Vier Fragen an Ottó Bánovits

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Interview: Im Gespräch mit dem schwedischen Filmemacher Ottó Bánovits konnten wir mehr über seine Idee für seinen Kurzfilm „Dark Chamber“, den wahren Ereignissen dahinter und wie Menschen mit solchen Schrecken umgehen, erfahren. Zudem erzählt er uns mehr zu seiner Idee die Camera Obscura zu verwenden und wie er dies als fast flüssigen One-Taker realisiert hat.   

 The original english language interview is also available.

Du rekonstruierst mit „Dark Chamber“ wahre Ereignisse aus dem Jahr 2015. Kannst Du mir zur Entstehung des Films erzählen? Wieso hast Du Dich für diese außergewöhnliche Inszenierung entschieden. Wie kamst Du auf die Idee die Camera Obscura mit einzubauen?

Als wir den Film drehten, war es ein sensibles Thema, es war frisch in den Nachrichten, die weltweit in den Schlagzeilen auftauchten. Ich wusste, dass ich gerne einen Film über dieses Ereignis machen würde, aber die Frage war nach dem “Wie”, um nicht zu direkt oder unsensibel zu sein. Wenn sich eine solche Tragödie ereignet, ist es sehr schwierig, sie anzugehen und ihr in der Sprache des Films gerecht zu werden. So haben wir uns das Konzept der Camera Obscura ausgedacht. Es wurde irgendwie offensichtlich, dass der Truck selbst als Dunkelkammer für die Camera Obscura fungieren konnte. Die Einfachheit der Camera Obscura ist atemberaubend, da sie nur Dunkelheit und Sonnenlicht benötigt – sie kann überall passieren: in einem dunklen Raum, einem Auto oder sogar einem Schuhkarton. Es gibt ein Loch im Lastwagen, das von den Menschenhändlern für die Flüchtlinge zum Durchschauen und Atmen gemacht wurde, und darüber ist es auf Arabisch geschrieben: BEI GRENZÜBERGÄNGEN NICHT HINAUSSCHAUEN. Durch dieses Loch dringt das Sonnenlicht ein und erzeugt das auf dem Kopf stehende Camera Obscura-Bild im Inneren des Trucks. So konnte die Form des Films dem Inhalt des Films entsprechen und die beiden könnten sich gegenseitig ergänzen und als Ganzes funktionieren. 

Darüber hinaus dient das Loch an der Seite des Trucks als perfekte “Tür”, die die beiden verschiedenen Welten verbindet: die stille, noch im Inneren des Trucks und die sonnige, lebendige, farbenfrohe schwedische Landschaft. Das erhöht die Absurdität des Lebens – wie das Leben weitergeht, während wenige Meter entfernt 71 Tote tagelang in einem Gefriertruck liegen. Dies wird auch am Ende des Films deutlich, wenn die schwedische Familie auf die Tragödie reagiert, die sie zufällig entdeckt hat. Zuerst sind sie schockiert, aber ein paar Sekunden, als sie aus der Szene fliehen, sind sie bereits in ihren banalen Alltag zurückgekehrt, als die Kinder um WiFi bitten und die Eltern darüber diskutieren, wie sie vielleicht als Zeugen aussagen müssen oder nicht. 

