Sieben Fragen an Susi Jirkuff

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit der österreichischen Regisseurin und Animationskünstlerin Susi Jirkuff konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Wo ich wohne“, der auf dem 66. DOK Leipzig seine Deutsche Premiere feierte, erfahren, warum sie sich für die Kurzgeschichte von Ilse Aichinger entschieden hat und wie schwierig es war, Ton und Bilder stimmig miteinander zu vereinen.

Warum hast Du Dich dafür entschieden, die Erzählung von Ilse Aichinger zu verfilmen?

Ich hatte ursprünglich vor, eine Geschichte über mein eigenes Haus zu machen, eine Art Animated Documentary über die Personen, die dort wohnen. Mein Arbeitstitel war „Wo ich wohne“, und darüber fiel mir ein, dass es da eine Geschichte gab, die ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe.

So stieß ich wieder auf den wunderbaren Text von Ilse Aichinger und er hat mich mit derselben Unmittelbarkeit getroffen wie damals, als ich ihn das erste Mal gelesen habe, vor etwa 25 Jahren.

Die Geschichte ist von 1963, passt aber noch wunderbar in unsere Zeit. Was denkst Du warum sich das so aktuell anfühlt?

Das aktuelle an der Geschichte liegt einerseits an der Erzählweise, wir sind direkt in die Geschichte bzw. in die innere Welt der erzählenden Person gezogen. Andererseits bildet sich für mich ein Gefühl von sozialem Abstieg und ein fundamentaler Verlust von Sicherheit ab, der in den letzten Jahrzehnten für breite Bevölkerungsschichten in westlichen Demokratien Realität geworden ist oder zumindest spürbar wird.

Das Haus respektive die Wohnung ist ja unser wichtigster und wesentlichster Ort des Rückzugs, der Ort der Regeneration, der Ort, wo wir so sein dürfen, wie wir sind. Dieser Ort ist nun gefährdet – in der Geschichte durch die unbekannten, nicht nachvollziehbaren Veränderungen, die die Figur in ihre kleine Welt packen und sie nach unten verschieben. 

Die Figur weiss nicht, wie ihr geschieht, ihre Scham und ihre Lethargie verhindern, dass sie sich zur Wehr setzt.

Die Parallelen sehe ich etwa da, wo auch wir uns in unseren räumlichen und sozialen Blasen sicher wähnen und ignorieren, dass sich die Welt um uns dramatisch verändert. Mit den momentanen Transformationen werden soziale Hierarchien und Selbstverständlichkeiten neu verhandelt.

Damit meine ich etwa den Klimawandel, durch den die Natur bzw. natürliche Umwelt, wie wir sie kennen, verschwindet; die Welt ändert sich aber auch in vielen anderen Bereichen: Sei es durch Auflösung von Geschlechterbildern, sei es durch globale Migrationsströme, die das Verständnis von Nationalität und das damit verbundene Kulturverständnis ins Wanken bringen, durch neue Arbeitsformen bzw. fragmentierte Arbeitsbiografien, die prekäre Arbeitsbedingungen bis tief in die Mittelschicht bringen und durch eine Machtverschiebung auf globaler Ebene weg von den westlichen Mächten, die sich über Demokratie definieren hin zu Regimen, die offen oder verschleiert diktatorisch operieren.

Wie lange hast Du für die Realisierung benötigt und wie groß war Dein Team?

Der ganze Film – von der ersten Idee bis zur Fertigstellung – hat etwa ein Jahr gebraucht, davon habe ich ca. sieben Monate nur gezeichnet bzw. animiert. Mein Team war sehr klein: nur ich und Michael Schreiber, der für das Sounddesign verantwortlich war.

Was lag Dir bei den Bildern am Herzen?

Die Idee, mit Kohle zu arbeiten, war von Anfang an da; die speziellen Eigenschaften der weichen Zeichenkohle, also das unbeständige, flüchtige, aber auch haptische des Mediums, die Möglichkeit, den Strich auszulöschen und wieder zu überlagern, waren ideal für die Geschichte. Aber natürlich auch die Referenz zum Kohlekeller, zum ‚unten‘, zur Tiefe werden von der Kohle mitgetragen.

Die Bilder folgen anfänglich noch der Geschichte, obwohl mir wichtig war, dass sie nicht zu illustrativ sind, sondern eher Stimmungen abbilden bzw. assoziativ das Geschehen begleiten.

