Acht Fragen an Christina Benz

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Interview: Im Gespräch mit der schweizer Künstlerin und Filmemacherin Christina Benz konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Fulesee“, der auf dem 63. DOK Leipzig seine Deutschlandpremiere feierte, erfahren, warum sie gerne mit dem Medium Sand arbeitet und wie diese Arbeit in Zusammenarbeit mit dem Elektro-Poetry-Duo ‚Die Astronauten‘ entstand. 

Dein Kurzfilm „Fulesee“ ist im Zuge Deines Projekts ‚Shifting Sands‘ entstanden, richtig? Wie bist Du auf Die Astronauten als Projektpartner aufmerksam geworden?

Ich war auf der Suche nach inspirierenden und spannenden Persönlichkeiten aus der hiesigen Literatur- und Musikszene, deren Stil und Themenkreis zu meinem Projekt passen könnten. Der Schriftsteller und Spoken-Word-Poet Patric Marino bildet zusammen mit dem Pianisten und Komponisten Oli Kuster das Elektro-Poetry-Duo ‚Die Astronauten‘. Auf sie bin ich im Zuge meiner Recherchen aufmerksam geworden – ein glücklicher Zufall. Ich fragte die beiden an, ob Sie Lust hätten, zusammen mit mir einen Film zu entwickeln, der die Kunstformen der Zeichnung, Lyrik und Musik vereint und deren Wechselwirkung auslotet.

Dein Film besteht aus Spoken-Word-Poetry, elektronischer Musik und Deinen Sandzeichnungen. In welcher Reihenfolge entstanden die einzelnen Elemente?

Am Anfang stand eine kurzes Sound-Fragment von Oli. Dieses inspirierte Patric zu einer Geschichte, die unter Wasser spielt. In einem intensiven ‚Ping-Pong’ tauschten wir Skizzen und Ideen. Wir verhandelten, welche Disziplin an welcher Stelle mehr Gewicht haben oder sich zurücknehmen soll: was soll auf Tonebene erzählt, was soll im Bild gezeigt werden, um illustrative Doppelspurigkeiten zu vermeiden und gleichzeitig die Erzählung im Fluss zu halten? Stellenweise brauchte die Musik mehr Raum oder das Bild musste ruhiger werden – so passten wir laufend Text, Musik und Bildideen an, um das Zusammenspiel erneut zu prüfen. Dann folgten die finalen Sprach- und Musikaufnahmen und anhand dieser erstellte ich die Sandzeichnungen.

Hast Du den beiden Vorgaben oder Ansätze für die Musik oder den Text gemacht? Wie lange hat die Entwicklung der tonalen Elemente gedauert?

Vorgegeben war das Thema „Life is too short“. Die konkrete Themensetzung, Erzählstil und Tonalität sollen vom Autor geprägt sein. Bei der Musik lautete die Vorgabe, dass ein einzelnes Instrument dem Film einen ganz individuellen Klang geben soll. Auf der Bildebene galten die zeichnerische Umsetzung mit schwarzem Sand sowie die Stop-Motion-Technik als gesetzt.

Für die Entwicklung eines Scripts und einer Musikskizze hatten Patric und Oli zwei Monate Zeit, die definitive Fassung der Sprach- und Musikaufnahmen erfolgte ca. ein halbes Jahr später. Für Geräusche, Mix und Foley hatten wir mit Christoph Steinmann einen Sounddesigner im Team, spezialisiert auf den Animationsfilm. Er verstand es, die Bild- und Tonebene subtil miteinander zu verknüpfen.

Wie verlief im Allgemeinen eure Zusammenarbeit – passierte alles eher getrennt voneinander? 

Jeder von uns arbeitet im eigenen Atelier/Studio, wir haben uns zwischendurch vor Ort getroffen, meist fand der Austausch digital statt in Form von Text-, Sound- und Videofiles und anschließenden Telefongesprächen oder Mail-Feedbacks. Sprache und Musik waren bereits bestens aufeinander eingespielt. Dazu kam das bewegte Bild als weitere Komponente (und stets mit einer zeitlichen Verzögerung, weil es einfach ungleich länger dauert, eine Animation anzufertigen). Unseren Austausch empfand ich als sehr konstruktiv und von großer gegenseitiger Wertschätzung. Jeder hatte kreative Freiheit in seinem Gebiet und gleichzeitig Inputs aus anderen Perspektiven. 