Dies ist eine Reflexion über die Menschen von heute inmitten dieser anhaltenden Krise. Das bedeutet nicht, dass die Familie (wir) schlechte Menschen sind. Es ist vielmehr ein Überlebensmechanismus und eine instinktive Reaktion, die von der Gesellschaft und Welt, in der wir leben, erzeugt wird. Sind wir egoistisch und positionieren uns immer im Zentrum? Ja, das tun wir. Ist das unsere Schuld? Ich glaube nicht, dass es nur unsere Schuld ist. Das ist eine Frage der persönlichen und kollektiven Verantwortung. Diese Familien spenden wahrscheinlich einiges an Geld für wohltätige Zwecke, aber wenn die Tragödie vom Fernseher mit ihrer eigenen – praktischen – Realität verschmilzt, wird es plötzlich ein ganz anderes Terrain. Dies wirft auch die Frage nach unserer Auslöseschwelle auf – wie werden wir auch gegen eine Tragödie dieser Größenordnung immun? Meine Antwort ist, dass wir solche Dinge jeden Tag in den Nachrichten oder auf unseren unendlichen Facebook-Wänden sehen, die wir immer wieder abscrollen und in weniger als 30 Sekunden eine Tragödie, einen Mord oder ein glückliches Bild von unserem Essen oder Urlaub sehen. Unser Gehirn kann diese vielen verschiedenen Informationen nicht verarbeiten; gerade als wir anfangen, über eine nachzudenken, kommt der nächste Reiz sofort. Mein Behauptung ist, dass Realität und virtuelle Realität (TV, Social Media) nicht so unterschiedlich sind. Unsere Reaktionen sind im Wesentlichen die gleichen. Wie in Omar Fasts „5000 Feet is the Best“ – der Drohnenpilot wirft die Bombe ab, während er seinen Starbucks-Kaffee trinkt – es fühlt sich für ihn an wie in einem Videospiel. Die Drohne befindet sich in einem fernen Land, als er den Auslöser drückt und ein virtuelles Bild mit einer Explosion sieht. Es fühlt sich nicht real an. Ich denke, dass wir alle unser Leben wie Videospiele leben. Die Familie sieht die Tragödie mit eigenen Augen, sie riecht buchstäblich den Tod, aber sie lösen sich sofort davon. Ähnlich wie die virtuelle Realität eines Videospiels: Sie nehmen es wahr, als ob es ihnen nicht passiert wäre, sie sind nur Beobachter. Mein Film stellt die Frage: Sind wir alle nur Beobachter der Welt, die uns umgibt?

Dies bringt mich zu einem weiteren Beispiel von Pieter Bruegel: „Landschaft mit dem Sturz des Ikarus“: Die Menschen auf dem Gemälde blicken ständig in den Himmel für Wunder, aber wenn das eigentliche Wunder geschieht – Ikarus fällt kopfüber vom Himmel und ertrinkt im Meer – bemerkt es niemand. Meiner Meinung nach reagieren wir auf die Welt um uns herum in ähnlicher Weise. 

Kannst Du mir mehr zur technischen Umsetzung erzählen, von der war ich sehr fasziniert. Es sieht ja aus wie ein One-Shot.

Mein Ziel war es, einen Kurzfilm zu machen, der in seiner Dauer sehr kurz ist. Das bedeutet, dass jedes Bild im Film wichtig ist, damit der Zuschauer den Film verstehen kann. Das brachte uns auf die Idee, es als One-Take-Film umzusetzen. Die Kamera ist eine Dokumentation des Phänomens der Camera Obscura und folgt dem Weg des Sonnenlichts, das durch das Loch dringt. Es handelt sich jedoch nicht um eine echte Aufnahme, denn wenn die Kamera durch das Loch geht, gibt es einen Schnitt. Wir wollten eine visuell gerahmte Struktur schaffen, da sich die Kamera am Anfang des Films und am Ende um 180 Grad dreht. Deshalb stellen wir die Frage: Was ist wirklich auf dem Kopf stehend: die Innenwelt (im Truck) oder die Außenwelt (die ganze Welt)?

Für das Drehen der Kamera verwendeten wir einen Schwenkarm mit einer Kameradrehvorrichtung, die vom Kameramann über einen Joystick bedient wurde. Der gleiche Getriebekopf wurde auch für den Außenbereich auf einem Autokran montiert.

Was war Dir bei der Umsetzung noch wichtig? Sollte man anfänglich die ganze Tragweite nicht ahnen?