Im zweiten Teil der Geschichte beginnen die Linien immer reduzierter zu werden. Der Raum, den sie beschreiben, ist kaum mehr im Bild abgebildet, sondern entsteht durch die Bewegungen und den Text.

Grundsätzlich wollte ich das analoge Zeichnen, die Hand spürbar machen, deshalb habe ich dann auch all die Wischer, Staubflecken und Fingerabdrücke gelassen.  

Der Ton und auch die Art zu sprechen tragen ebenfalls viel zur Stimmung bei. Worauf hast Du dabei Wert gelegt? Warum hast Du Dich für Alenka Maly als Sprecherin entschieden?

Zum Ton: Es war eine ganz schön schwierige Sache, die Ebenen Bild und gesprochenes Wort, den langen Text und die Atmosphäre des Films zusammenzubringen. Michael Schreiber hat da sehr subtil und zurückhaltend sowohl räumliche Bilder als auch Soundcollagen mit dem Voice Over in Abstimmung gebracht. Am Anfang (die Atmosphäre kam erst nach dem ersten Rohschnitt, vorher wurde nur zum Voice Over animiert und wurde in mehreren Etappen immer wieder angepasst) fühlte sich die Tonspur fast wie ein Fremdkörper an, aber ich wollte nicht auf diese Ebene verzichten. Der Sound verstärkt das Unheimliche und er suggeriert das Haus als Wesen. Aber auch die Stille – wenn der innere Gedankenfluss mal kurz zur Ruhe kommt – hilft, die Geschichte immer wieder zu verdauen, bevor sie einen weiter mitreißt.

Alenka Maly kenne ich schon lange, weil sie eine gute Freundin meiner Schwester ist. Wir haben auch schon früher einmal zusammengearbeitet. Da sie selbst Regisseurin ist, aber auch eine Schauspiel- und Stimmausbildung an, lassen sich mit ihr Varianten des gesprochenen Texts erarbeiten, an die ich selber gar nicht denken würde. Das hilft mir auch zu verstehen, wie ich den Text gesprochen haben möchte, weil ich das vorher gar nicht so genau definieren kann.

Ich habe auch deshalb sofort an sie gedacht, weil sie ein schönes Timbre hat, eher eine Alt-Stimme als zu hoch, sie ist auch etwa in dem Alter, in dem ich die Figur gesehen habe, also zwischen 45 und 55 Jahre alt.

Dass die Figur eine Frau ist, war für mich auch klar, einerseits, weil ich Aspekte der Figur in mir finde, das Zögerliche, die Unentschlossenheit, sich mit Unangenehmen zu konfrontieren, aber dass sich diese Person in alle möglichen Leute hineindenkt und ihre Reaktionen vorab-fantasiert scheint mir generell eine eher weibliche Eigenschaft zu sein. 

Kannst Du mir noch ein bisschen von Dir erzählen und wie Du zum (Animations-)film gekommen bist?

Ich habe in meiner Studienzeit viel fotografiert und bin über die Fotografie zum Thema Stadtraum, Urbanität und medialer Abbildung dieser Räume gekommen. Während einer Residency habe ich dann begonnen, auch Zeitungsbilder und Geschichten nachzuzeichnen und neu zu erzählen, also neu zu arrangieren und auch mit Ton zu unterlegen. So bin ich zum Animationsfilm gekommen, also eigentlich aus der Not, Fotos, Zeichnungen und Ton bzw. Musik in eine Form zu gießen. Seitdem habe ich immer wieder aus der Zeichnung oder aus einer Headline oder Narration heraus Filme entwickelt.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Geplant ist zu viel gesagt, es gibt zwei Ansätze, die ich noch ausarbeiten muss. Das eine wäre eine weitere Beschäftigung mit Literatur, im Speziellen mit den Gedichten von Friederike Mayröcker, auch eine wichtige österreichische Autorin. Poesie interessiert mich schon lange als Brücke zwischen Text und Bild, als sehr knappe Form, auch das Spröde, Stille, das kaum Kommerzialisierbare dieser Kunstform mag ich sehr. Die andere Geschichte geht eher zurück auf meine Beschäftigung mit Raum: ich möchte eine fiktive Doku machen über Leute, die im virtuellen Raum verloren gegangen sind. Mal sehen, ob ich dafür ein Budget aufstellen kann.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Wo ich wohne

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