Zehn Fragen an Mirko Muhshoff und Kai Zwettler

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 Interview: Im Gespräch mit den beiden Filmemacher Mirko Muhshoff und Kai Zwettler konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Oliver auf Kammerjagd“, der auf dem 23. Landshuter Kurzfilmfestival 2023 zum Publikumsliebling des Kids-Blocks gekürt wurde, erfahren, warum sie sich für eine Mischung aus Spielfilm und Animationen entschieden haben und wie weit sie von Thüringischen Städtchen und den Filmen des Studio Ghiblis beeinflusst wurden.

Wie ist die Idee zu eurem Kinderfilm entstanden? Wie hat die mitteldeutsche Märchenwelt da hinein gespielt?

Mirko: Die grundsätzliche Idee, sich mit der mitteldeutschen Märchenwelt auseinanderzusetzen, hatte ihren Ursprung darin, dass wir uns für unser Studien-Abschlussprojekt die Animationsfilme des japanischen Studios Ghibli zum Vorbild genommen hatten. „Oliver auf Kammerjagd“ lagen eigentlich zwei Fragen zu Grunde: Lässt sich der Charme dieser Zeichentrickfilme auch im Realfilm abbilden? Und funktioniert dieser Ansatz des ‚magischen Realismus‘, wie er oft im japanischen Film zu finden ist, auch in einem deutschen Setting? So wie z.B. in „Mein Nachbar Totoro“ ganz selbstverständlich mit den lokalen Waldgeistern interagiert wird, sollten unsere Figuren unaufgeregt die mitteldeutsche Märchenwelt entdecken.

Kai: Wir kommen beide nicht aus Thüringen, waren also zunächst auch selber noch nicht allzu sehr mit diesen Erzählungen vertraut und hatten Lust, uns in dieses verborgene Universum zu stürzen. In der Recherchephase haben wir hunderte von Sagen durchkämmt und einige vollkommen unterschiedliche Drehbuchentwürfe daraus gebastelt. Und am Ende sind wir bei Oliver angekommen, dessen Geschichte ein ganzes Kaleidoskop von Mythen und Sagengestalten vereint. Ein paar Aspekte haben wir relativ direkt übernommen, wie zum Beispiel das Aussehen des Rasselbocks, also des Thüringer Wolpertingers. Andere Anleihen sind so obskur, dass wahrscheinlich selbst ein mitteldeutscher Märchenspezialist genau hinschauen müsste, um das zu erkennen (und wahrscheinlich würden wir dann auch Ärger dafür kriegen, wie frei wir unsere Quellen interpretiert haben).

Eure Aufnahmen des idyllischen Städtchens sind fantastisch. Erzählt mir bitte mehr zu eurer Suche nach Drehorten und wo ihr gedreht habt.

Mirko: Unsere Drehorte waren die beiden Städte Mühlhausen und Bad Langensalza im Norden Thüringens, die wir dann zu der fiktiven Stadt „Mühlenbad“ fusioniert haben. Beide Orte haben wir eher zufällig entdeckt: Bad Langensalza, weil wir das Kirschblütenfest im japanischen Garten besuchten und Mühlhausen, da wir uns den (wirklich sehr märchenhaften) Quelltopf ansehen wollten, der es schließlich auch in den Film geschafft hat. Für beide Städtchen waren wir gleich Feuer und Flamme: Die kleinen Gässchen und Kanäle, die Stadtmauern, das Fachwerk, die bunten Fassaden; eigentlich hatte man beim Spaziergang gleich das Gefühl, in einer Filmkulisse zu stehen. Diesen staunenden, touristischen Blick wollten wir auch irgendwie im Film wiedergeben. Man kann also sagen, dass die Drehorte dem Film eigentlich ein bisschen vorausgingen.

Was lag euch visuell bei den Live-Aufnahmen am Herzen?

Mirko: Dass sich eine Art nostalgisches Sommerferiengefühl auf die Zuschauenden überträgt. Obwohl wir oft mit dem Wetter zu kämpfen hatten, sollte der Film nach flirrendem Hitzefrei aussehen. Darüber hinaus haben wir großen Wert auf Übersichtlichkeit gelegt. Durch lange, oft statische Einstellungen wollten wir ein räumliches Gefühl erzeugen, das die Zuschauenden unmittelbar in das Geschehen hineinzieht. Neben dem Studio Ghibli war da zum Beispiel auch der Film „Call me by your name“ eine Inspiration. Man sollte das Gefühl haben, man könne nach dem Anschauen einen ungefähren Grundriss der Drehorte anfertigen. Das Statische war aber natürlich auch für die Animationen von Vorteil.

