Sechs Fragen an Brenda Lien

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Interview: Im Gespräch mit der jungen Filmemacherin Brenda Lien konnten wir mehr über ihre Trilogie „Call of Beauty“, „Call of Cuteness“ und „Call of Comfort“ erfahren. Den letzten Teil konnte man u.a. auf dem 61. DOK Leipzig sehen. Sie berichtet davon, wie es zu den Filmen kam, warum es eine Trilogie wurde und wieso sie stets einen anderen visuellen Ansatz wählte.

„Call of Beauty“, „Call of Cuteness“ und „Call of Comfort“ bilden eine Trilogie über Internet-Videos. Erzähl mir doch bitte mehr zum Ursprung? War es von Anfang an als Trilogie geplant und könntest Du Dir vorstellen, diese noch zu erweitern?

Nachdem ich „Call of Beauty” fertiggestellt hatte, wurde mir klar, dass das Internet-Thema mich nicht losließ. Ich wollte unbedingt noch einen Film über die Beliebtheit von Katzenvideos machen und auch die ASMR-Szene [Anm. d. Red.: Autonomous Sensory Meridian Response] auf YouTube interessierte mich sehr. Daraus bildete sich schließlich die Idee eine Trilogie zu machen, jeweils mit dem „Call of“ im Titel. Damit wollte ich Schönheit, Süßheit und Bequemlichkeit im Kontext von Pflichten, Verfügbarkeiten und dem Gefühl des Anspruchsberechtigt-Seins behandeln. „Call of Beauty“ spielte ja ursprünglich auf das Ego-Shooter-Spiel „Call of Duty“ an – ein aggressives Männlichkeitsstereotyp oder der „Ruf zur Pflicht“ (zum Kriegsdienst) vs. der stereotypen weiblichen „Pflicht“ zur Schönheit. Daraus leitete ich dann den Titel „Call of Cuteness“ (Ruf nach Süßheit) ab – der Cat Content, der uns wie eine Zuckerspritze immer verfügbar ist, die Katzen, die wir objektifizieren und kommodifizieren. Bei „Call of Comfort“ ging es mir dann um das Bedürfnis nach (Selbst-)Optimierung, die zu einem bequemeren Leben führt, und dem Gefühl einen Anspruch auf einen bestimmten Lebensstandard zu haben. Das waren u.a. ein paar der Assoziationen, die ich bei den Titeln hatte.

Gab es eine Phase bevor Du dieser Art von Videos kritisch gegenüber standest, als Du sie selbst vielleicht mochtest?

Natürlich, das war sehr wichtig für mich! Wenn jemensch als Outsider einen Film über eine spezielle „Szene“ oder Gruppe von Menschen macht und nur als „Alien“ da drauf schaut, macht sich das sofort bemerkbar. Zum Beispiel wenn junge Männer, die diesen Beauty-Zwang nie selbst erlebt haben, einen Film über Beauty-Gurus auf YouTube machen, ist die Gefahr hoch, dass der Film die jungen Frauen als oberflächlich und fremdbestimmt darstellt, oder dass wir die Protagonistin übertrieben lange nackt vor der Kamera posieren sehen (#malegaze). Bei „Call of Beauty“ war mir wichtig, nicht bei diesem „oberflächliche, verrückte, Schmink-besessene Mädchen“-Klischee zu bleiben, sondern meine Protagonistinnen ernst zu nehmen und im Spannungsfeld von Sozialisierung und Kapitalismus zu zeigen. Und das gelang mir u.a. deshalb so gut, weil ich selber einmal dieses Mädchen war und diese Videos konsumiert habe. Bei den Katzenvideos ist es ähnlich – auch da könnte mensch sagen, dass es doch „nur“ ein seltsames Internet-Phänomen ist, das nichts weiter aussagt. Aber ich glaube, dass die kulturellen Produkte einer Gesellschaft Romane über uns erzählen. Und um die Reize dieses Phänomens zu verstehen und Rückschlüsse darüber ziehen zu können, muss ich selber ein Fan sein – vielleicht ein ehemaliger, mittlerweile „bekehrter“ Fan. Aber eine gewisse Zeit muss ich darin versinken und mich darin baden, um die Power der Cuteness zu spüren! Dann kann ich, wie zum Beispiel bei „Call of Comfort“ die Ästhetik von ASMR-Videos aufgreifen und zitieren, ohne sie lediglich ins Lächerliche zu ziehen.

Wunderbar finde ich, dass man die Trilogie zwar als Einheit sehen kann, aber Du Dich jedes Mal für einen anderen Stil entscheidest. Kannst Du mir mehr zu den unterschiedlichen Herangehensweisen erzählen. Bei „Call of Beauty“ fällt besonders der schnelle Schnitt auf und die starke Farbigkeit auf. Die extreme Überzeichnung und Brutalität in den Animationen bestimmen den zweiten Film. Hier wirkt die Anprangerung noch mehr verstärkt. Im letzten Film entscheidest Du Dich logischerweise für die Ego-Perspektive, brichst es aber unerwartet durch die Waxing-Szene.