Es war mir sehr wichtig, dass das Publikum den Film nur schrittweise – Schritt für Schritt – versteht. So, als ob wir in einem dunklen Raum wären und langsam erkunden würden, was sich im Raum befindet. Am Anfang verstehen wir nicht wirklich, was wir sehen. Es ist wie eine Super-8mm-Projektion. Aber wenn die Kamera weitergeht, sehen wir, dass die Menschen von der Decke kopfüber hängen. Es fühlt sich an wie eine erweiterte Filmkunstinstallation. Dann dreht sich die Kamera um 180 Grad und wir sehen, dass die Leute richtig herum sind, aber das projizierte Bild verkehrt herum. Anschließend geht die Kamera durch das Loch, in dem das Sonnenlicht eindringt und aus einem dunklen Raum austritt. Es geht hinauf in die Vogelperspektive und dreht sich wieder um 180 Grad und endet in einem umgekehrten Bild. Das bedeutet, dass der gesamte Film eine Erforschung ist. Wir verstehen Schritt für Schritt, was vor sich geht, und am Ende verraten wir, dass wir uns unter den Toten in diesem speziellen LKW befanden, und am Ende kommen wir bei der Familie an, die wir durch die Camera Obscura am Anfang des Films in der Projektion gesehen haben. Es ähnelt Platons Allegorie der Höhle. So wie diese Menschen eine Kinoleinwand sehen – ihre unerfüllten Träume im obskuren Bild. Eine Projektion ihres Unterbewusstseins.  

Kannst Du mir am Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie es bei Dir weitergehen wird?

Regisseur Ottó Bánovits © Michael Kaltenecker

Ich arbeite an mehreren Projekten gleichzeitig. Ich befinde mich gerade in der Postproduktion meines neuen Kurzfilms mit dem Titel: „Breathless“, der sich mit dem Problem der häuslichen Gewalt beschäftigt. Wir entwickeln auch einen Spielfilm namens „Visitors in Sweden“, der auf dem Konzept der Dunklen Kammern basiert, aber wir haben ihn zu einem Spielfilmformat ausgebaut, ich bin auch dabei, einen weiteren Spielfilm in Ungarn zu schreiben. Außerdem arbeite ich an einer 10-Episoden-TV-Show, die wir Netflix pitchen möchten. 

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Dark Chamber


Interview: In our interview with Swedish filmmaker Ottó Bánovits, we learned more about his idea for his short film “Dark Chamber“, the true events behind it and how people deal with such horrors. He also tells us more about his idea to use the camera obscura and how he realized this as a fluid one-take film.   

With “Dark Chamber” you reconstruct true events from the year 2015. Can you tell me about the making of the film? Why did you choose this extraordinary staging? How did you come up with the idea of incorporating a Camera Obscura?

At the time we made the film it was a sensitive topic, it was fresh news appearing all over the headlines world-wide. I knew I would like to make a film about this event but the question was on the “how” in order to not to be too direct or insensitive. When such a tragedy occurs it is very difficult to approach it and to do it justice using the language of film. That’s how we came up with  the concept of the camera obscura. It sort of became obvious that the truck itself could function as the “Dark Chamber“for the camera obscura to occur. The simplicity of the camera obscura is stunning as it requires only dark and sunlight – it can happen anywhere: in a dark room, a car or even a shoe box. There is a hole in the truck which has been made by the human traffickers for the refugees to look through and breathe, and above it is written in Arabic: DO NOT PEEK AT BORDER CROSSINGS. Through this hole the sunlight penetrates and creates the upside-down camera obscura image inside the truck. Thus, the film’s form could meet the film’s content and the two could complement one another and work as a whole. 

Furthermore, the hole on the side of the truck serves as the perfect ‘door’ which connects the two different worlds: the silent, still inside of the truck, and the sunny, vibrant, colourful Swedish countryside. This increases the level of absurdity of life – how life goes on while a few metres away 71 dead people lie dead in a freezer truck for days. This is also highlighted at the end of the film when the Swedish family reacts to the tragedy they have accidentally discovered. At first, they are in pure shock, but a few seconds, as they flee the scene, they have already gone back to their banal, everyday lives as the kids ask for WiFi and the parents discuss how they may need to testify as witnesses or not. 

