“In den Gängen” (2018)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Einer der schönsten Beiträge der 68. Berlinale 2018 und man möchte sagen wider Erwarten war der deutsche Film “In den Gängen” (Deutschland, 2018) von Thomas Stuber. Nur Freunde des deutschen Autors Clemens Meyer, nach dessen Kurzgeschichte der Film entstanden ist, hatten eine Vorahnung, wie hier Poesie und Alltag in einem nächtlichen Großmarkt zusammentreffen.

Christian (Franz Rogowski) ist neu im Großmarkt und gehört nun zu der Schar von Nachtarbeitern, welche die Regale füllen. Mit seiner ruhigen Art eckt er nicht an und findet schnell im Gabelstaplerfahrer Bruno (Peter Kurth), der die Wende nicht richtig verkraftet hat, einen Mentor. Zudem verguckt sich Christian in Marion (Sandra Hüller) aus der Süßwarenabteilung, welche aber verheiratet ist. Trotzdem kommen sie sich in den Nächten näher und der Großmarkt wird zum neuen Zuhause.

Bereits bei Thomas Stubers Debütfilm “Herbert” (2015) handelte es sich um eine Zusammenarbeit mit dem deutschen Autor Clemens Meyer (*1977), der sich mit Werken wie “Als wir träumten” (2006) und “Im Stein” (2013) einen Namen gemacht hat. Für den Spielfilm “In den Gängen” wurde eine Kurzgeschichte aus dem Buch “Die Nacht. Die Lichter” (2008) gewählt. Zusammen mit Clemens Meyer schrieb Stuber die Geschichte in ein Drehbuch um. Herausgekommen ist ein unaufgeregter, sanftmütiger Film, der nichts verhehlt, aber auch nichts dämonisiert, sondern zeigt, wie ist es und daraus seine Schönheit ziehen kann. Meyer und Stuber sind beide im Osten groß geworden, habe die Wende miterlebt und deren Einzelschicksale gesehen. Die Welt hat sich verändert, doch an manchen Orten ist die Zeit einfach stehen geblieben. So erscheint auch der Großmarkt (gedreht in einem echten Großmarkt in Bitterfeld) im nächtlichen Betrieb wie aus der Zeit gefallen. Die Menschen gehen ihrer Arbeit nach, es kommt zu kleinen Regelverstößen, es wird getratscht, gelacht und trotzdem kaum von dem eigenen Privatleben erzählt. Die Angestellten bilden ein breites Spektrum durch die Gesellschaft ab und zeigen wer so alles zusammentreffen kann. Hintergründe werden dabei wenig offenbart, nur Brunos Figur lässt in seine Seele blicken, so dass man die Traurigkeit erkennen kann. Doch niemals wird hier sentimalisiert. Man erkennt die Empathie für die abgehängten Menschen der Gesellschaft. Es wird keine Figur ins Lächerliche gezogen., alles wirkt stets echt und unverfälscht. Die Gespräche und die Wortkargheit sind aus dem Leben gegriffen. So findet sich in diesem Film ganz geschickt verborgen hinter einem fast sachlich wirkenden Portrait ein moralischer Zeigefinger und leise Gesellschaftskritik. Doch ist “In den Gängen” kein großes Sozialdrama, es findet keine Überdramatisierung oder aufdrängende Meinungsbildung statt. Er ist sanftes Realitätskino, das trotzdem eine poetischen Weg wählt.

Doch die Erzählung allein würde nicht die enorme Anziehungskraft des Films erklären. Die gefundenen Bilder, welche eine starke Farbdramaturgie besitzen, die Stuber und sein Kameramann Peter Matjasko inszenieren, sind ein fester Bestandteil der Wirkung. Der Film zeigt Bilder von der Arbeit, dem Stapelgablerfahren und der Annäherung im Tiefkühlraum. Unterlegt mit klassischen Musikstücken, wie dem ‘Donauwalzer’ von Johann Strauß, offenbaren sie eine Schönheit, die nie aufgesetzt, sondern poetisch von innen heraus wirkt. So könnte man ohne viel Handlungsverlauf die Arbeiten in dieser grandiosen Inszenierung weiter beobachten. Sehen, wie menschliche Bänder geknüpft werden oder wie schwierig es sein kann, den Gabelstaplerführerschein zu machen. So bekommt der Film mit all seiner Tragik ein federleichtes Gewand, war auch an dem hervorragenden ausgewählten Ensemble liegt.

Viel gerühmt wird Franz Rogowski in der Hauptrolle, den man zur Zeit oft sieht, ob in “Transit” (2018), “Fikkefuchs” (2017) oder in einem Jakob Lass-Film. Auch hier fügt sich der Schauspieler sehr gut ein, der (wie so oft) den schweigsamen Beobachter gibt und so einen schönen Kontrast zu Sandra Hüller bildet, welche in der Rolle der Marion brilliert und durch “Toni Erdmann” (2016) zu großer Bekanntheit gelangt ist. Doch Peter Kurth als Bruno ist der beeindruckendste Mime des Ensembles, weil er es schafft mit wenigen Worten und einer ausdrucksstarken Mimik doch so viel zu sagen und zu verkörpern. Dieses Ensemble, dazu die Ausgestaltung der Bilder und die leise Tragikgeschichte machen “In den Gängen” zu einem besonderen Film, der lange im Gedächtnis bleibt.

Fazit: Der deutsche Spielfilm “In den Gängen”, der seine Premiere auf der 68. Berlinale 2018 feierte, überzeugt mit einer starken Geschichte, welche auf einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer beruht. Meyer und der Regisseur Thomas Stuber schufen einen poetischen Film, der stets realitätsnah ist, aber sich nie in ein typisches Sozialdrama verwandelt. Ruhig, sanftmütig wird hier unaufgeblasen eine Tragik enthüllt, welche nie schwer daherkommt, sondern mit seiner gewissen Leichtigkeit und den wunderschönen Bildern berühren kann.

Bewertung: 8,5/10

Kinostart: 24. Mai 2018, DVD-Start: unbekannt

Der Trailer:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

 

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