64. DOK Leipzig 2021

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25.-31. Oktober 2021 / Passage Kinos, Cinestar Kinos, Regina Filmpalast, uvm.

Festivalbericht: Nachdem das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm bereits im letzten Jahr eine duale Lösung angeboten hat, bleibt es diesem Konzept in seiner 64. Ausgabe treu und lud in der letzten Oktoberwoche 2021 die ZuschauerInnen in die Leipziger Kinos u.a. in das Cinestar, Passage-Kino und neu dabei das Regina-Kino ein und präsentierte danach die Filme noch 14 Tage im Stream, so dass man als ZuschauerIn viele Möglichkeiten hatte die wunderbare Auswahl aus über 170 Dokumentation- und Animationsfilmen aus 60 Ländern zu entdecken.

Internationaler Wettbewerb

Aus 15 Ländern stammen die Beiträge des ‚Internationalen Wettbewerbs‘. Der Gewinner, der aus den 14 Dokumentarfilmen ausgewählt wurde, war das einfühlsame Portraits eines chinesischen Vaters, der seit seiner Kindheit blind ist: „Father“ von Wei Deng. Die Silberne Taube, welche einem Nachwuchsregisseur verliehen wird, ging an Karol Pałka für seinen Film „Bucolic“, in dem er das Leben von Mutter und Tochter in der polnischen Abgeschiedenheit dokumentiert und dabei eine besondere Annäherungsweise an die beiden fand. Der ebenfalls alljährlich verliehene FIPRESCI-Preis ging an den Film „Words of Negroes“, der die Arbeit in einer Zuckerfabrik auf Guadeloupe mit Passagen aus den Protokollen eines Gerichtsprozesses verbindet. Das Goethe-Institut zeichnete den Film „Republic of Silence“ von Diana El Jeiroudi aus, der sich auf sehr persönliche Weise mit dem Zerfall der Nation Syriens auseinandersetzt. Die beiden Filme „Among us Women“ und „Fati’s Choice“ gehen in afrikanische Länder und begleiten ihre junge Heldinnen auf ihren schwierigen Reisen, an dessen Ende mehr Selbstbestimmung steht. Der amerikanische Film „The Great Basin“ und der peruanische „Veins of the Amazon“ widmen sich einem bestimmten Abschnitt ihrer Landes. Chivas DeVinck erkundet in dem ersten Film den Staat Nevada, seine BewohnerInnen und Eigenheiten. Im Zweiten sehen wir, wie die Menschen am Amazonas in Peru auf die einzig mögliche Art reisen, mit dem Boot über den Fluss. 

Auch die Kurzfilme des ‚Internationalen Wettbewerbs‘ hatten einiges zu bieten. Die Goldene Taube für den Besten Animationsfilm gewann der polnische „Impossible Figures and Other Stories I“. „Abyssal“, der von einem Schiffsfriedhof in Kuba berichtet, wurde als Bester Dokumentarfilm ausgewählt. Unter den Beiträgen des Kurzfilmwettbewerbs blieb der Stop-Motion-Film „The Bones“ von Cristóbal León und Joaquín Cociña besonders im Gedächtnis, der versucht der chilenischen Filmgeschichte einen anderen Anfang zu schenken. Der polnische Kurzfilm „Crumbs of Life“ erzählt dagegen mit teils alptraumhaften Bildern eine Geschichte von Angstzuständen und lädt zum Interpretieren ein. 

