Fünf Fragen an Damiano Giacomelli und Lorenzo Raponi

Doreen Kaltenecker
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Interview: Im Gespräch mit den beiden italienischen Dokumentarfilmer Damiano Giacomelli und Lorenzo Raponi erzählen sie mehr über ihrem Dokumentarfilm „Siddhartha“ (OT: „Noci Sonanti“), der auf dem 62. DOK Leipzig seine Internationale Premiere feierte. Sie berichten davon, wie sie ihr Thema gefunden haben, wie die Zusammenarbeit verlief und worauf sie ihr Augenmerk gelegt haben.

The original english language interview is also available.

Wie seid ihr auf Siddhartha und auf seinen Vater gestoßen. Könnte man sagen, dass Refugium des Vaters ist bekannt im Land?

Lorenzo Raponi: Der Stamm ist in der alternativen Gemeinschaft, die radikal mit Nachhaltigkeit und Selbstproduktion verbunden ist, gut bekannt, aber man kann nicht sagen, dass sie in der Gesellschaft, wie wir sie kennen, berühmt sind. Zu der Zeit, 2015, arbeiteten wir an einem kürzeren Projekt, das sich auf die Beziehung zwischen Familie und Landwirtschaft in unserer Region, le Marche, konzentrierte. Wir suchten nach interessanten Charakteren, und sie entsprachen dem radikalsten und reinsten Aspekt in diesem Zusammenhang. Die Idee eines Dokumentarfilms entstand unmittelbar danach. 

Wie habt ihr euch den beiden angenähert? Wie haben sie anfänglich das Projekt aufgenommen – und was hat die Mutter dazu gesagt?

L.R.: Seit diesem ersten Treffen haben wir sie mindestens ein Jahr lang regelmäßig, meist ohne Ausrüstung, besucht und uns gegenseitig kennen gelernt. Dies war grundlegend für das Schreiben, aber auch, um Fabrizio und Siddhartha unsere Absichten zu erklären. Fabrizio mochte das Projekt, auch weil er hofft, dass diese Art von Dokumentation viele Menschen erreichen und vielleicht einen Teil von ihnen in den Stamm bringen kann, nachdem der erste Sinn für Gemeinschaft verblasst. Siddharthas Mutter war zunächst nicht ganz überzeugt, dann hatte sie kein Problem mit den Dreharbeiten und dem Film. 

Habt ihr selbst vor Ort eine lange Zeit gelebt – vielleicht sogar vorher ohne Equipment?

L.R.: Die tatsächlichen Dreharbeiten dauerten zweieinhalb Monate und endeten mit der Rückkehr Siddharthas zu seiner Mutter Mitte September. In dieser Zeit waren unsere Tage vollständig im Stamm angesiedelt, auch wenn wir in einem nahe gelegenen, mit Elektrizität ausgestatteten Haus schlafen mussten, auch weil wir nicht eines der wenigen Zimmer des Stammes besetzen wollten, um andere Besucher zu behindern.

Wie war es an so einem stromlosen Ort einen Film zu drehen? Wie habt ihr das technisch umgesetzt?

L.R.: Wirklich interessant, auch weil die Begrenzung des Stammes es uns ermöglichte, eine Art von Solidarität mit der Umwelt, in der wir uns befanden, zu reproduzieren. Offensichtlich brauchten wir auch in dieser Situation Strom, zum Beispiel um die Batterien der Kameras aufzuladen, also war das bereits erwähnte Basislager unvermeidlich. Unsere Grundausrüstung war jedoch der Schlüssel zur Entwicklung einer nicht aufdringlichen Präsenz, als die Gefahr einer Verzerrung der Dinge groß war.

Eure Protagonisten handeln wunderbar natürlich, als ob ihr kaum da wart. Haben Sie sich schnell mit der Kamera vertraut gemacht? 

Damiano Giacomelli: Aus dieser Sicht war es sowohl eine professionelle als auch eine spirituelle Erfahrung. Fabrizio und Sid waren sehr natürlich, und wir haben uns bemüht, während der Dreharbeiten so wenig wie möglich mit ihnen zu interagieren.

Gerade in den letzten Tagen vor der Prüfung war Sid ein wenig nervös. In dieser Zeit mochte er nicht gerne gedreht werden, aber er wollte drehen. Das war die schlimmste Zeit, aber nach der Prüfung wurde die Situation wieder ruhig.

Was haben sie zu dem fertigen Film gesagt? 

