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Erzähl mir zur Entstehung eures Kurzfilms „Tommi & Wolf“. Tobias Kerber hat das Drehbuch geschrieben – wie er hat seine Geschichte gefunden und wie kam es zu eurer Zusammenarbeit?
Die Idee zum Film basiert auf den zwei fiktiven Musikproduzenten Thomas „Tommi“ Pichler und Wolfgang „Wolf“ Schrader, die sich Tobias in einer arbeitsintensiven Wirtshausnacht ausgedacht hat. Im Unterschied zum Film sind die beiden ursprünglich über fünfzig Jahre alt und wohnen im Wien der Gegenwart. Dort ruhen sie sich auf einem früheren Charterfolg aus, leben in Dekadenz und ohne Rücksicht auf das eigene Ablaufdatum.
Zuerst wollte Tobias darüber eine abendfüllende Mockumentary schreiben. Als sich die Möglichkeit auftat im zweiten Studienjahr an der Filmuni einen Kurzfilm zu drehen, haben wir uns zusammengeschlossen und überlegt, wie die Jugend von Tommi und Wolf wohl ausgesehen hätte. Dabei sind wir im Jahr 1976 gelandet. Irgendwo in der Provinz bei Wien.
Nachdem das Drehbuch stand, wie ging es dann weiter? Wie verliefen die Dreharbeiten und wo habt ihr gedreht?
Es spielt in den 70er Jahren – war es schwierig die Zeit wieder aufleben zu lassen?
Ich behaupte nein. Denn anstatt auf zeitgeschichtliche Authentizität zu setzen und mit aller Kraft zu versuchen das alte Österreich im heutigen Brandenburg exakt nachzubilden, entschieden wir uns eine Art Fantasieversion vom Niederösterreich des Jahres 1976 zu erschaffen. Das hat uns sehr viel kreativen Spielraum ermöglicht. Diesen Spielraum haben wir auch deshalb ausgekostet, weil aus dem Team sich niemand persönlich an die 70er erinnern kann, aber alle sie aus diversen Filmen, Büchern und Songs zu kennen scheinen. Auch „Millennials“ haben ja eine ziemlich konkrete Vorstellung dieses bestimmten Jahrzehnts. „Tommi & Wolf“ ist in diesem Sinne unsere Idee der 1970er Jahre in Österreich. Es ist eine Idee, die sich zusammensetzt aus Berichten des todesmutigen Rennfahrers Niki Lauda, aus der bizarren TV-Show „Spotlight“ mit Peter Rapp und aus den verklärenden Erzählungen über den Jahrhundert-Kanzler Bruno Kreisky und seiner idyllischen Republik als „Insel der Seligen“. Die Songs von „The Oh Long Johnsons“ und „Cari Cari“ ergänzen diese Idee aufgrund ihres Retro-Stils sehr gut. Ebenso die geschmeidig-aggressiven Albumcover-Hommagen der Animatorin Elisabeth Jakobi. Im Grunde steht „Tommi & Wolf“ unter dem Motto: „Alles ist Zitat.“ Nur ohne Zitierregeln.
Deine beiden Hauptdarsteller spielen ihre Rolle mit dem richtigen Verve. Wie hast Du sie gefunden?
Ich habe zunächst recht unbedarft nach jungen österreichischen Schauspielern gesucht. Maximilian Paier (Rolle „Tommi“) ist mir bei einem Vorspiel an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin aufgefallen. Ich fand ihn schnell interessant, weil er einen gewissen schludrigen Charme ausstrahlt, der gut zur Figur des Tommi Pichler passt. Dennoch habe ich ihm mehrere Castingrunden zugemutet, bis ich mir mit der Besetzung sicher war. Die Herausforderung lag in der richtigen Konstellation der beiden Hauptrollen.
Bei Christoph Kohlbacher (Rolle „Wolf“), damals noch Student am Wiener Max Reinhardt Seminar, hat mich als erstes sein erfrischend unverkrampftes Vorstellungsvideo auf der Website einer Komparsenagentur angesprochen. Auch ihn habe ich auf den ersten Blick in der Tommi-Rolle gesehen. Beim Casting hat er eine derartige Energie hingelegt, dass ich Angst hatte, der zerfetzt mir gleich alle Saiten unserer Secondhand-Stromgitarre. Mein Professor Andreas Kleinert hat mich beim Sichten des Castingmaterials darin bestärkt, Christoph auch für die Rolle des „Wolf“ vorsprechen zu lassen. Christoph hat kurzerhand den Wolf so empathisch und überzeugend interpretiert, dass wenig Fragen offen blieben. Ein abschließendes Konstellationscasting mit Max und Christoph hat die fleischgewordene Fiktion offenbart und das dynamische Duo zum Leben erweckt.
Kannst Du mir zum Schluss noch ein bisschen mehr zu Dir erzählen?
Ich komme aus der südoststeierischen Provinz und bin in Graz zur Schule gegangen. Nach meinem Architekturstudium an der TU Graz wollte ich das Filmemachen erlernen und bin nach Deutschland ausgewandert. Anders als man es anhand von „Tommi & Wolf“ vermuten würde, habe ich mit Wien also relativ wenig am Hut. Immer wieder spricht mich das deutsche Publikum auf den „typisch wienerischen“ Humor an, den sie in dem Film wiedererkennen wollen. Ich führe das vor allem darauf zurück, dass der Wiener Dialekt, Josef Hader und der sogenannte österreichische „Kabarettfilm“ hierzulande sehr beliebt sind. Allerdings halte ich für die humoristischen Aspekte meiner Arbeit und Identität als Filmemacher andere Einflüsse für viel wichtiger. Zum Beispiel die Sitcom „Father Ted“, die ich zum ersten Mal als Kind bei meiner irisch-englischen Großmutter sah. Oder die frühen Filme von Hal Hartley, die mein Vater mir gezeigt hat.
„Tommi & Wolf“ war euer Zweitjahresfilm. Wie geht es jetzt weiter? Werdet ihr in dieser Teamkonstellation weitere Filme drehen? Hast Du schon selbst neue Projekte geplant?
Die Fragen stellte Doreen Matthei
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Tommi & Wolf“