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Interview: Im Gespräch mit dem deutschen Regisseur und Drehbuchschreiber Arne Kohlmeyer konnten wir mehr über seinen Kurzfilm „Drübenland“ erfahren, wie eigene autobiographische Elemente in die Entwicklung mit rein spielten, wie und wo sie ihn umgesetzt haben und über seine erfolgreiche Laufbahn auf Festivals u.a. den 30. Bamberger Kurzfilmtagen.
Wie ist der Film entstanden? Er basiert auf Deiner eigenen Biografie, richtig?
Ja, der Film ist zu einem gewissen Teil autobiografisch. Vor allem was die Perspektive anbelangt. Ich war ein kleiner Knirps, als am 9. November 1989 die Mauer gefallen ist und hatte bis zu dem Tag überhaupt keine Ahnung, dass es diese überhaupt gab, geschweige denn wozu. Und ich musste an den Abend wie immer relativ früh ins Bett, bin dementsprechend völlig ahnungslos am nächsten Morgen in die Schule gedackelt. Ich war zu jung, um zu verstehen, aber eben alt genug, um davon betroffen zu sein.
Wie habt ihr es geschafft, die DDR wieder so aufleben zu lassen? Wo genau habt ihr gedreht?
Ich habe tatsächlich noch eine ganze Reihe eigener Requisiten von damals, vor allem Spielzeug, welches ich zum Leidwesen meiner Eltern und meiner Schwester all die Jahre in deren Kellern gebunkert hatte. Mir war immer klar, dass ich diese irgendwann noch einmal brauchen werde. Vor allem aber hat unsere Ausstatterin Maria Nickol und ihr Team, sowie Kostümbildnerin Sabrina Krämer, ganze Arbeit geleistet. Natürlich war auch die Motivsuche essenziell.
Darüber hinaus war uns in Punkto ‚DDR wiederaufleben lassen‘ sehr wichtig, dass wir uns beim Farbkonzept von den gängigen Umsetzungen unterscheiden. Da wechselt sich ja vor allem die dystopische Farbgebung à la ‚Das Leben der Anderen‘ mit dem Bonbonfarbenen (z.B. Sonnenallee) ab.
Wir haben übrigens tatsächlich Anfang November gedreht, der Authentizität wegen. Aber da merkt man eben auch, wie sehr die Klimaveränderung vorangeschritten ist. Die meisten Bäume waren zu dem Zeitpunkt, anders als 1989, noch knallgrün.
Gedreht haben wir zum überwiegenden Teil in Halle an der Saale. Zum einen, weil es in Halle-Silberhöhe anders als in Berlin-Hohenschönhausen (wo der Film ja spielt) zuweilen noch aussieht wie vor 30 Jahren, zum anderen, weil die gesamte Crew, die Produktionsfirma 42film und ein Großteil der Finanzierung aus Mitteldeutschland kam.
Deine Darsteller waren großartig, vor allem die Jungdarsteller überzeugen. Wie hast Du sie gefunden? Und wie war es vor allem mit Kindern zu drehen?
Zunächst mal: Vielen Dank! Die Kids haben wir mithilfe der Casterin Julia Schweizer im Rahmen von mehreren Castings in Berlin und Halle gefunden. Ich habe mir zudem viele Kinder- und Jugendtheaterstücke angesehen.
Vorbereitend war es dann wichtig, auch den Kontext zu erklären. In der Schule kommt das Thema Zweiteilung Deutschlands ja erst sehr sehr spät.
Der Dreh an sich stellt dann vor allem aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen, die beim Dreh mit Kindern einzuhalten sind, organisatorische, finanzielle und zeitliche Herausforderungen dar.
Könntest Du Dir vorstellen die Geschichte von „Drübenland“ auch ausführlicher in einem Langfilm zu erzählen?
Wenn man mit solch einem kostenintensiven Medium wie Film zu tun hat, bei dem Ausschüsse, Jurys und Fernsehredaktionen (auch im Kinobereich) über die Realisierung oder Nichtrealisierung entscheiden, stellt sich leider auch die Frage, ob ein Projekt überhaupt gewollt ist und ob man solch ein Vorhaben finanziert bekommt. Mich hat beispielsweise total überrascht, wie sehr so ein kleiner Film wie „Drübenland“, aus der unschuldigen Perspektive eines Kindes, polarisieren kann. Wenn sich beispielsweise einige Zuschauer in den sogenannten neuen Bundesländern aufgrund ihrer eigenen, subjektiven Erfahrungen in dem Film nicht wiederfinden können, kann ich das absolut verstehen. Aber letztendlich lief der Film hier sehr gut, war auf vielen Festivals vertreten, hat Publikumspreise gewonnen und wir haben ein sehr positives Feedback erfahren.
