Sechs Fragen an Gina Wenzel

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der Filmemacherin Gina Wenzel erzählt sie mehr über ihren Kurzfilm „Nenn mich nicht Bruder“, u.a. zu sehen auf den 29. Bamberger Kurzfilmtagen und der 25. Kurzfilmwoche Regensburg, über dessen Hintergründe und ihre starken Realitätsbezug.

Dein Kurzfilm „Nenn mich nicht Bruder“ scheint wie aus dem Leben gegriffen. Kannst Du mir mehr zu seiner Entstehung erzählen?

Ich war selber Mitglied eines Mädchenfußballvereins in einer Kleinstadt und bin dort schon früh mit patriarchalischen Rollenbildern in Berührung gekommen.

Viele Menschen meinen das Bewusstsein in Bezug auf LGBTIQ+ [Anm. d. Red.  lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und queere] Themen hat sich verändert und die Gesellschaft ist insgesamt toleranter geworden. Es mag sein, dass sich dieser positive Wandel in den Großstädten bemerkbar macht, aber in den Kleinstädten scheint die Zeit stehengeblieben zu sein und es gibt immer noch unfassbar viele Vorbehalte gegen das „Fremde“ und „Andersartige“.

Kannst Du mir mehr zum Authentizitätsanspruch erzählen? Wie weit bist Du in das ‘Milieu’ eingetaucht? War es schwer sich hineinzufühlen und vor allem die richtige Sprache dafür zu erarbeiten?

In das `Milieu’ einzutauchen fiel mir nicht schwer, weil ich auch so aufgewachsen bin. Die Sprache hat sich demnach ziemlich natürlich entwickelt.

Ich wollte von Beginn an, dass sich der Zuschauer als Mitglied der Clique versteht und am liebsten, wenn die Situation droht zu eskalieren, „Stopp“ schreien möchte. Denn ich wollte, das sich wirklich jeder, der diesen Film sieht, eine Meinung bildet. Auch wenn der Film die Emotion Wut hervorruft, ist es mir eine willkommene Reaktion. Hauptsache nicht wegschauen!

Du vermischst dabei eine Milieustudie mit einer Coming-Out-Geschichte. Welcher Schwerpunkt lag Dir besonders am Herzen? Was ist die Botschaft, welche Du transportieren möchtest?

Ich wollte mit der Geschichte gar nicht so sehr auf das Thema „Trans“ aufmerksam machen, sondern, wie oben beschrieben, eher auf diese Vorbehalte gegenüber dem „Fremden“. Ein Thema das ich für gesellschaftspolitisch höchst brisant erachte und das mich existentiell beschäftigt. Deswegen habe ich auch im Abspann die Botschaft „Für mehr Toleranz und gegen Ausgrenzung“ platziert.

Kannst Du mir noch mehr zu den Dreharbeiten erzählen? Wo habt ihr gedreht? Was war Dir bei der visuellen Umsetzung wichtig und hattest Du Vorbilder im Sinn?

© Sebastian Bergfeld

Ich hatte keine direkten Vorbilder im Sinn, aber es gibt immer Filmemacher, die einen beeinflussen. Dazu gehören in meinem Fall: Ken Loach, Andreas Dresen und Anne Zohra Berrached. Authentizität ist mir in all meinen Filmen sehr wichtig. – Dass ich beispielsweise immer auf den Gebrauch einer Handkamera und auf einen entsättigten Look setzte. Und ich improvisiere gern, aber nicht zwingend. Ich schaue immer, was für die Geschichte das Beste ist. Im Fall von „Nenn mich nicht Bruder“ musste die Kamera mitten im Geschehen sein und quasi mit den Schauspielern improvisieren, um die Gruppendynamik authentisch wiederzugeben und dem Zuschauer das Gefühl zugeben, ganz nah an der Geschichte zu sein.

Getragen wird der Film von den überzeugenden Darstellern – wie hast Du Deinen Cast gefunden?

© Sebastian Bergfeld

Es gab zwei Casting-Runden. Ich habe zum einen Nachwuchsschauspieler aus Agenturen gecastet und zum anderen Jugendliche aus den Jugendclubs größerer Theater. Man merkt schnell, wenn die Energie durch bestimmte Person entweder ins Stocken gerät oder einfach fließt. Ich arbeite am liebsten mit Schauspielern zusammen, die ihrer Intuition folgen. Ich bin auch eine Regisseurin, die mit ihrer Intuition arbeitet und wenn beides zusammenkommt, dann wird die Arbeit plötzlich leichter. Alles fließt, es gibt keine Diskussionen oder Missverständnisse. Das ist irgendwie magisch.

Erzähl mir doch ein bisschen mehr über Dich und wie es bei Dir weitergehen wird.

Ich habe einen Piloten für eine Jugendserie mit dem Titel „Pandas don’t cry“ gedreht. Die Serie handelt von einem Therapiehof, auf dem sieben Jugendliche fernab der Großstadt, versuchen ihre Probleme zu lösen. Dabei erweitern sie mehr und mehr ihre Sicht auf ihr Leben. Die Serie handelt von dysfunktionalen Familien, psychischen Erkrankungen (wie Depressionen, Essstörungen und Angststörungen), Sexualität, Geschlecht und Drogenmissbrauch.

Erstmals konnte ich mit meinem Team „Pandas don’t Cry“ auf dem Max Ophüls Preis 2019 in einer Branchenveranstaltung mit dem Titel „Webserien in Pitch und Gespräch“, präsentieren. Hier konnten wir glücklicherweise das Interesse von Produktionsfirmen und Redakteuren wecken.

Ich freue mich jetzt schon weiter zu drehen und bin sehr gespannt, wo wir das Ganze platzieren können.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension zum Kurzfilm „Nenn mich nicht Bruder

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