Und wie seid ihr die Animationen angegangen? Hattet ihr Vorbilder, auf die ihr referenziert?

Kai: Die Kombination von Realfilm und handgezeichneter 2D-Animation lag uns sehr am Herzen und war etwas, das wir unbedingt noch im Kontext eines größeren Projekts umsetzen wollten, bevor es nach dem Studium „in die echte Welt“ ging. Diesen Mix gibt es ja leider heutzutage eher selten, aber wir sahen darin das Potential, eine ganz besondere Art von zeitloser Magie zu entfalten. Filme wie „Who framed Roger Rabbit“ waren natürlich große Vorbilder, insbesondere dafür, wie natürlich und elegant Cartoons in die reale Umgebung eingebunden werden. Das erforderte einerseits sehr viel Planung und Experimentieren im Voraus und zog andererseits auch eine relativ aufwändige Compositing-Phase nach sich. Das heißt, wir haben versucht, Beleuchtung und Schattenwurf unserer Fabelwesen so genau wie möglich an ihre Umwelt anzupassen. Die Figuren und magischen Elemente haben unterschiedliche Inspirationen, insbesondere japanische Animationsfilme unserer Kindheit. Wie bereits erwähnt stand vor allem Studio Ghibli Pate für die spezielle Art von magischem Realismus, der übernatürliche Wesen und Geschehnisse mit einer nicht hinterfragenden Selbstständigkeit in den Alltag der Filmwelt einbindet.

Nach welchen Kriterien habt ihr euren Cast zusammengestellt?

Jessica Trocha und Wieland Kahlert

Mirko: Unseren Hauptdarsteller Wieland Kahlert kannten wir bereits von früheren Weimarer Studiprojekten und waren überzeugt, dass er den Film mit seiner Ausdrucksstärke tragen könne. Für die Rolle der Fiona haben wir online einen Castingaufruf gestartet und Jessica Trocha aus vielen tollen Bewerberinnen ausgewählt. Sie hat so eine krasse Positivität ausgestrahlt, wir waren sofort angetan. Die anderen Kinderschauspielenden stammen tatsächlich aus unseren Drehorten und der näheren Umgebung und sind durch einen Aufruf in der Lokalzeitung zu uns gestoßen. Es war nicht nur sehr schön, mit Menschen vor Ort zu arbeiten, sondern für uns auch sehr praktisch, da wir als studentische Produktion nur wenig finanzielle Mittel zur Verfügung hatten, um Anfahrten und Unterbringung zu bezahlen. So

konnten wir das Angenehme mit dem Praktischen verbinden. 

Wie schwierig war – gerade auch für die jungen Darsteller:innen – das Spiel mit den 2D-Wesen?

Kai: Die Szenen, in denen unsere Schauspielenden direkt mit den magischen Wesen interagieren, waren sicherlich eine besondere Herausforderung beim Dreh. Allerdings haben sowohl Erwachsene als auch Kids das richtig gut gemacht. Wir haben die Szenen zuerst wahlweise mit einem Pappmaché-Wichtel und einem Plüschhasen durchgespielt, bis die Abläufe klar waren. Da gehört natürlich schon ein bisschen Vorstellungsvermögen dazu – ein Plüschhase, der von unserer Regieassistentin Anika Mätzke durch den Raum geschoben wurde, half natürlich schon beim Spielen, aber war eben doch nicht ganz ein echter Rasselbock. Am Ende haben unsere Schauspielenden dann entweder die Szene einmal komplett ohne Attrappen gemeistert oder wir haben Bildteile digital entfernt. 

Könnt ihr mir zu euch erzählen und wir zum Film gekommen seid?

Kai: Ich hab schon immer gerne gezeichnet und tonnenweise Filme konsumiert. Und es hat zwar ein paar Umwege vom kleinen Heimatkaff durch Wuhan und Hongkong gebraucht, bis ich dann im Masterstudium die Erleuchtung hatte – why not both! An der Bauhaus-Uni hatte ich dann die Möglichkeit, nach Herzenslust mit verschiedenen Animationsstilen zu experimentieren und auch immer wieder mal wieder zur Abwechslung Filme ganz mit „echten“ Menschen zu drehen – je nachdem, was die Story verlangte. Und zu den echten Menschen gehört zum Glück auch Mirko, den ich für meinen ersten Bauhaus-Film gecastet habe. 