Deutscher Wettbewerb

Regina Palast Leipzig

Auch der ‚Deutsche Wettbewerb‘, dessen Blick deutlich international ausgerichtet war, hatte viele spannende Beiträge zu bieten. Neben dem Gewinner der Goldenen TaubeA Sound of my Own“ konnte man u.a. den starken Film „Nasim“ sehen, der zeigt wie sich das Leben im Flüchtlingslager Moria anfühlte. Dieser bewegende Film von Ole Jacobs und Arne Büttner, der über acht Monate hinweg entstand, gewann gleich zwei Preise: den DEFA-Förderpreis und den ver.di-Preis für Solidarität, Menschlichkeit und Fairness. Franziska von Stenglin begab sich mit ihrem Film „Dust of Modern Life“ nach Vietnam und berichtet von einer ethnischen Minderheit, welche die alte Traditionen am Leben erhält. In der deutschen Produktion „Los cuatro vientos“ verfolgt die Regisseurin Anna-Sophia Richard die Wege einer Familie, deren Leben auf vier verschiedenen Kontinenten stattfindet, da in ihrer Heimat der Dominikanischen Republik die Lebensbedingungen leider zu schlecht sind. Unter den deutschen Beiträgen stach aber auch ein Film hervor, der sich in Form von zehn Kurzfilmen mit der deutschen Geschichte auseinandersetzt. Bettina Kuntzschs erster Langfilm „Kopf Faust Fahne – Perspektiven auf das Thälmanndenkmal“ bietet spannende, amüsante und lehrreiche Einblicke in die gelebte Geschichte und vor allem in die DDR-Vergangenheit.   

Passage Kinos

Auch im Kurzfilmsektor gab es viel zu entdecken. Unter anderem den Beitrag „Pink Mao“ der aus China stammenden Filmemacherin Tang Han, welche sich über die Farbe eines Geldscheins der Geschichte ihres Landes annähert und damit die Silberne Taube gewinnen konnte. Auch Pavel Mozhar blickt auf sein Heimatland und zeigt in „Handbuch“ die erschreckenden Vorgänge aus Belarus. In seinem Studentenzimmer in Berlin findet er einen Weg sich auf eindringliche Weise mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Abgerundet wurde das Programm u.a. von gelungenen Animadoks wie „Glückspfad“ von Jakob Werner, Thea Sparmeier und Pauline Cremer, die sich mit der Natürlichkeit von Haarwuchs und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Schönheitskonventionen beschäftigen.

Wettbewerb um den Publikumspreis

Florence Miailhe („Die Odyssee“)

Beim ‚Wettbewerb um den Publikumspreis‘ konnten wir viele Highlights entdecken. Sei es die amüsante und schwungvolle Dokumentation „The Cars We Drove into Capitalism“, welche von der sozialistischen Autoindustrie berichtet. Oder den liebenswerten Film „The Balcony Movie” von Paweł Łoziński, der sich von seinem Balkon aus mit den vorbeigehenden Menschen unterhält, teils amüsant, teils philosophisch auf die Welt und ihre BewohnerInnen blickt und dafür zurecht mit dem MDR-Filmpreis prämiert wurde. Sehr persönlich ist auch die Dokumentation „Dida“ von Nikola Ilić und Corina Schwingruber Ilić, welche von Nikolas Mutter berichtet, die bisher in ihrer eigenen Welt gut behütet von der eigenen Mutter lebte und nun auf eigenen Füßen stehen muss. Diese berührende Dokumentation konnte die Goldene Taube gewinnen. Gleich drei hervorragende Filme (zwei davon wurden auch mit Preisen ausgezeichnet) in diesem Wettbewerb beschäftigten sich mit dem Thema Flucht. Zum einen war der Animationsfilm „Die Odyssee“, der absichtlich von nicht existierenden Ländern und Fluchtstationen berichtet und mit seinen auf Glas gemalten Animationen wunderbar eine universelle Geschichte erzählt. Nach einer wahren Begebenheit erzählt „Flee“, ebenfalls ein Animationsfilm, von der jahrelangen Flucht Amins aus Afghanistan über Russland nach Dänemark. Persönlich ist auch der Dokumentarfilm „Our Memory Belongs to Us“, in dem sich vier junge Männer über Erfahrungen im Krieg in Syrien und ihre Erinnerungen an ihre Heimat austauschen.    

