Studium der Kunstgeschichte - Schwerpunkt: Filmgeschichte (Abschluss 2010 mit der Arbeit "Rembrandt im Spielfilm") Nebenfächer: Philosophie und Alte Geschichte
- seit 2012: Filmkritikerin bei movieworlds (Kino, DVD, BD, Festivalberichte)
- seit 2015: Blog 'Testkammer' online
Letzte Artikel von Doreen Kaltenecker (Alle anzeigen)
Interview: Im Gespräch mit dem schweizer Filmemacher Jan-Eric Mack erzählte er, wie er die wahre Geschichte in einen Kurzfilm umwandelte, welche Reaktionen er bekam und wie er seinen wunderbaren Cast fand.
Dein Kurzfilm „Facing Mecca“ gehörte auf vielen Festivals zu den Lieblingen der Zuschauer. Wie kam es zu der Geschichte? Wie hast Du das Drehbuch aufbauend auf einer wahren Geschichte entwickelt?
Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit meiner Lebenspartnerin Anna Schinz. Gewissermaßen sind wir gemeinsam in die Geschichte hineingerutscht. Annas Mutter hat zusammen mit anderen Freiwilligen eine syrische Flüchtlingsfamilie unterstützt. Durch sie lernten wir den Vater und seine vier Kindern kennen, kurz nachdem die Mutter an den Folgen einer schweren Krankheit verstorben war. Der Vater war alleine geflüchtet und konnte seine Familie später aufgrund der akuten Notlage und mit Hilfe eines humanitären Visum in die Schweiz holen. Die Mutter wurde vom Flughafen direkt ins Krankenhaus gebracht, doch die Hilfe kam zu spät. Diese Geschichte hat uns stark bewegt, allerdings haben wir zu diesem Zeitpunkt nicht an einen Film gedacht. Die Familie wollte den Leichnam in der Schweiz beerdigen. Damit begannen die bürokratischen Probleme, weil zu diesem Zeitpunkt die Zuständigkeiten für eine lokale, islamische Bestattung noch ungeklärt waren. Eine Bestattung wenn möglich innert 24 Stunden, in Richtung Mekka und ohne zeitliche Beschränkung – ein Novum in der Gemeinde und somit ein Politikum. Als wir hörten, dass die Gemeinde den Friedhof durch einen Geomatiker vermessen ließ, hatten wir das perfekte Bild für einen Film über die aktuelle Flüchtlingsdebatte. Darauf begann eine Intensive Recherchephase, bei der wir den Vater, beteiligte Freiwillige, Behörden und Fachleute interviewten. Mit insgesamt dreizehn Stunden Interviewmaterial schufen wir eine solide Grundlage für unser Drehbuch. Obwohl wir uns dramaturgische Freiheiten offen halten wollten, war für uns eine fundierte Faktenlage essentiell. Im Drehbuchprozess entschieden wir uns, dass wir den Fokus auf den freiwilligen Helfer legen wollten. Uns interessierte die Schweizer Perspektive, die uns ungewöhnlicher erschien und mit der wir uns einfacher identifizieren konnten.
Ich denke, der Film funktioniert auch dadurch so gut, dass er trotz des Themas leichtfüßig ist und seine Kritik wunderbar in Humor bettet. Wie wichtig waren diese Aspekte für Dich?
Dieser per se komischen Situation konnten wir nur mit Humor begegnen. Dabei war uns wichtig, dass wir alle Figuren und ihre existenzielle Probleme ernst nehmen. Die Migration ist noch immer ein akutes, stark polarisierendes Thema, welches bereits breit besprochen und reflektiert wurde. Eine anhaltender, offener Diskurs dazu finden wir wichtig. Und für uns ist es erschreckend zu sehen, wie viele Menschen in dieser zunehmend populistisch geführten Debatte jegliche Empathie verloren haben. „Facing Mecca“ behandelt in erster Linie das universelle Thema Tod. Im Kontrast dazu erscheint die Bürokratie geradezu absurd. Wir glauben, dass diese Diskrepanz und die daraus resultierende Komik ein möglicher Schlüssel zu den Herzen der Zuschauer sein könnte.
Gab es auch negative Reaktionen auf den Film, etwa weil sich jemand von dem Film angegriffen fühlte?
