„Je suis Karl“ (2021)

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Filmkritik: Der Berlinale-Film „Je suis Karl“ (Deutschland/Tschechische Republik, 2021), der außer Konkurrenz in der Reihe ‚Berlinale Special‘ lief, ist der neueste Spielfilm des bekannten deutschen Regisseurs Christian Schwochow und zeigt, wie sich rechtsradikale Strukturen im gesellschaftlichen Denken verankern können.

Die junge Maxi (Luna Wedler) wird urplötzlich aus ihrem gewohnten Leben gerissen, als eine Bombe ihre gesamte Familie bis auf sie und ihren Vater Alex (Milan Peschel) tötet. Auf einmal fühlt sie sich in ihrer Heimatstadt Berlin nicht mehr sicher und ihre Welt gerät aus den Fugen. Als ihr Karl (Jannis Niewöhner) begegnet, hat sie endlich das Gefühl, dass sie jemand versteht. Zusammen mit ihm reist sie nach Prag und wird zum Teil einer Bewegung bestehend aus vielen jungen Menschen aus unterschiedlichen Ländern. Diese formiert sich im Laufe der Zeit immer weiter und wächst. Erst zu spät erkennt Maxi, was genau dahinter steckt, doch da ist sie bereits ein fester Bestandteil einer größeren Idee geworden, welche Karl bis zum finalen Höhepunkt mit geschickter Hand lenkt.

© 2019 Tom Trambow

Jannis Niewoehner und Luna Wedler

Der neueste Film von Christian Schwochow, der u.a. Filme wie „Novemberkind“ (2008), „Paula“ (2016) und „Deutschstunde“ (2019) schuf, ist ein radikal zu Ende gedachtes Portrait einer neurechten Bewegung, welche ihren Weg findet an die Macht zukommen. Zusammen mit dem Drehbuchautor Thomas Wendrich („Ich und Kaminski“ (2015)) schufen sie einen Film, der die cineastische Palette gut bedient und auch nicht vor Übertreibungen oder konsequenter Weiterentwicklung zurückschreckt, um dem doch sehr realitätsnahen Thema ein passendes Gewand zu geben. In diesem Film geht es nicht nur um ein persönliches Schicksal, wie und warum man sich als Individuum so einer Strömung anschließt, sondern um die Strukturen, welche im Hintergrund wirken. Wie wichtig sind Einzelpersonen in so einem System? Wie wird so etwas aufgebaut? Welche Aktionen und Signalwirkungen sind notwendig? Akribisch werden hier die einzelnen Schritte nachvollzogen vor allem aus der Sicht Maxis, die aber das Große und Ganze dahinter nicht zu erkennen vermag. Wunderbar ist, dass der Film sich auch nicht davor scheut, es bis zum Ende zu denken – dessen Ende schon der Titel andeutet, der ganz gezielt an dem damaligen Protestslogan ‚Je suis Charlie‘ anlehnt und hier aber seine perverse Verkehrung erfährt. Der gesamte Film ist in seiner Überspitzung provokativ gemeint und soll es auch sein – denn nur so kann man die Gefahr von rechts auch wunderbar einem Mainstream-Publikum vermitteln.

Jannis Niewöhner

Handwerklich wurde der Film ganz auf seine Geschichte abgestimmt und mit der richtigen Mischung aus gefühlten Dramaelementen und auch spannenden Szenen umgesetzt. Der Film wurde an verschiedenen europäischen Drehorten inszeniert und besticht durch die Wahl von Locations und Sets mit seiner starken Realitätsnähe. Neben der soliden Inszenierung funktioniert der Film auch aufgrund seines starken Ensembles. Allen voran Luna Wedler, die sich durch Filme wie „Das schönste Mädchen der Welt“ (2018) und „Dem Horizont so nah“ (2019) einen Namen gemacht hat und welche die verführbare Maxi mit der richtigen Mischung aus Zerbrechlichkeit und Stärke spielt. Jannis Niewöhner (Edelstein-Trilogie (2013-2016), „Jugend ohne Gott“ (2017)) spielt den sinistren, charmanten Verführer und Milan Peschel („Beckenrand-Sheriff“ (2021)) ist gut besetzt als überforderter und zu spät handelnder Vater. Auch sonst kann sich der internationale Cast sehen lassen, belebt er doch das Schreckgespenst der fundamentalen Rechten mit Menschen wie Du und ich und betont so die Gefährlichkeit, die

Luna Wedler und Jannis Niewöhner

von dieser Seite im meist harmlosen Gewand daherkommt. So ist Christian Schwochows neuester Film absichtlich provozierend, konsequent zu Ende gedacht und macht deutlich, dass man bestimmte Strömungen auf keinen Fall klein reden sollte.

Fazit: Der deutsche Spielfilm „Je suis Karl“ von Christian Schwochow nimmt sich die Bewegungen vieler Neu-Rechter-Gruppierungen zum Vorbild und schuf ein eindringliches Portrait solch einer politischen Entwicklung bis zur letzten Konsequenz. Solide, stimmungsvoll umgesetzt und gut besetzt macht der Film mit seiner provozierenden Art wütend und fassungslos und erreicht so sein Ziel.

Bewertung: 7/10

Kinostart: 16. September 2021

Trailer zum Film „Je suis Karl“:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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