Auch im Kurzfilmsektor wurde sich einer weiten Bandbreite von Themen angenommen. So handeln Filme wie „To Pick a Flower“ von Kolonisierung und bieten einen gelungenen Blick in die Vergangenheit der Philippinen. Auch der Ausgangspunkt von „The Gray Shrimp Report“ handelt von Vergangenem, welches immer noch Auswirkungen auf die Menschen heute hat, hier im Speziellen bei ihrer Ernährung. Aber auch persönliche Geschichten, wie „Love, Dad“ von Diana Cam Van Nguyen, die damit auch eine Silberne Taube gewann, sind hier zu finden. Sie berichtet rückblickend von der Zeit als Ihr Vater im Gefängnis war und machte mit diesem gelungenen Animationsfilm ihren Abschluss an der FAMU.

Weitere Reihen und Sonderprogramme

Natürlich konnte man als ZuschauerIn auch in diesem Jahr neben den Wettbewerbsbeiträgen einige Sonderreihen, eine Retrospektive und etablierte Programme wie das Kids DOK sehen. Zudem bestand die Möglichkeit, auf dem ‚DOK Neuland‘, welches sich Museum der Bildenden Künste Leipzig befand, zehn VR-Filme zu sehen und auszuprobieren. In der Sektion ‚Camera Lucida‘, welche außer Konkurrenz lief, konnte man filmische Perlen wie „The Still Side“ von Miko Revereza und Carolina Fusilier entdecken, welche in eine Welt abseits von Menschen führte und deren Hinterlassenschaften mit einem neugierigen Blick erkundeten. Besonders einprägsam war die Dokumentation „Gabi, Between Ages 8 and 13“ von Engeli Broberg. Diese Langzeitbeobachtung begleitet Gabi über fünf Jahre, welche sich seit jungen Jahren schon nicht wie ein Mädchen fühlt und dafür mehr und mehr eintritt. Spannend war auch das kleine Sonderprogramm ‚Der Schnitt macht den Film‘, in dem die beiden Filme „Odoriko“ und „Nude at Heart“ gezeigt wurde, welche zwar aus dem gleichen Material entstanden, aber doch ganz unterschiedlich über die Nackttänzerinnen von Japan erzählen und beide einen anderen, reizvollen Ansatz finden. 

Fazit: Die 64. Ausgabe des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm bot auch in diesem Jahr ein breites Angebot an Kurz- und Langfilmen und konnte vor allem auf dem Sektor des Dokumentarfilms mit vielen Filmen begeistern. Aus vielen Ländern beschäftigen sich die Filme in ganz unterschiedlichen Stilen und Ansätzen mit wichtigen historischen und zeitaktuellen Stoffen. Erzählten persönliche Geschichten sowie breit aufgefächerte Betrachtungen von Ländern, Landstrichen und Menschen. So konnte man als ZuschauerIn, ob nun online oder live, viele Filme entdecken, die einen mitnahmen, berührten, aufwühlten oder Neues entdecken ließen.

Trailer des 64. DOK Leipzig 2021

geschrieben von Doreen Matthei

Im Bericht erwähnte Filme:

