Sieben Fragen an Jan Baumgartner

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Interview: Im Gespräch mit dem schweizer Filmemacher Jan Baumgartner konnten wir mehr über seinen 28-minütigen Dokumentarfilm „Talking Soil“ erfahren, der im Wettbewerb der 30. Bamberger Kurzfilmtage lief. Er erzählt, wie er sein Thema fand, wie es war vor Ort zu drehen und wíe er sich mit den Dokumentierten verstand.

Wie bist Du auf die Geschichte Deines Dokumentarfilms gestoßen? 

Seit 15 Jahren reise ich nach Bosnien. Dabei habe ich immer wieder die Minenwarnschilde gesehen. Allerdings sah ich nie einen Minenräumer. Ich war neugierig zu erfahren, wer diese Menschen sind, welche sich tagtäglich dieser Gefahr aussetzen und ihr Leben aufs Spiel setzen, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Auf einer Reise im Kosovo traf ich dann während einer Busfahrt einen Minenräumer. Und dieser erzählte mir, wie prekär ihre Arbeitsbedingungen sind. Da dachte ich mir, dass es in Bosnien wohl nicht viel besser ist.

Meine Idee war, ihnen eine Plattform zu geben und sie aus dem Schatten zu holen. In den Nachrichten kommen sie nur, wenn wieder einer gestorben ist. Ansonsten haben sie nicht mal eine eigene Gewerkschaft.

Kannst Du mir mehr zu den Dreharbeiten erzählen? Wie lange hast Du sie begleitet? 

Die Minensucher waren vor allem eines – überrascht. Weder die Politik noch sonst jemand hat sie während ihrer Arbeit in den letzten 25 Jahren je besucht. Einige empfingen uns mit offenen Armen, waren super neugierig. Andere waren scheu, zurückhaltend. (20 Männer, da sind nicht alle gleich…) Vor den Dreharbeiten verbrachte ich mehrere Wochen mit ihnen, nur für Recherchezwecke und um sie kennenzulernen. Dies war nötig, um Vertrauen aufzubauen.

Vor den Dreharbeiten willigten sie alle ein, dass sie gefilmt werden möchten. Außer einer, der wollte einfach nicht, dass wir ihn interviewen. Während der Recherche war ich die meiste Zeit alleine und kam aber gut zurecht mit meinen Bosnischkenntnissen. Während der Dreharbeiten hatten wir stets eine Übersetzerin dabei. Denn, die doch sehr sensiblen/Intimen Aussagen hätte ich nicht alle verstanden. Unser Projekt hat aber auch sehr viel ausgelöst. Die Minensucher fühlten sich teils unsicher (wollten keine falschen Aussagen machen. Dabei geht es um Korruption und ihre Zeit als Soldaten). Sie hatten Angst, dass ihre Aussagen Konsequenzen haben und sie ihren Job verlieren oder nachträglich für ihre Taten verurteilt werden könnten.

Kam es Dir selbst auch gefährlich vor?

Mein Kameramann Lukas Nicolaus und ich waren einen Monat jeden Tag mit den Minensuchern am Filmen. Wir verbrachten sehr viel Zeit in der Sicherheitszone. Doch für die nahen Aufnahmen mussten wir aufs Minenfeld, und da hätte jederzeit eine Mine hochgehen können. Wir fühlten uns aber stets sicher, die Jungs wissen was sie tun und aufgrund der Gefahr und der Konzentration waren wir max. 15 Minuten auf dem Feld und gingen dann wieder weiter. 

Viele Minen sind mit Stolperdraht versehen, wenn man da hängen bleibt, geht alles hoch. Die gefährlichste Mine ist die Springmine. Die tötet jeden im Umkreis von 50 Metern. Begleitet habe ich sie insgesamt ein Jahr. Bis heute habe ich noch Kontakt und wir sind im Austausch. Die Dreharbeiten waren extrem herausfordernd. Wir wussten nie, was und wie lange wir drehen konnten. Zudem war es sehr heiß, täglich ca. 35 Grad, kaum Schatten.

Konntest Du vorher einen roten Faden, erzählerisch wie visuell, entwickeln? 

Wir hatten schon einen roten Faden. Allerdings konnten wir den nicht umsetzen. Das Problem war, dass einer der Teamchefs uns am Filmen gehindert hat so gut es ging.

Er meinte zu uns, wir verunsichern die Leute. Als wir uns dann zurückgezogen haben und zwei Tage nicht gefilmt haben, kamen alle zu uns und fragten was los ist. Da wussten wir, wir sind nicht das Problem. Das Problem war, dass der Teamchef wohl sehr viel zu verstecken hatte, weil er im Krieg einiges verbrochen hat.

Wie viel Material hattest Du schlussendlich gesammelt? 

Ich glaube mit allen Interviews hatten wir gut 35 Stunden Filmmaterial.

Kannst Du mir zum Schluss noch etwas mehr von Dir erzählen und wie Du zum Dokumentarfilm gekommen bist?

Ich bin über die Fotografie zum Film gekommen. Lange plante ich Kriegsfotograf zu werden, habe diesen Plan dann fallen lassen und wurde Krankenschwester. ;) Einer meiner engsten Freunde ist Dokumentarfotograf und von ihm habe ich sehr viel gelernt. Sei es das Visuelle, wie auch das Erzählen einer Geschichte. Der Film hat mich immer fasziniert, aber viele Jahre konnte ich es mir weder leisten noch hatte ich Zeit dazu. Solche Projekte sind doch immer mit einem enormen Aufwand verbunden. Heute finanziere ich solche Projekte indem ich als Pflegefachmann in der Schweiz arbeite. Natürlich reicht es immer nur für einen Teil des Projekts, und so entstehen diese etappenweise.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich habe gerade das ganze letzte Jahr wieder in Bosnien gelebt. Wir begleiten die Forensiker (Anthropologen/Archäologen) welche die Opfer aus dem Krieg identifizieren.

Es wird eine Langfilmdoku. 2019 hatten wir bereits fünf Drehwochen. Da waren wir größtenteils auf Massengräbern und in Leichenhallen. Jetzt arbeite ich wieder bis Ende Mai und danach gehts wieder nach Bosnien wo wir über den Sommer/Herbst noch die restlichen Bilder einfangen werden. Wir hoffen, den Film 2022 im Frühjahr veröffentlichen zu können. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Talking Soil

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