„Asteroid City“ (2023)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Der amerikanische Regisseur Wes Anderson macht seit seit vielen Jahren Filme mit einem für ihn ganz typischen Stil. Zu großer Bekanntheit gelangte er, als er mit „Grand Budapest Hotel“ überall Preise abräumte u.a. auch auf der 87. Oscarverleihung 2015. Seitdem teilt sich das Lager in Fans seiner Filme und seines Stils sowie Kritiker:innen, die ihm vorwerfen, dass seine Filme sich nicht verändern und der Stil vor allem einem Selbstzweck dient. In diesem Jahr kam sein mittlerweile elfter Spielfilm in die Kinos – „Asteroid City“ (OT: „Asteroid City“, USA, 2023) und auch hier wird wieder Kritik laut, obwohl er ein formvollendeter Wes-Anderson-Film ist, der alles mitbringt, auch auf erzählerisches Ebene, was seine Arbeit ausmacht. 

Courtesy of Pop. 87 Productions/

Jake Ryan, Jason Schwartzman und Tom Hanks

Der berühmte Theaterautor Schubert Green (Adrien Brody) hat sich eine Geschichte für sein nächstes Stück ersonnen: Augie Steenbeck (Jason Schwartzman) ist mit seinen vier Kindern auf dem Weg zum Großvater Stanley Zak (Tom Hanks) mitsamt der Asche seiner Frau im Gepäck. Als sie in Asteroid City ankommen, wo der älteste Sohn Woodrow (Jake Ryan) an einem Wissenschaftswettbewerb teilnimmt, bleibt ihr Auto liegen. Der Großvater soll sie abholen. Bis dahin vertreiben sie sich die Zeit in dem kleinen Ort und lernen das Starlet Midge Campbell (Scarlett Johansson) und ihre Tochter Dinah (Grace Edwards) kennen, kehren im heimischen Diner ein und erleben die Wissenschaftsshow der Jugendlichen. Bei diesem Event platzt auf einmal ein Alien (Jeff Goldblum) herein und auf einmal steht der kleine Ort unter Quarantäne. 

Courtesy of Pop. 87 Productions/

Grace Edwards, Scarlett Johansson und Damien Bonnaro

Nachdem uns der Filmemacher Wes Anderson bereits in die Tiefen des Meeres, in ein osteuropäisches Hotel und in einen indischen Zug entführt hat, nimmt er uns dieses Mal mit in die Ödnis der amerikanischen Landschaft. Scheinbar mittendrin, abseits großer Städte liegt das kleine, natürlich fiktive Städtchen Asteroid City. In seiner Ausstattung – einem Motel, einer Werkstatt, einem Diner und einer kleinen ‚Sehenswürdigkeit‘, wegen der es überhaupt Menschen hierhin verschlagen hat – ähnelt es realen Orten im Herzen der USA. Gerade in den 50er Jahren sind überall neue Siedlungen entstanden, u.a. der Ort, der vom US-Militär und Oppenheimer für die Entwicklung der Atombombe genutzt wurde. Natürlich ist der Ort, wie es sich für einen Wes-Anderson-Film gehört, keine realistische Darstellung, sondern das Aussehen ist bestimmt von Künstlichkeit, Sauberkeit, Stereotypen und einem gelungenen, perfekt abgestimmten Farbkonzept. Passend dazu ist die Geschichte in den 50er-Jahren angesiedelt, als wissenschaftliche Neugierde gefördert wurde, die Menschen die Welt immer mehr entdeckten und Technologie noch nicht den direkten Kontakt der Menschen versperrte. Denn der Mensch ist auch hier das Zentrum der so schön komponierten Inszenierung. Wes Andersons Art zu erzählen ist kein ästhetischer Selbstzweck, sondern ein Stilmittel, um sich auf seine Figuren einzulassen. 

Bryan Cranston

Hier versammelt Anderson ein Potpourri von Figuren, die alle auf ihre Weise Erfahrungen gesammelt haben, die sie zu dem gemacht haben, was sie nun sind. Im Mittelpunkt steht der Kriegsfotograf, der seine Frau verloren hat und zwischen Stark-Sein für die Kinder und Trauer schwankt. Jason Schwartzman verkörpert diese Figur auch über die unterschiedlichen erzählerischen Ebenen mit viel Stoik und Zurückhaltung und trotzdem spürt man durch sein präzises Spiel die Bandbreite der Gefühle. Hinzu kommen natürlich fantastische Dia- und Monologe, welche Wes Anderson, der das Drehbuch zusammen mit Roman Coppola („Charlies Welt – Wirklich nichts ist wirklich“ (2012), „Isle of Dogs – Ataris Reise“ (2018)) geschrieben hat, in die Münder gelegt hat. Augie begegnet in diesem kleinen Dorf einer Schauspielerin, die sich mit vollem Einsatz auf ihre Rollen vorbereitet und darüber beinahe vergessen hat, wer sie eigentlich ist. Scarlett Johansson spiegelt dabei die Traurigkeit ihres Gegenübers, ihr gemeinsames Spiel gibt Hoffnung und ihre Dialoge sind vermutlich die schönsten des Films. Weiterhin gibt es auch in diesem Wes-Anderson-Film die Jugend, deren Stimmungen und Gefühl wieder einmal treffend eingefangen werden.  Auch versammeln sich hier noch viele Erwachsene, die mit Verlust oder Veränderungen zu kämpfen haben. Doch das ist nicht alles, was der Film erzählt. Er erzählt auch von Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft, der Flächennutzung und der Bedeutung von Wissenschaft und Glauben. Hinzu kommen Erfahrungen, die wahrlich von der Corona-Pandemie inspiriert wurden. Natürlich greift Anderson auch auf viele Motive und Elemente aus früheren Filmen zurück. Ganz in diesem Stil wurden die Räume eingerichtet, die Wissenschaftler ausstaffiert und so tritt uns auch das Alien in keinem realitätsnahen CGI-Look gegenüber, sondern besitzt die Niedlichkeit solcher nicht besonders gut gemachter Wesen, wie sie in den 50er und 60er Jahre die Filme bevölkert hatten. 

Courtesy of Pop. 87 Productions/

Jason Schwartzman und Scarlett Johansson

Fazit: Wer „Asteroid City“ als einen weiteren Wes Anderson Film abzutun, dem es angeblich nur um den Stil geht, hat nicht richtig hingeschaut. Der 104 Minuten lange Spielfilm schafft es, historische wie zeitgenössische Themen zu verknüpfen und Schwermut, aber auch Lebensfreude zum Ausdruck zu bringen. Er hat ein Gespür für seine Figuren, deren ambivalente Gefühle und schuf liebevolle Dialoge, die einen tief berühren. Hinzu kommt ein typischer, aber nicht langweiliger Stil, der diesen Film unverwechselbar und einzigartig macht. Die Lust an Erzählebenen, Verschachtelungen und horizontalen Kamerafahrten ist dabei genauso vorhanden, hüllt die Kinogänger:innen in einen wohligen Schauer ein und gibt der Geschichte und den Gefühlen viel Raum.

Bewertung: 9/10

Kinostart: 15. Juni 2023

Trailer zum Film „Asteroid City“:

geschrieben von Doreen Kaltenecker

Quellen:

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