Sieben Fragen an Daniel Touati

Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)

Interview: Auf dem DOK Leipzig lief der französische Dokumentar-Kurzfilm „Young Hope“. Im Gespräch erzählt uns der Regisseur Daniel Touati wie er seine interviewte Klasse fand, welche Pläne er verfolgt und von seiner Leidenschaft für Portraits.

The original english language interview is also available.

Dein Film „Young Hope“ gibt Jugendlichen die Möglichkeit sich frei über Ängste und Sorgen äußern zu können. Wie hast Du die Idee für den Kurzfilm gefunden? Und wie hast Du diese spezielle Klasse gefunden?

Vor ein paar Jahren wollte ich einen Film über die Gefühle junger Menschen machen, wie sie ihr Leben sehen, ihr Gefühl in unserer Welt. Ich war sehr beeindruckt von der ersten wunderbaren Dokumentation eines berühmten französischen Regisseurs Bertrand Blier: „Hitler, connais pas“ ( „Hitler? Kenn’ ich nicht“). In dieser Zeit traf ich sehr interessante junge Leute, aber ich musste dieses Projekt beenden, weil ich an einem anderen Projekt beteiligt war, und dann habe ich es vergessen.

Ende 2017 kontaktierte mich eine Person von Le BAL (Produktionsfirma von „Young Hope“ ) und sagte: „Wir machen eine neue Kollektion namens ‚Que Faire?‘ (Was tun?). Sie werden zwischen 2018 und 2020 gedreht. Diese Sammlung besteht aus 20 Kurzfilmen oder künstlerischen Projekten, die von 20 französischen Künstlern in 20 französischen Territorien geleitet werden. Jedes Mal muss eine Gruppe junger Menschen im Mittelpunkt des Projekts stehen. Wir schlagen Ihnen eine Gruppe von Schülern aus Roubaix, Nordfrankreich, vor.“

Ich akzeptierte ohne zu zögern. Ich traf diese jungen Leute und sofort spürten wir ein echtes Vertrauen zwischen uns. Sie begannen mit einer beeindruckenden Ehrlichkeit zu sprechen. Und ich wusste, dass es möglich war, ihnen ein riskantes Projekt vorzuschlagen, denn das Vertrauen war hoch.

Ich denke vielen Jugendlichen sprich der Film aus den Herzen, aber auch ältere Zuschauer können dieses Unsicherheitsgefühl bestimmt noch nachvollziehen. Wie sieht es bei Dir aus – hast Du ähnliche Erfahrungen gemacht?

Die Schwierigkeit bestand natürlich darin, ein Portrait dieser jungen Menschen zu machen, aber gleichzeitig auch die allgemeinen Sorgen und Hoffnungen zu berühren.

Wenn sie über die Angst sprechen, in Zukunft nicht glücklich in der Liebe zu sein, oder über die Schwierigkeit, in dieser Welt unter Druck zu leben, dann fühle ich sicher eine persönliche Verbindung zu ihnen.

Aber gleichzeitig spüre ich eine Kluft zwischen ihrer Generation und meiner. Habe ich mit 16 Jahren so viel Druck gespürt? Unsicherheit, ja. Aber leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der es jeden Tag weniger Raum für Phantasie gibt. Der Rhythmus des täglichen Lebens verpflichtet uns zu einer ewigen Effizienz. Wo ist also der Moment zum Träumen, der Moment, in dem ich etwas ohne unmittelbares Ziel tun kann, ein Moment, vielleicht um mich zu langweilen. Wie ein sehr guter Freund von mir zu seinem Sohn sagt: „Es ist gut, wenn man sich langweilt, das ist der Moment, in dem man erwachsen wird.“

Wie waren die Dreharbeiten? Die Schüler begegnen der Kamera ganz unterschiedlich – doch man hat nie das Gefühl, dass sie sich unwohl fühlen.