Mirko: Ich habe meine ersten filmischen Gehversuche mit kleinen Sketchen auf YouTube absolviert und war wie Kai auch immer ein begeisterter Kinogänger. Nach der Schule hat es mich dann nach Weimar zur Medienkunst verschlagen. Das ist ein Studiengang, der glücklicherweise sehr viel Raum zum Experimentieren lässt. Dahingehend passt es eigentlich ganz gut, dass unser Abschlussfilm so ein Mischmasch aus verschiedenen Genres und Stilen geworden ist. Aber das Studium lädt vor allem auch zur Zusammenarbeit ein, was immer sehr bereichernd ist, und ich bin sehr froh, dass Kai und ich mit unseren speziellen Vorstellungen zueinander gefunden haben und es gleich so gut gematcht hat.

Wie war eure Arbeitsteilung am Set?

Kai: Am Set haben wir gemeinsam Regie geführt und recht schnell einen Modus gefunden, wie wir erfolgreich zusammen durch die zehn Tage kommen. Ich habe besonders bei den Szenen die Führung übernommen, die irgendeine Art von Animation enthalten, während Mirko vordergründig die schauspielerischen Interaktionen betreut hat. Letztendlich haben wir die Entscheidungen aber meistens gemeinsam getroffen, was eine echt schöne Erfahrung war. Und es war natürlich auch oft einfach erleichternd, zwei zusätzliche Augen neben sich zu haben, die auf unterschiedliche Dinge achten und so nochmal Impulse zu geben, auf die man selbst nicht gekommen wäre.

Mirko: Und nach Ende unserer elf Drehtage hat sich Kai schließlich mit einem kleinen Team in die krass aufwändige Animationsarbeit geworfen. Derweil habe ich den Schnitt übernommen.

War euch immer klar, dass ihr als Abschlussfilm einen Kinderfilm realisieren wollt und werdet ihr beim Kinderfilm bleiben?

Jessica Trocha

Mirko: Irgendwie haben wir beide eine Schwäche für diese seltsamen Hybridfilme, die auf den ersten Blick zu melancholisch und düster für Kinder, aber zu kindlich für Erwachsene erscheinen. Wenn diese Linien verschwimmen, wird es interessant und man kann Kindern als Publikum sicherlich viel mehr zutrauen, als man zuerst glaubt. Dahingehend haben wir „Oliver auf Kammerjagd“ zwar schon als Film für Kinder konzipiert, haben uns von diesem Label aber nicht zu sehr bestimmen lassen. Im Grunde lässt sich im Kinderfilm fast alles erzählen, das auch für Erwachsene im Leben von Bedeutung ist. Im Fall von „Oliver“ ist das vielleicht das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Ich hätte auf jeden Fall Lust, bald mal wieder an einem ähnlichen Projekt zu arbeiten.

Kai:Oliver auf Kammerjagd“ war für mich tatsächlich der Auslöser dafür, dass ich in Zukunft noch mehr Geschichten für ein junges Publikum erzählen möchte. Es muss nicht unbedingt die Alterszielgruppe unseres Abschlussfilms sein, aber mich treibt an, Filme zu schaffen, die ich als Jugendlicher am besten selbst gerne gesehen hätte – und die mir vielleicht sogar etwas auf den Weg mitgegeben hätten.

Habt ihr schon neue Projekte – allein oder gemeinsam – im Sinn?

Kai: Ich arbeite gerade an einer historischen Kinderserie für den Kika, die ebenfalls Realfilm und Animation miteinander verbindet. Nebenbei bastele ich an einer weiteren Kinderserie, die noch mehr von den hunderten mitteldeutschen Sagen aufgreift, aber in den Kontext eines größeren, etwas komplexeren Sommerabenteuers stellt. Fünf Freunde meets Stranger Things in Mitteldeutschland sozusagen. Und das nächste gemeinsame Projekt kommt bestimmt :)

Mirko: Absolut! Da gibt es noch zahllose Genremixes, die wir gemeinsam erkunden können. Nach „Oliver auf Kammerjagd“ habe ich mit meinem guten Freund Jano Kaltenbach und der UFA die komödiantische Mockumentary-Serie „Irgendwas mit Medien“ für den MDR gedreht. Dabei handelt es sich um einen humorvollen (und ein bisschen autobiografischen) Blick auf die Umbruchszeit nach der Schule und die ganzen Peinlichkeiten, die damit einhergehen. Neben Regie und Drehbuch durften wir auch die Hauptrollen übernehmen, was für uns neu und ziemlich aufregend war. Die Serie ist inzwischen in der ARD-Mediathek abrufbar.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Oliver auf Kammerjagd

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