D.G: Sid hat nicht viel gesagt, aber jemand sagte uns, er sei stolz darauf, in einem Film zu sein. Fabrizio freut sich über diese Erfahrung und nimmt an vielen Vorführungen teil. Der Film hat ihm geholfen, seine Lebensentscheidung zu verbreiten und mehr arbeitende Gäste zu haben, um den Stamm zu einem echten Stamm zu machen.

Ihr wart nicht die einzigen Gäste, ihr habt auch eine junge Frau getroffen, die eine Zeit lang mit Siddhartha und seinem Vater zusammengelebt hat. Wie hat sie auf das Filmprojekt reagiert?

D.G.: Erika war fast so alt wie wir, wir hatten die gleichen Interessen und sie war glücklich, Teil des Projekts zu sein. Irgendwie war sie auch eine Brücke für uns, um einen besseren Zugang zum Stamm zu haben. Und dasselbe macht ihre Figur auch im Film, mit dem jüngeren Publikum.

Wie oft und lange habt ihr gedreht? Wieviel Material ist entstanden? Musstet ihr viel schneiden?

D.G.: Wir drehten fast täglich über zwei Monate, im Sommer 2016. Am Ende hatten wir 130 Stunden Drehzeit, die wir in mehreren Sitzungen mit zwei verschiedenen Cuttern bearbeitet haben. Es war wichtig, sich die richtige Zeit und verschiedene Perspektiven zu nehmen, um uns von unserem Material zu lösen und dann unsere endgültigen Entscheidungen zu treffen.

Wunderbar ist die Darstellung der unterschiedlichen Lebensweisen der beiden Elternteile und wie Siddhartha mühelos zwischen beiden hin- und herwechselt. Der Film könnte auch dazu führen, übers Umdenken anzuregen. War das eure Absicht?

L.R.: Wie Fabrizio glaube ich, dass wir uns heute keinen anderen Lebensstil vorstellen können, der noch weniger radikal ist als der, über den wir hier sprechen. Wir wissen wirklich nichts über Alternativen und scheinen keine Wahl zu haben. Irgendwie versucht der Film, der sich auf eine intime und wiedererkennbare Beziehung konzentriert, statt auf den exotischen Kontext, den Stamm unserer Gesellschaft näher zu bringen, anstatt auf die Unterschiede hinzuweisen. Was die Bemerkung betrifft, dass man anders leben kann, ohne ein Fremder zu werden oder als solcher wahrgenommen zu werden.

Könnt mir noch ein bisschen mehr zu eurer Zusammenarbeit erzählen und wie die Aufgaben beim Drehen und in der Postproduktion verteilt habt?

Lorenzo Raponi und Damiano Giacomelli vom Film „Siddhartha“

D.G.: Bei zwei Hauptfiguren wie Fabrizio und Sid brauchten wir zwei Kameras mit demselben Bewusstsein für die Geschichte, die wir erzählen wollten. Also beschlossen wir, den Film gemeinsam zu drehen, und wählten zwei sehr kompatible, aber unterschiedliche Kameras, eine leichter und perfekt für die Nahaufnahme, die andere besser geeignet, um den „Lebensraum“ mit einer breiteren Sprache zu erzählen. Während des gesamten Prozesses diskutierten wir, um Entscheidungen zu teilen, und arbeiteten dann auch viel mit unseren Cuttern, Aline Hervé und Enrico Giovannone, zusammen.

Gibt es weitere gemeinsame Projekte in Planung?

D.G.: Nach diesem Dokumentarfilm und drei fiktiven Kurzfilmen arbeite ich an meinem ersten Spielfilm. Wie „Siddhartha“ spielt dieser Film in Marche, der italienischen Region, in der ich lebe.

L.R.: Nichts ist geplant, aber man weiß ja nie. Ich würde gerne weiter im Dokumentarfilm arbeiten, ihn studieren und einen Blick auf den Kontext und die Charaktere am Rande werfen.

Die Fragen stellte Doreen Matthei
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Siddhartha


Interview: In our conversation with the two Italian documentary filmmakers Damiano Giacomelli and Lorenzo Raponi, they tell us more about their documentary film “Siddhartha“, which celebrated its international premiere at the 62nd DOK Leipzig. They talk about how they found their subject, how the collaboration went and what they focused on.

How did you find Siddhartha and his father? Could it be said that refuge of the father is known in the country? 

L.R.The Tribe is well known in the alternative community, the one radically linked to sustainability and self-production, but you can’t say they’re famous in the society as we know it. At the time, 2015, we were working on a shorter project focused on the relationship between family and agriculture in our region, le Marche. We were looking for interesting characters, and they fitted with the most radical and pure aspect of this connection. The idea of a documentary came immediately after. 