Natürlich hat der Film auch polarisiert. Es gab beispielsweise die Kritik aus dem politisch linken Lager (zudem wir uns selber klar dazu zählen), dass der Film der Religion gegenüber zu wenig kritisch auftritt. Gerade weil die Hauptfigur intuitiv agiert und seine Unterstützung zur islamischen Beerdigung wenig reflektiert. Wir glauben an die Aufklärung und sind klar für einen säkularen Staat. Beerdigungsrituale sind zwar oft an Religionen geknüpft, jedoch sind sie in erster Linie soziokulturell geprägt. Wie die Exhumierung im Islam, war in der Schweiz die Kremation für lange Zeit ein Tabu. Heute werden in der Schweiz über 80% der Verstorbenen kremiert. Was wir als Normalität betrachten, ist also immer auch mit demographischen Veränderungen verbunden. Durch unsere Hauptfigur plädieren wir für eine humanistische Sichtweise. Und wir kritisieren im Film keine Einzelpersonen, sondern eine von Angst getriebene Politik, welche unmenschliche Gesetze hervorbringt.
Wie hast Du Deine beiden Hauptdarsteller gefunden, welche wunderbar in die Rollen passen?
Peter Freiburghaus, welcher die Hauptrolle spielt, ist in der Schweiz ein bekannter Schauspieler und Comedian (Duo Fischbach). Als Roli entdeckte ich ihn bei einer Leseprobe, als ich der Regie für einen Fernsehspielfilm assistierte. Anna und ich waren im Schreibprozess bereits weit fortgeschritten und dann saß sie plötzlich da, unsere Hauptfigur. Seine Sprache, sein intimes Spiel, sein Talent fürs Tragischkomische. Ich habe mich gleich verliebt. Jay Abdo kannte ich aus einem anderen, erfolgreichen Kurzfilm, welcher meine Produktionsfirma produziert hat. Der syrische Schauspieler ist im arabischen Raum ein Superstar und hat in unzähligen Serien gespielt. Nachdem er sich öffentlich gegen das Regime gewendet hatte, musste er das Land verlassen und lebt heute in den Los Angeles. Nach seiner Flucht musste er sein Leben und sein Karriere nochmals komplett neu aufbauen. Mittlerweile hat er bereits wieder in großen Produktionen gespielt. Etwa an der Seite von Nicole Kidman in Herzogs „Queen of the Dessert“ (?) LINK? oder in „Hologram for the King“ [Anm. d. Red.: dt. Titel , Regie: , Jahr]. Wir schickten Jay das Drehbuch, worauf er glücklicherweise zusagte. Auch weil er an die politische Kraft des Filmes glaubte.
Gab es am Set selbst Verständnisprobleme und wie haben die Kinderdarsteller sich in ihre Rollen eingefühlt?
Die Sprache ist nicht nur im Plot Thema, sondern war auch am Set eine Herausforderung. Ein Mix aus Schweizerdeutsch, Deutsch, Englisch, Arabisch und Kurdisch. Die beiden Kinder sind aus dem kurdischen Norden in Syrien. Wir hatten einen Übersetzer, welcher übrigens im Film den Übersetzer spielt. Anna ist hauptberuflich Schauspielerin und hat die beiden Schwestern gecoacht. Sie waren erst seit sechs Monaten in der Schweiz. In ihrem noch jungen Leben haben sie bereits Ungeheuerliches erlebt, ohne dabei ihre kindliche Intuition zu verlieren. Nebst den Kindern standen auch andere zum ersten Mal vor der Kamera. So auch der Bestatter, welcher im richtigen Leben als islamischer Bestatter arbeitet und den echten Fall betreut hat.
Dein Film hat bis Amerika Wellen geschlagen. Habt ihr damit gerechnet?
„Facing Mecca“ hat neben 20 Awards und einen Studentenoscar gewonnen und es auf die Shortlist der 90th Academy Awards geschafft. Für eine Nomination hat es dann knapp nicht gereicht. Dass es unser Film so weit schaffen würde, hätte sich keiner von uns je erträumen lassen. Ein Glück und große Ehre, die dem ganzen Team gebührt.
Kannst Du mir noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie es bei Dir weitergehen wird?
In Folge auf „Facing Mecca“ habe ich dieses Jahr als Co-Regisseur die zweite Staffel für die Serie „Wilder“ (Regie: Pierre Monnard) für das Schweizer Fernsehen gedreht. Zurzeit arbeiten Anna und ich an unserem ersten Spielfilm mit dem Titel „Zivilisten“. Wir hoffen im Sommer 2020 drehen zu können.
Die Fragen stellte Doreen Matthei
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Facing Mecca“
Ein Gedanke zu “Sieben Fragen an Jan-Eric Mack”