Die Form eines Films oder einer Filmmusik wähle ich immer in Bezug auf den Inhalt oder die Geschichte. In „Call of Beauty“ wollte ich die Ästhetik von Beauty-Videos dokumentieren und sozusagen „porentief“ beobachten – die Szene mit der Photoshop-Bildbearbeitung zum Beispiel hätte als Animationsfilm niemals die Stärke gehabt, wie bei einem Realfilm. Es ging hier um die mehr oder weniger subtile Manipulation von „realen“ Bildern – deshalb mussten eine Kamera und echte Menschen her. Umgekehrt wäre „Call of Cuteness“ als Realfilm nie realisierbar gewesen: Einen Body-Horrorfilm, mit blutigen Splatter-Szenen zu machen, hätte wahrscheinlich echte, tote Tiere gebraucht – und damit wäre ja die Message des Films (die sich gegen Objektifizierung und Ausbeutung von Menschen und Tieren ausspricht) sofort negiert. Es sollte klar werden, dass es um Bilder geht, um Entfremdung von Realitäten – Menschen und Tiere erleben jeden Tag die Gewalt, die die Katzen in „Call of Cuteness“ erleben. Doch viele bewegt das erst, sobald sie diese am Körper der Katze ausgeführt sehen. All das sprach für die Form des Animationsfilms. Außerdem ermöglichte mir die Rotoskopie (Animationstechnik) berühmte Katzen-Videos oder -Bilder zu zitieren. Bei „Call of Comfort“ wiederum sollte es ein Hybrid aus Animation und Realfilm sein. Genauso wie unsere Realität sich immer mehr mit dem digitalen Leben vermischt, sollten auch hier die realfilmischen Bilder sehr synthetisch und plastikartig wirken und mit den Animationen verschwimmen. Der Großteil des Films ist in der Ego-Perspektive gedreht – oder der User_innen-Perspektive – und diese wird erst im letzten Drittel, beim Höhepunkt des Films gebrochen –  nun sehen wir uns als User_in selbst, da wir komplett quantifiziert und analysiert wurden und zum Schluss wie ein Geist durch unser Jenseits fliegen – einem unendlichen Serverraum.

Ich finde Deine Darstellerwahl bei „Call of Beauty“ wunderbar gelungen – wie hast Du die beiden gefunden?

Lili Ullrich und ich sind zusammen auf die Schule gegangen und später hat sie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main studiert – und Anabel Möbius war in ihrer Schauspielklasse. Ich habe die beiden öfters Theater spielen sehen und wusste, dass sie ein eingespieltes Team sind und gut in die Rollen passen würden. Ich bin ein großer Fan von ihnen und bin immer wieder sehr glücklich über ihre Performance in „Call of Beauty“ – ohne sie wäre der Film nicht das, was er ist.

Du konntest Deine Filme auf vielen Festivals zeigen, darunter der Berlinale und dem DOK Leipzig. Hast Du das Gefühl, dass die Filme als Einheit wahrgenommen werden? Oder hast Du auf einen Film besonders viel Resonanz erhalten?

Erst jetzt, wo die Trilogie fertiggestellt ist, wird sie mehr und mehr als Einheit wahrgenommen. Ich freue mich sehr, wenn die Filme zusammen gezeigt werden, da sich im Zusammenspiel nochmal ganz andere / neue Assoziationen bilden, als wenn sie für sich stehen. Aber das geschieht dann eher im Galerie- oder Bildungs-Kontext. Auf Filmfestivals ist nicht so viel Platz dafür und wie du schon sagtest, hatten / haben die Filme alle ihre eigene Festivallaufbahn. „Call of Cuteness“ hatte durch die Premiere bei den Berlinale Shorts natürlich die größte Resonanz und lief weltweit auf über hundert Festivals. Aber „Call of Comfort“ läuft auch sehr gut und hat glücklicherweise neulich den Deutschen Kurzfilmpreis gewonnen! Die Trilogie wird seit einiger Zeit vom KurzFilmVerleih Hamburg in Kinos und Schulen als Vorfilm z.B. oder für Bildungszwecke ausgewertet. Aber auch da existieren die Filme meines Wissens nach eher einzeln für sich und nicht als Trilogie.

 

Brenda Lien beim 61. DOK Leipzig

Wie wird es bei Dir weitergehen?

Momentan arbeite ich an meinem Diplomfilm „Erst die Arbeit, dann das Spiel“ – ein 10-minütiger Kurzfilm über eine junge Workaholic, die im Dschungel unserer neoliberalen Arbeitswelt ein Burnout erleidet. Der Film wird voraussichtlich Ende nächsten Jahres fertiggestellt.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezensionen zu den Kurzfilmen „Call of Beauty“, „Call of Cuteness“ und „Call of Comfort“.

6 Gedanken zu “Sechs Fragen an Brenda Lien

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