How did you approach them? How did they first respond to the project – and what did the mother say?

L.R.Since that first meeting we spent at least one year visiting them regularly, most of the time without equipment, getting to know each other. This was fundamental for the writing, but also to explain to Fabrizio and Siddhartha our intentions. Fabrizio liked the project, also because he hopes that this kind of proof can reach many people and maybe bring a part of them in the Tribe, when that first idea of community has been fading. Siddhartha’s mother at first wasn’t completely convinced, then she had no problem with the shooting and the film. 

Did you yourselves live there for a long time – maybe even before without an equipment?

L.R.The effective shooting lasted for two months and a half, ending with Siddhartha’s return to his mother in middle September. In this period our days were entirely set in the Tribe, even though we had to sleep in a near house equipped with electricity, also because we didn’t want to occupy one of the few Tribe’s rooms, preventing other visitors from coming.

What was it like to make a film in such a place without electricity? How did you do it from a technical point of view?

L.R.Really interesting, also because the Tribe’s limit allowed us to to reproduce a kind of solidarity with the environment we were in. Obviously even in this situation we needed electricity, for example to charge cameras batteries, so the base-camp I mentioned before was inevitable. However, our basic equipment has been key in developing a non-intrusive presence, when the risk of distorting things was high.

Your protagonists act wonderfully natural, as if you were hardly there. Did they quickly become familiar with the camera? 

D.G. – It has been a both professional and spiritual experience from this point of view. Fabrizio and Sid were very natural and we worked to interact as less as possible with them during the shooting sessions.

Just in the last days before the exam Sid was a bit nervous. In that period he didn’t like to be shot, but he wanted to shoot. That was the worst period, but after the exam the situation went quiet again.

What did they say about the finished film? 

D.G. – Sid didn’t say a lot, but someone told us he’s proud to be in a movie. Fabrizio is happy about the experience and he’s taking part to many screenings. The movie helped him to spread his life choice and have more working guests, to make the tribe a real tribe.

You were not the only guests, you also met a young women who spent her time with Siddhartha and his father. How did she react to the film project?

D.G. – Erika was almost our age, we shared the same interests and she was happy to be part of the project. Somehow she has also been a bridge to have a better access to the tribe. And the same thing happens with her character in the movie, with the younger audience.

How often and how long did you shoot? How much material was shot? Did you have to edit out a lot?

D.G. – We shot almost everyday for more than 2 months, in summer 2016. At the end we had 130 hours of shooting, that we edited in multiple sessions, with two different editors. It has been important to take the right time and different perspectives to detach from our material and then make our final choices.9. L. R. – As Fabrizio I believe that nowadays we aren’t able to imagine a different lifestyle, even less radical than the one we’re talking here. We really don’t know about alternatives and seems to be no choice. Somehow the movie, focusing on an intimate and recognizable relationship rather than its exotic context, tries to bring closer the Tribe to our society, instead of pointing out the differences. As to remark that you can live differently without becoming or being perceived as an alien.

It is wonderful to see the different lifestyles of the two parents and how Siddhartha effortlessly switches back and forth between them. The film could also be a stimulus for rethinking. Was that your intention?

L.R. – As Fabrizio I believe that nowadays we aren’t able to imagine a different lifestyle, even less radical than the one we’re talking here. We really don’t know about alternatives and seems to be no choice. Somehow the movie, focusing on an intimate and recognizable relationship rather than its exotic context, tries to bring closer the Tribe to our society, instead of pointing out the differences. As to remark that you can live differently without becoming or being perceived as an alien. 

Could you tell me a little bit more about your collaboration and how you distributed the tasks during shooting and postproduction?

D.G. – With two main characters like Fabrizio and Sid, we needed two cameras with same consciousness about the story we wanted to tell. So we decided to co-direct the movie and we chose two very compatible, but different cameras, one lighter and perfect for the close up, the other one more suited to tell the “habitat” with a more wide-angular language. In all the process we discussed to share decisions and then worked a lot also with our editors, Aline Hervé and Enrico Giovannone.

Are there any other joint projects planned?

D.G. – After this doc and three fiction shorts, I’m working on my first fiction film. Like “Siddhartha“, this film is set in Le Marche, the italian region where I live.

L.R. – Not planned, but you never know. I’d love to keep working in documentary, studying it and make a run through context and characters on the edge.

Questions asked by Doreen Matthei

Read on the german review of the shortfilm „Siddhartha“ 

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