Fünf Fragen an Esther Niemeier

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Interview: Im Gespräch mit der deutschen Filmemacherin Esther Niemeier erzählt sie uns mehr über die persönliche Hintergründe zu ihrem Kurzfilm „Tracing Addai“, der u.a. auf dem 28. Cottbuser Filmfestival zu sehen war, wie sie das Projekt angegangen ist und welche Reaktionen sie vom Publikum bekam.

Gleich am Anfang Deines Kurzfilms „Tracing Addai“ wird klar, dass es eine sehr persönliche Geschichte ist, welche Dich nicht mehr losgelassen hat. Kannst Du mir mehr von der Entstehung Deines Films erzählen?

Je mehr ich mich mit dem Thema befasst habe und je mehr ich von Addais letzten Jahren erfuhr, desto stärker wuchs mein Bedürfnis diesen Film zu machen. Das lag unter anderem daran, wie mit dem Thema in den Medien umgegangen wird. In vielen Fällen werden junge Menschen wie Addai nur auf ihre letzten Aktionen reduziert und die Gründe für ihre Ausreise auf verschiedene familiäre Probleme oder Herkunft abgeschoben. Es wird viel stereotypisiert und meistens überhaupt nichts über die Person erzählt. Mir war wichtig sein Schicksal zu erzählen und zwar als ganzes Leben und nicht nur reduziert auf das, was er als letztes getan hat.

Wie bist Du das Projekt angegangen? Wie war es die Interviews mit Ilias im Gefängnis zu führen?

Als allererstes habe ich mit Addais Mutter gesprochen und sie gefragt was sie davon hält, wenn ich einen Film über Addais Geschichte mache. Sie fand die Idee gut, weil sie ebenfalls von dem Umgang mit dem Thema sehr enttäuscht war und es auch wichtig fand, dass seine Geschichte aus einer anderen, nicht so einseitigen Perspektive erzählt wird.

Über sie hatte ich dann auch den Kontakt zu Ilias. Mit ihm die Interviews zu führen war spannend und ganz anders, als ich es erwartet hatte. Als ich ihn getroffen habe, habe ich vor allem auch gemerkt, wie sehr ich selber von dem Bild was von jungen Menschen, die sich salafistischen Gruppierungen anschließen, gezeichnet wird, beeinflusst bin.

Hatte er die Möglichkeit den Film zu sichten, als er fertig war?

Ja. Er ist mittlerweile nicht mehr im Gefängnis und ist zu einer der ersten Vorführungen gekommen und wir haben das Publikumsgespräch gemeinsam gemacht.

Erzähl mir mehr zu den Animationen. Du hast mit Schauspielern und Rotoskopie gearbeitet, richtig? Wie hast Du zu dem Stil gefunden?

Genau, Ilias wird von einem Schauspieler [Anmerk. d. Red.: Kais Setti] verkörpert und Addais Mutter ist selbst im Film. Da der Film auf vielen verschiedenen Ebenen erzählt, war es wichtig das diese sich auch visuell unterscheiden. Je weniger greifbar die Orte und das Geschehen waren, desto mehr kommt die Animation ins Spiel. Rotoskopie ist allerdings die Technik die wir auf allen Ebenen nutzen, denn es ging vor allem auch darum die Emotionen nicht zu verlieren, aber gleichzeitig die Anonymität der Protagonisten zu gewährleisten. Außerdem wollte ich damit auch der sofortigen Stigmatisierung der Personen entgehen. Um den richtigen Stil für jede Ebene zu finden, haben wir erstmal sehr viel ausprobiert.

Wie waren die Reaktionen auf den Film? Wird er eher emotional oder politisch aufgefasst?

Bisher waren die Reaktionen weitgehend sehr positiv und der Film wird sowohl emotional als auch politisch aufgefasst. Das freut mich natürlich sehr, denn obwohl genau das auch die Absicht war, ist es immer sehr sehr schwierig die Balance genau richtig zu setzen. Ob es wirklich funktioniert hat, weiss man dann eigentlich immer erst, wenn viele verschiedene Menschen den Film zu sehen bekommen.

Eine persönliche Frage: Hat Dir der Film geholfen, um mit der Geschichte Deinen Frieden zu machen?

Sagen wir es so, der Film hat mir geholfen zumindest ansatzweise zu verstehen, was Addai, Ilias und andere junge Menschen dazu bewegt oder bewegt hat, sich einer solchen Gruppierung anzuschließen. Mir ist außerdem bewusst geworden, dass das Problem ein weitaus größeres, gesellschaftliches, ist, als ich gedacht habe und wir im Grunde alle irgendwie mitverantwortlich sind.

Mit dem Film hast Du viel Wirbel gemacht und gehörtest sogar zu den Finalisten der Studentenoscars im Bereich Dokumentarfilm. Wie geht es jetzt bei Dir weiter?

Ich bin gerade dabei, einen langen Dokumentarfilm zu entwickeln. Wieder wird es ein sehr persönlicher Film werden, basierend auf den Briefen meiner Uroma, die sie ihren Söhnen bis zu ihrer Ermordung im Jahre 1941 aus der Psychiatrie schrieb.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Tracing Addai