Zehn Fragen an Eva Hartmann

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Interview: Im Gespräch mit der Regisseurin Eva Hartmann konnten wir mehr über ihre Dokumentation „Urlau(b)“, die auf dem 44. Filmfestival Max Ophüls Preis 2023 ihre Weltpremiere feierte, erfahren, warum sie beschloss, dem Ort Urlau im Allgäu ein Portrait zu widmen, wie die Arbeit vor Ort verlief und warum die Corona-Pandemie den Filmdreh verlängerte.

Wie hat alles begonnen? Wie seid ihr auf die Idee gekommen, den Ort Urlau zu portraitieren?

Ausgangspunkt war das Gelände der ehemaligen Heeresmunitionsanstalt Urlau. Ich habe in der Zeitung einen Artikel gelesen, dass Center Parcs dort einen Ferienpark bauen möchte. Gleichzeitig erfuhr ich über diesen Artikel, dass ein großer Teil des Allgäus beinahe am Ende des Krieges einer Katastrophe zum Opfer gefallen wäre. Das Gelände sollte eigentlich mitsamt den dort lagernden hochgiftigen Kampfstoffen gesprengt werden, aber der damalige Kommandant hat das zum Glück verhindert. Wäre die Sprengung wie geplant durchgeführt worden, wäre das Allgäu heute vermutlich nicht als Urlaubsregion bekannt. Ich habe dann mit Barbara Groben, der Produzentin und Co-Autorin des Films, darüber gesprochen. Der eklatante Kontrast zwischen der Vergangenheit und der geplanten Zukunft des Geländes hat uns nicht mehr losgelassen. Als 2015 endlich entschieden war, dass der Park tatsächlich gebaut werden sollte, war für uns auch klar, dass wir mit der Recherche für unseren Film beginnen.

Wie hast Du die Protagonisten kennengelernt und ihr Vertrauen gewonnen?

Wir wollten unbedingt eine Person finden, die den Krieg selbst erlebt hat. So sind wir auf Cäcilia Angerer gekommen. Gleichzeitig sollte es ein Film werden, der in der Gegenwart spielt und aktuelle Entwicklungen beobachtet. Deshalb haben wir nach Menschen gesucht, die Projekte umsetzen wollten, die eine direkte oder indirekte Verbindung zu dem entstehenden Ferienpark hatten. Schnell wurden wir auf Christian Skrodzki aufmerksam gemacht, weil er in der Region bekannt ist für seine Umtriebigkeit und seine ambitionierten Projekte. Sabine und Timo Wehr kannte ich von früher und wusste, dass sie gerade dabei waren, ihre Ferienwohnung fertig zu machen. Über sie konnten wir eine größere Bandbreite touristischer Projekte erzählen – vom Feriendorf mit 1000 Bungalows bis zur einzelnen Ferienwohnung im strahlenfreien Holzhaus. Für das Vertrauen hat es sicherlich geholfen, dass ich Allgäuerin bin und meine Mutter und mein Vater in der Region um Leutkirch aufgewachsen sind. Außerdem hat man sich über die Jahre noch besser kennen- und schätzen gelernt.

Als die Pandemie kam, war klar, dass ihr weitermachen musstest, richtig?

Ja, das war relativ schnell klar. Nachdem wir vier Jahre lang die „Erfolgsstory“ einer Region gedreht hatten, konnten wir nicht einfach aufhören und so tun, als hätte die Pandemie nicht stattgefunden. Das wäre befremdlich gewesen.  

Wie war es, in der Pandemie-Zeit zu drehen?

Aufgrund der Pandemie habe ich sehr oft alleine gedreht, oder maximal zu zweit. Nachdem wir in den ersten vier Jahren des Drehs unglaublich viele Feste und Menschen gefilmt hatten, war die plötzliche Ruhe in der Pandemie fast gespenstisch. Gleichzeitig habe ich immer mehr gefallen an der Kameraarbeit gefunden, was mir bei unserem Folgeprojekt sehr zugute kam. 

Was lag Dir visuell am Herzen?

Besonders die beobachtenden Szenen liegen uns am Herzen. Wir lieben es, wenn man in Dokumentarfilmen Momente erleben kann, die sich vor der Kamera entfalten, ohne dass sie forciert oder inszeniert wurden. Visuell haben wir vor allem Natürlichkeit und Nähe zu den Protagonisten angestrebt, wobei die statischen Landschaftsbilder oder die Bilder im leeren Center Parcs einen Kontrapunkt dazu darstellen und die Zuschauer einladen kurz innezuhalten und das Geschehen zu reflektieren. 

Haben die Urlauer den Film schon sehen können und wenn ja, wie hat er ihnen gefallen?

Bisher haben den Film nur unsere Protagonisten und einzelne Familienangehörige gesehen. An ihren Reaktionen haben wir gemerkt, dass der Film für die Menschen in der Region als Zeitdokument sehr emotional ist. Wir können es kaum erwarten, den Film einem größeren Publikum im Allgäu vorzustellen. 

Wo wird man Deinen Film als Nächstes sehen können?

Wir sind gerade dabei, eine lokale Auswertung anzukurbeln. Die Termine stehen noch nicht fest, aber der Film wird auf jeden Fall in Leutkirch und Umgebung zu sehen sein. 

Kannst Du mir noch ein bisschen von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist?

Schon in der Video AG meiner Schule habe ich mit zwei VHS-Rekordern und einem Schnittpult erste Erfahrungen gesammelt und gemerkt, dass mich insbesondere das Schneiden fasziniert. Jetzt muss ich ein bisschen ausholen: Mit 16 habe ich dann meine irische Brieffreundin besucht und bei diesem Aufenthalt Barbara kennengelernt, die ebenfalls zu Besuch bei ihrer Brieffreundin war. Danach ist unser Kontakt wieder abgerissen, bis wir uns drei Jahre später zufällig in einem Hotel in New York auf einer Orientierungswoche für neu angekommene Au-Pairs gegenüberstanden. Es hat sich herausgestellt, dass wir beide in der Region um Boston bei einer Gastfamilie sind und dass wir beide Filme machen wollen. In diesem Jahr haben wir einen Abendkurs an der Harvard University belegt. Er hieß Five Directors. Wir haben Filme von Ingmar Bergman, Andrei Tarkowski, Jean-Luc Godard, Robert Altman und Satyajit Ray gesehen. Das hat uns geprägt und uns eine neue Sichtweise auf den Film eröffnet. Danach ist unser Kontakt nicht mehr abgerissen und heute machen wir tatsächlich Filme zusammen. 

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ja. Wir sind gerade in der Postproduktion mit einem Film über die deutsche Band Rainer von Vielen, die wir durch die Corona Krise begleitet haben. Rainer, der Sänger, ist mein Bruder. Es geht um den konkreten Umgang der Musiker mit der existenzbedrohenden Corona Pandemie und um das Künstlerdasein im Allgemeinen.

Und eine Frage noch zum Schluss: Würdest Du empfehlen, in Urlau Urlaub zu machen?

Na klar. Urlau ist ein super Ausgangspunkt für Ausflüge zum Bodensee, in die Berge oder für einen Städtebesuch in Leutkirch, Wangen, Isny oder Kempten. Und ein Besuch in der Genussmanufaktur ist natürlich ein Muss!

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Urlau(b)“

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