Es war ein dreitägiges, sehr intensives Shooting. Normalerweise nehme ich mir mehr Zeit, vielleicht Monate ohne Kamera, bevor ich mit der Aufnahme beginne.

Diesmal schlug ich einfach vor: „Akzeptiert ihr den Vorschlag, euch in einem Monat wieder zu treffen, um einen neuen Raum für freies Reden zu schaffen, ein Experiment, dass es in der Vergangenheit vielleicht nicht gab?“ und sie sagen „Ja.“

Am wichtigsten waren die Beziehungen zwischen den Jugendlichen dieser Gruppe. Sie hatten keine zynische Welt, kein Urteil, sie hatten eine sehr respektvolle Haltung gegenüber den Gefühlen ihrer Freunde. Sehr reif. Ich war beeindruckt. Ich habe es ihnen so leicht wie möglich gemacht, aber sie haben es mir auch leicht gemacht. Ab dem ersten Tag akzeptieren sie mich und das Team ohne Probleme. Ich denke, wir alle vermissen einen Ort, an dem wir unsere Gefühle ausdrücken können, also wenn wir diesen Raum schaffen, haben sie natürlich viele Dinge zu sagen.

Kam die Idee des Diskurses mit den Lehrern von Dir? Wie haben die Lehrer dieses Projekt aufgenommen?

Ich habe den Vorschlag gemacht, eine Gruppe von Erwachsenen zu treffen. Sie selbst haben ihre Lehrer vorgeschlagen. Vielleicht war es eine seltsame Situation für die Lehrer, aber sie akzeptierten sie, und es war ihrerseits sehr großzügig, zu akzeptieren, das klassische Gleichgewicht zu ändern. Zu akzeptieren, zuzuhören. Für mich ist es, als würde ich eine neue Tür öffnen. Diese jungen Leute schlagen einen neuen Weg ein. Ich glaube, ich war mit 16 mit meinen eigenen Gefühlen nicht so mutig.

Wirst Du in 10 Jahren die Schüler noch einmal aufsuchen und herausfinden, welche Wege sie eingeschlagen haben?

Wir haben eine Verabredung getroffen.

Erzähl mir ein bisschen mehr von Dir – bist Du mit Leib und Seele Dokumentarfilmer?

Mein Interesse gilt jedem Tag den Portraits: Ob nun Portraits von zwei Kindern, Brüder und Schwester, wie in meiner vorherigen Dokumentation „Brother and Sister“ (ausgezeichnet beim Locarno Film Festival) oder eines spanischen Dorfes („Santaella“, 2009). Auch in dem von mir geschnittenen Dokumentation „A Father“ (von Victor Fornies, Teheraner Filmfestival)  geht es um ein Portrait. Jetzt bei „Young Hope“ ist es das Portrait einer Gruppe.

Welche weiteren Projekten wird es geben?

In der Kontinuität dieses Projekts schließen wir einen Film ab, der das gesamte Experiment dieser jungen Menschen widerspiegelt. Ein anderer Film mit gleichem Ursprung, welcher aber existenzieller werden wird, weil sie sich entscheiden, ihre Ängste und Hoffnungen an viele Gruppen von Erwachsenen zu stellen. Es wird ein einstündiger Film sein, nicht nur über die Notwendigkeit von schulischen Leistungen, sondern auch über all die Sorgen und Träume, die sie normalerweise nicht ausdrücken können. Ich habe den Kurzfilm „Young Hope“ geschnitten, aber dieser Spielfilm wird von Janice Jones („Maria By Callas“ (2017)) geschnitten und immer noch von Le Bal produziert. Wir hoffen, ihn 2019 in Deutschland zu präsentieren.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Young Hope


Interview: The French documentary short film „Young Hope“ was shown at the DOK Leipzig. Director Daniel Touati tells us in conversation how he found his interviewed class, what his plans are and his passion for portraits.