In allen Phasen des Projekts hat uns die Produktionsfirma The Band GmbH begleitet. Marco Leisi (Produzent) und Christine Rüfenacht (Schnitt), brachten ihre langjährige Erfahrung in der Filmproduktion ein. Situativ holten wir auch Feedback bei Leuten ein, welche die Arbeit mit frischen Augen und Ohren auf sich wirken lassen konnten – dazu fehlt einem selber mit der Zeit die Distanz.

Zu den Animationen: Du arbeitest mit Sand. Kannst Du mehr zu der Entstehung erzählen – arbeitet man mit Vorzeichnungen, welche Probleme tun sich auf und was ist das Schöne mit diesem Material zu arbeiten?

Mit Sand arbeite ich am liebsten intuitiv und wenn möglich ohne Vorzeichnungen – aus einem Bild ergibt sich das nächste. Und damit sind wir auch gleich bei den Herausforderungen: es gibt kein Zurück – das vorherige Bild ist nicht mehr rekonstruierbar. Damit die Bewegungen einigermaßen fließend erscheinen, dürfen die Bildveränderungen nicht zu groß sein. Manchmal bin ich in Gedanken schon beim nächsten Bild und muss dann zuerst noch minutiös die kleinen Schrittchen zeichnen, die in der Bewegung zur nächsten Einstellung führen, das kann ganz schön mühsam sein.

Was ich am Sand liebe ist die Rohheit des Materials, die Haptik – gerne zeichne ich mit bloßen Händen. Der Sand als Zeichnungsmaterial hat eine gewisse Unkontrollierbarkeit, das bringt eine zeichnerische Ungenauigkeit mit sich. Diese kann zu überraschenden Formen führen, die in ihrer Abstraktheit an etwas erinnern, aber eben nicht so konkret sind. Sie geben Raum zur Interpretation und der Betrachter entwickelt unweigerlich eigene Bilder im Kopf.

Wie lange hat die Umsetzung von „Fulesee“ im Gesamten in Anspruch genommen?

Den Aufwand für Animationsfilme ist immens. Schnell verfliegen die Monate für ein paar Minuten Filmarbeit. Die Umsetzungszeit für „Fulesee“ dauerte ungefähr sechs Monate, wobei der gesamte Prozess sich über 1 1/2 Jahre erstreckte.

Kannst Du mir zum Schluss noch ein wenig über Dich und Deine künstlerische Arbeit erzählen?

Seit meinem Kunststudium am Central Saint Martins College in London 2001-2004 setze ich mich mit dem bewegten Bild auseinander. Meine bisherigen Arbeiten umfassten hauptsächlich Videoarbeiten und Videoinstallationen. In den letzten Jahren wuchs mein Interesse für das Zeichnen, es entstanden Arbeiten auf Papier und ich eignete mir die Technik der Sandanimation an. Mit ‚Shifting Sands‘ fand ich zu einer kollaborativen Arbeitsform mit SchriftstellerInnen und MusikerInnen, die ich als sehr bereichernd empfand und weiterverfolgen möchte. Im Vordergrund steht dabei die Frage, auf welche Weise die verschiedenen Kunstformen im Storytelling miteinander agieren und wie die bildende Kunst, die Literatur und die Musik in Interaktion treten. 

Thematisch kreisen meine Arbeiten um soziale Aspekte unserer Zeit, es sind Fragen der Identitätsbildung und Rollenbilder, Erwartungen und Wertvorstellungen der Erfolgsgesellschaft und der damit verbundenen Möglichkeit des Scheiterns, die mich beschäftigen. Die Fragilität des Seins ist für mich seit jeher ein zentrales Thema – zur Zeit ist diese Gegebenheit präsenter, als einem lieb sein kann…

Sind bereits neue ‚Shifting Sands‘-Projekte oder andere Filme geplant?

Die Pandemie durchkreuzt alle Pläne. Ich hoffe, ‚Shifting Sands‘ weiterentwickeln zu können und freue mich darauf, die Möglichkeiten der Sandanimation weiter auszuloten. Ich bin neugierig auf weitere Kollaborationen und künstlerische Experimente. Auf das wir alle bald wieder Durchatmen können!

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Website des Projekts ‚Shifting Sands

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Fulesee

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