  • „A Sound of My Own“ (OT: „A Sound of My Own“, Deutschland, 2021, Regie: Rebecca Zehr)
  • „Abyssal“ (OT: „Abisal“, Frankreich/Kuba, 2021, Regie: Alejandro Alonso)
  • „Among us Women“ (OT: „Unter uns Frauen“, Deutschland/Äthiopien, 2021, Regie: Sarah Noa Bozenhardt und Daniel Abate Tilahun)
  • Bucolic“ (OT: „Bukolika“, Polen, 2021, Regie: Karol Pałka)
  • Crumbs of Life“ (OT: „Okruszki życia“, Polen, 2020, Regie: Katarzyna Miechowicz)
  • „Dida“ (OT: „Dida“, Schweiz, 2021, Regie: Nikola Ilić und Corina Schwingruber Ilić)
  • „Die Odyssee“ (OT: „Die Odyssee“, Deutschland/Tschechische Republik/Frankreich, 2021, Regie: Florence Miailhe)
  • „Dust of Modern Life“ (OT: „Pa va hêng“, Deutschland/Frankreich, 2020, Regie: Franziska von Stenglin)
  • „Father“ (OT: „Ye ye he fu qin“, China, 2020, Regie: Wei Deng)
  • „Fati’s Choice“ (OT: „Le choix de Fati“, Ghana/Südafrika, 2021, Regie: Fatimah Dadzie)
  • Flee“ (OT: „Flugt“, Dänemark/Frankreich/Schweden/Norwegen, 2021, Regie: Jonas Poher Rasmussen)
  • Gabi, Between Ages 8 and 13“ (OT: „Gabi, mellan åren 8 till 13“, Schweden, 2021, Regie: Engeli Broberg)
  • Glückspfad“ (ET: „Happytrail“, 2021, Regie: Jakob Werner, Thea Sparmeier und Pauline Cremer)
  • Handbuch“ (ET: „Handbook“, Deutschland, 2021, Regie: Pavel Mozhar)
  • „Impossible Figures and Other Stories I“ (OT: „Figury niemożliwe i inne historie I“, Polen/Kanada, 2021, Regie: Marta Pajek)
  • Kopf Faust Fahne – Perspektiven auf das Thälmanndenkmal“ (OT: „Head Fist Flag – Perspectives on the Thälmann Memorial“, Deutschland, 2021, Regie: Betina Kuntzsch)
  • „Los cuatro vientos“ (OT: „Los cuatro vientos“, Deutschland, 2021, Regie: Anna-Sophia Richard)
  • Love, Dad“ (OT: „Love, Dad“, Tschechische Republik/Slowakei, 2021, Regie: Diana Cam Van Nguyen)
  • „Nasim“ (OT: „Nasim“, Deutschland, 2021, Regie: Ole Jacobs und Arne Büttner)
  • „Nude at Heart“ (OT: „Nude at Heart“, Japan/Frankreich, 2021, Regie: Yoichiro Okutan)
  • Odoriko“ (OT: „Odoriko“, Japan/USA/Frankreich, 2020, Regie: Yoichiro Okutani)
  • „Our Memory Belongs to Us“ (OT: „Frihed, håb og andre synder – Den syriske revolution 10 år senere“, Dänemark/Frankreich/Palästina, 2021, Regie: Rami Farah und Signe Byrge Sørensen)
  • Pink Mao“ (OT: „Pink Mao“, Deutschland/China, 2021, Regie: Tang Han)
  • „Republic of Silence“ (OT: „Republic of Silence“, Deutschland/Frankreich/Syrien/Katar, 2021, Regie: Diana El Jeiroudi)
  • The Balcony Movie” (OT: „Film balkonowy“, Polen, 2021, Regie: Paweł Łoziński)
  • „The Bones“ (OT: „Los huesos“, Chile, 2021, Regie: Cristóbal León und Joaquín Cociña)
  • „The Cars We Drove into Capitalism“ (OT: „The Cars We Drove into Capitalism“, Bulgarien/Deutschland/Dänemark/Kroatien/Tschechische Republik, 2021, Regie: Boris Missirkov und Georgi Bogdanov)
  • The Gray Shrimp Report“ (OT: „Le constat de la crevette grise“, Belgien, 2021, Regie: Rémi Murez)
  • The Great Basin“ (OT: „The Great Basin“, USA, 2021, Regie: Chivas DeVinck)
  • The Still Side“ (OT: „El lado quieto“, Philippinen/Südkorea/Argentinien/Mexiko, 2021, Regie: Miko Revereza und Carolina Fusilier)
  • To Pick a Flower“ (OT: „To Pick a Flower“, Philippinen, 2021, Regie: Shireen Seno)
  • „Veins of the Amazon“ (OT: „Odisea amazónica“, Peru, 2021, Regie: Álvaro Sarmiento, Terje Toomistu und Diego Sarmiento)
  • „Words of Negroes“ (OT: „Paroles de nègres“, Frankreich, 2020, Regie: Sylvaine Dampierre)

Quellen:

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