Your film „Young Hope“ gives young people the opportunity to express themselves freely about their fears and worries. How did you find the idea for the short film? And how did you find your participants?

Few years ago I wanted to do a movie about the feelings of young people, how they see their lifes, their feeling in our world. I was very impressed by the first wonderful documentary of a famous french director Bertrand Blier : “Hitler connais pas” (“Hitler, I don’t know him”). In this time, I met very interesting young persons but I stopped this project, because I was involved in another project, and I forgot it.

At the end of 2017, One person of Le BAL (producer of „Young Hope“) contacted me and said: “We are creating a new collection named “Que Faire ?” (What to do ?). It will be shooted between 2018 and 2020. This collection is  20 shorts movies or artistics projects, directed by 20 french artists, in 20 french territories. Each time a group of young people must be the center of the project. We propose to you a group of student of Roubaix, North France.” I accept without hesitation, I met these Young People, and immediately we feel a real trust between us. They began to express with an impressive honesty. And I knew It was possible to propose to them a risky project, because the level of trust was high.

I think many young people will be especially easily able to connect with younger people but even older viewers can certainly understand the portrayed feeling of insecurity. What about you – have you had similar experiences?

Obviously, the difficulty is to do the portrait of these young people in particular, but in same time to touch universal worries and hopes.

When they talk about the fear of not being happy in love in the future or the difficulty to live under pression in this world, sure I feel a personal connection with them.

But, in same time I fell a gap between their generation and mine. Did I feel so much pressure at 16? Insecurity, yes. But, don’t we live in a society with every day less space for imagination. The rhythm of daily life obligate us to an eternal efficiency. So, what is the moment to dream, the moment when I can do something without immediate goal, a moment maybe to be bored. As a very good friend of mine say to his son : “It’s good if you are bored, it’s the moment when you grow up”.

How was the shooting? The students all interact with the camera very differently but they never seem to be uncomfortable.

It was a 3 days shooting, very intense. Normally I take a long time, maybe months without camera before begin to shoot.

This time no, I propose “do you accept the proposition to meet each other again in one month to create a new space for free talk, like maybe you never experiment in past” and they say yes”.

Most important was the relation between the young persons of this group. They had no cynical world, no judgment, they had a very respectful attitude for the feelings of their friends. Very mature. I was impress. I put them comfortable, but they put me comfortable too. Since the first day, they accept me and the documentary crew without any problem. I think, we miss place to express our feelings, so if we create this space, obviously, they have many think to say.

Did the idea of the discourse with the teachers come from you? How did the teachers react to this project?

I propose to meet a group of adult. They proposes their professors. Maybe it was a strange situation for the profesor bur they accept it, and it was very generous for their part, to accept to change the classical balance. To accept to listen. For me is like opening a new door. This young people are proposing a way. I think I was not so brave with my own feelings at 16.

Are you going to visit the students again in 10 years and find out which paths they have taken?

We have an appointment.  

Tell me a little bit more about yourself – are you fire and flame for documentary filmmaking?

I’m every day more interested for the portrait. Portrait of two children , brother and Sister, like in my precedent documentary (BROTHER AND SISTER, awarded in Locarno Film festival), portrait of a spanish village (SANTAELLA, 2009). Even in the documentaries I edit, I love the question of a portrait (A FATHER, Victor Fornies, Teheran film festival). In this case portrait of a group.

What other projects do you have planned?

In the continuity of this project, we are finishing a movie who will reflect the entire experiment lived by these young persons. A different movie with the same origin. More existential, because they choose to confront their fear and hopes to many group of adults. It will be a one hour movie, not only about scolar necessity to perform but about all the worries and dreams they normally can’t express. I edited the short movie „Young Hope“ but this feature length movie is edited by Janice Jones (Maria By Callas), and still produced by Le Bal. We hope to present it in Germany in 2019.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm „Young Hope

2 Gedanken zu “Sieben Fragen an Daniel Touati

Kommentar verfassen