This is a reflection on today’s people in the middle of this ongoing crisis. It does not mean that the family (we) are bad people. It is rather a survival mechanism and an instinctive reaction which is created by the society and world in which we live. Are we selfish, positioning ourselves always in the centre? Yes, we are. Is this our fault? I do not think it is only our fault. This is a question of personal and collective responsibility. These families probably donate a fair bit of money to charity but when the tragedy from the TV screen merges with their very own – hands- on – reality, it suddenly becomes a whole different terrain. This also provokes the question of our trigger level – how do we become immune even to a tragedy of that magnitude? My answer is that we face such things every day on the news, or on our infinite Facebook walls which we just keep scrolling and where see a tragedy, a murder, or a happy picture of our meal or holiday, in the space of less than 30 seconds. Our brains cannot process this many different pieces of information; just as we start to think about one, the next stimulus comes immediately. My argument is that reality and virtual reality (TV, social media) are not that different. Our reactions are pretty much the same. Like when in Omar Fast’s 5000 Feet is the best –  the drone pilot drops the bomb while he is drinking his Starbucks coffee – it feels to him like being in a video game. The drone is in a far-away land as he presses the trigger and sees a virtual image with an explosion. It does not feel real. I think that we all live our lives like video games. The family sees the tragedy with their own eyes, they literally smell death, however they instantly detach themselves from it. Similar to the virtual reality of a video game.They perceive it as if it were not happening to them, they are mere observers. My film asks the question: Are we all mere observers of the world which surrounds us?

This  brings me to another example of Pieter Bruegel: Landscape with the fall of Icarus: the people in the painting constantly gaze into the sky for miracles however, when the actual miracle does happen -Icarus falls headlong from the sky and drowns in the sea –  nobody notices it. In my opinion we react to the world around us in a similar fashion.

Can you tell me more about the technical implementation, I was very fascinated by it. It looks like a one take film.

My goal was to make a short film which is very short in its duration. This means that every frame in the film is important in order for the spectator to understand the film. This gave us the idea to make it into a one take film. The camera is s documentation of the phenomenon of the camera obscura and it follows the path of the sunlight which penetrates through the hole. However, it is not a real one take, as when the camera goes through the hole there is a cut. We wanted to create a visually framed-structure as the camera spins 180 degrees at the beginning of the film and at the very end as well. Thus, we pose the question: What is really upside-down: the inside world (in the truck) or the outside world (the entire world)?

For the spinning of the camera we used a jib arm with a camera rotating device which was operated through a joystick by the DoP. The same gear head was mounted on top of a technocrane for the exterior as well.

What else was important to you during the implementation? Shouldn’t one have any ideas of the full implications at first?

It was very important for me that the audience would only understand the film gradually – step by step. Thus, as if we would be in a dark room and slowly explore what is in the room. In the beginning we do not really understand what we are watching. It is like a super 8mm projection. But as the camera goes further we see that people hanging from the ceiling upside-down. It feels like and expanded cinema art installation. Then the camera spins 180 degree and we see that the people are the right way up however, the projected image is upside-down. Following this the camera goes through the hole where the sunlight penetrates and goes out from a dark space. It goes up into a birds-view and it spins again 180 degree and ends in a upside-down picture. Meaning, that the entire film is an exploration. We step by step understand what is going on and in the very end we reveal that we were inside of that specific truck among dead people and in the end we arrive to the family who we saw through the camera obscura in the beginning of the film in the projection. It resembles Platos: Allegory fo the Cave. Like these people are watching a cinema screen  – their unfulfilled dreams in the obscura image. A projection of their subconscious.  

Can you tell me a little bit more about yourself at the end and what you have planned for the future?

I am working on multiple projects at the same time. I am just in the post production of my new short film entitled: „Breathless“ which deals with the problem of domestic violence. We are also developing a feature film called „Visitors in Sweden“ which is based on “Dark Chambers” concept, however we extended it into a feature film format, I am also in the process of writing another feature film in Hungary. In addition, I am working on a 10-episode TV show which we would like to pitch for Netflix. 

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm “Dark Chamber” 

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