Auch in Osteuropa lief „Drübenland“ in fast jedem Land. In Westeuropa hingegen, mit der rühmlichen Ausnahme von Skandinavien, überhaupt nicht. Und auch in den alten Bundesländern gab es bis vor kurzem durchweg Absagen von den Festivals. Mittlerweile haben wir dort aber vier Festivalzusagen, die kurioserweise alle aus Bayern stammen (Regensburg, Landshut, Bamberg, Allgäu). Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber nehme sowas natürlich trotzdem zur Kenntnis. Ich weiß nicht, ob es Desinteresse ist oder ob man keine Lust hat, ein vorgefertigtes Bild zu hinterfragen. Weltweit lief’s dann wiederum sehr gut. Letzten Monat haben wir in Sydney die Auszeichnung als bester EU Kurzfilm entgegennehmen dürfen. Solche Anerkennung ist schon wichtig, wenn man im Gegenzug eine 0 zu 5 Absage von der Filmbewertungsstelle Wiesbaden erhält, samt einer sehr unverschämten, unsachlichen Beurteilung. Es zeigt mir aber auch einmal mehr und in aller Klarheit, dass die Rezeption von Film vor allem eines ist: höchst subjektiv.
Dabei würde ich den Zeitraum, den wir in „Drübenland“ erzählt haben, vielleicht nicht unbedingt als Langfilm umsetzen. Aber ich habe schon vor längerer Zeit ein Langfilmprojekt angestoßen, welches knapp drei Jahre später spielt, mit denselben Figuren, im selben Umfeld. Marko, die Hauptfigur, ist da gerade 10 Jahre alt. 1992 war ja weit von den versprochenen blühenden Landschaften entfernt, was einem auch als Zehnjähriger nicht entgeht, was aber auch heute viele gar nicht hören wollen. Den Film haben wir damals leider nicht finanziert bekommen. Ich habe daraufhin eine Romanfassung geschrieben, die sich aber ebenso wenig wie eine filmische Umsetzung in eine Schublade stecken ließ. Die Frage, ob für Kinder oder, trotz der kindlichen Protagonisten, für Erwachsene, stellt sich eben im Verlagswesen genauso dogmatisch wie bei der Filmfinanzierung. Jetzt liegt das Ganze sehr wohl in einer Schublade, aber eben in meiner eigenen; zu Hause.
Kannst Du mir zum Schluss noch mehr von Dir erzählen. Wie bist Du zum Film gekommen? Du bist ja schon länger im Geschäft und warst vor allem als Drehbuchautor tätig, aber auch als Produzent, oder? Hast Du einen Sektor, der Dich beim Film am meisten begeistert?
Ich habe zunächst Fotografie in Graz, Filmschnitt und später Filmregie an der selbstorganisierten Filmschule filmArche in Berlin studiert, danach dann Filmregie an der FAMU in Prag. Vor allem Letzteres war für meine persönliche Entwicklung und auch für meine Arbeit wahnsinnig wichtig. Als ich dann aber nach Deutschland zurückgekommen bin, ging mir vor allem das Netzwerk ab, welches in dieser Branche ja unerlässlich ist.
Ich habe dann sieben Jahre lang für Berlinale Talents gearbeitet, war dort für das Drehbuchentwicklungslab ‚Script Station‘ zuständig. Nebenbei habe ich immer geschrieben und zudem für 42film in Halle als Associate Producer und Head of Development gearbeitet, sowie als Regisseur fürs Fernsehen. Jetzt bin ich aber an einem Punkt, an dem ich mich hauptsächlich mit den Drehbuchschreiben beschäftigen kann und auch möchte, sowie dann irgendwann mit der Kinofilmregie.
Was die präferierten Sektoren angeht, so schaue ich zwar gerne Dokumentarfilme, doch die Realität weiter zu spinnen, interessiert mich als Geschichtenerzähler wesentlich mehr. Zudem kann ich mich auch sehr für das serielle Erzählen begeistern.
Stehen bereits neue Projekte an?
Um von der Arbeit als Drehbuchautor leben zu können, brauche ich mehrere Projekte parallel, wenn auch optimalerweise in unterschiedlichen Stadien. Ich arbeite mit 42film und Co-Autor Eike Goreczka an einer Serie über die mittlerweile gealterte, dritte Generation der RAF, sowie an mehreren fiktionalen Kinofilmstoffen in der Schweiz – an einem dieser Projekte auch als Regisseur. Thematisch darf und will ich da aber noch nicht zu viel verraten.
Die Fragen stellte Doreen Matthei
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Drübenland“