„Nationalstraße“ (2019)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Nicht nur der Rechtspopulismus nimmt in vielen Ländern immer weiter zu, sondern auch die Bereitschaft zu Gewalt. Doch wie sieht es im Kopf eines solchen Menschen aus? Dieser Frage ging der tschechische Autor Jaroslav Rudiš bereits 2013 mit seinem Roman „Národní Třída” nach, den jetzt der Regisseur Štěpán Altrichter unter dem gleichnamigen Titel „Nationalstraße“ (OT: „Národní Třída“, Tschechische Republik, Deutschland, 2019) auf die Kinoleinwände bringt und zeigt, dass man dieses Thema auch mit Humor angehen kann. 

Vandam (Hynek Čermák) ist der Held in seinem Kiez. In seiner Stammkneipe lässt er sich mit viel Alkohol feiern und schreckt vor keiner Auseinandersetzung zurück. Als er erfährt das die Kneipenbesitzerin Lucka (Kateřina Janečková) finanzielle Probleme hat, will er unbedingt helfen und hofft so ihr Herz zu gewinnen. So setzt er nun seine unkonventionellen und brutalen Methoden gegen die Maklertypen ein. 

Katerina Janecková und Hynek Cermák
© Jan Hromadko

Der tschechische Autor Jaroslav Rudiš (*1972), der Theaterstücke und Romane schreibt u.a. „Alois Nebel“ (2011), erzählt in seinem 159-seitigen Roman von der Wutbürgerfigur Vandam. Dabei ist die ganze Geschichte ein einziger Monolog. Diese Struktur übernahm der Regisseur Štěpán Altrichter, der 2014 bereits „Schmitke“ erfolgreich auf die Leinwände gebracht hat, für seinen zweiten Spielfilm „Nationalstraße“ als Off-Kommentar. Ausgehend von dem Roman spinnt er die Geschichte um Vandam und sein Kiez weiter, bleibt aber dem Ton des Autors treu, der mit ihm gemeinsam am Drehbuch geschrieben hat. Dadurch entstand eine hervorragende Mentalitätsstudie, die die Zuschauer in den Kopf Vandams blicken lässt, den man sonst schnell be- und verurteilt hätte. Doch trotzdem beschönigen die Autoren die Figur nicht oder verschleiern gar, dass seine Handlungen meistens unzumutbar sind, sondern machen ihn (auch mit Rückblicken in ihre Vergangenheit) greifbar, aber entschuldigen oder rechtfertigen nichts. Dass dieser Drahtseilakt so wunderbar funktioniert liegt an dem hervorragenden tschechischen Darsteller Hynek Čermák, der Vandam in all seinen Zügen zum Leben erweckt. Er schafft es die Arroganz und das Nichtsehenwollen genauso einzufangen wie zartere Zwischentöne. Aber auch die anderen DarstellerInnen wurden wunderbar besetzt, schmiegen sich in das Milieu ein und zeichnen damit ein Bild, was nicht weit entfernt ist, von dem Alltäglichen. Dabei ist es auch für das deutsche Auge ganz wunderbar übertragbar auf das Heimatland, denn Menschen wie Vandam gibt es leider überall. Doch immer wieder wird dieser

Hynek Cermák
© Jan Hromadko

Realismus formal und erzählerisch gebrochen. So werden auf filmischer Ebene optisch ansprechende Effekte benutzt oder es kommt zu Überhöhungen oder Übertreibungen. Das lädt den Zuschauer dazu ein, auch mal über Themen lachen zu dürfen, über die man sonst eigentlich keine Witze macht. So ist im Gesamten zwar ein politischer Film entstanden, den man aber nicht zwingend als solchen auffassen muss. Eine Komödie mit Herz, aber mit einer klaren Charakterisierung des Protagonisten als Antihelden. Altrichter fand dafür den richtigen Kanon, Erzählrhythmus und überzeugt mit seinem Gespür für die Tonlage und die realitätsnahe Darstellung von Menschen. So kann man sich freuen, dass der Film auch in den deutschen Kinos eine Auswertung erhalten wird, nachdem man ihn auf Festivals u.a. in Cottbus sehen konnte: Das sollte man nicht verpassen.

Hynek Cermák und Jan Cina
© Jan Hromadko

Fazit: Der Spielfilm „Nationalstraße“ von Štěpán Altrichter fußt auf einem Roman des tschechischen Autors Jaroslav Rudiš. Zusammen mit ihm wandelte Altrichter die Vorlage in einem Film mit Ambivalenzen um, der dazu einlädt, über ernste Themen nachzudenken, aber auch darüber lachen zu können. Mit dieser Art Humor geht der Film ernste, politische Themen leichtfüßig an und schuf eine wunderbare Milieustudie, die den Zuschauer in Köpfe von Menschen blicken lässt, über die man sonst eigentlich keine Geschichten erzählt.  

Bewertung: 7,5/10

Kinostart: 11. Juni 2020

Trailer zum Kurzfilm „Nationalstraße“:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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