmachen und selbst seinen Kopf anstrengen. Das ist für Zuschauende ab acht Jahren schon eine Herausforderung. Zähe Momente und auch das etwas überfordernde Endspektakel, in dem sämtliches Repertoire herumgeschleudert wird, Musik und Darstellende sich zu übertönen versuchen, sind sehr kleine Minuspunkte einer ansonsten mitreißenden, Jung und Alt klug unterhaltenden Inszenierung. Etwas schade ist die Verwirrung, welche die Deklaration als Puppentheater bewirkt. Eine kleine Kosmonautenpuppe, die am Anfang den Flug Sigmund Jähns nachzeichnet, kann getrost zugunsten der großartigen Leistung der Schauspielerin und Schauspieler unerwähnt bleiben.

geschrieben von Katrin Mai

Webseite des tjg. für Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm zu Babel

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