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Die Regisseure Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch, der Hautpdarsteller Alexander Wertmann und der Regieassistent Johannes Böttge (von links nach rechts)
Interview: Im Gespräch mit den beiden jungen Filmemacher Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch erfuhren wir mehr über ihre neueste Zusammenarbeit „Masel Tov Cocktail“, welcher auf dem 32. Filmfest Dresden den Publikumspreis und den Filmförderpreis der Staatsministerin gewinnen konnten. Sie berichten von der Entwicklung des 30-minütigen Kurzfilms, bis hin zum Dreh, der schwierigen Suche nach dem richtigen Darsteller und wie ihre gemeinsame Arbeit verlaufen ist.
Euer Film „Masel Tov Cocktail“ fühlt sich sehr authentisch an – wie kam es zu dem Projekt? Spielen persönliche Erfahrungen mit hinein?
Arkadij: Absolut. Wir wollten irgendwie das Gefühl kommunizieren, wie es sich anfühlt, jüdisch zu sein in Deutschland. Was macht es mit einem, wenn die eigene Anwesenheit in den Köpfen der Deutschen nichts anderes auszulösen scheint als die Bilder des Holocausts. Wie fühlt man sich, wenn das Outing als Jude in einer Gruppe, diese zum Schweigen bringt, weil die Leute nicht wissen, was sie jetzt sagen sollen? Und natürlich wollten wir etwas über die russischsprachige jüdische Community in Deutschland erzählen, in der ich aufgewachsen bin und die den Großteil der hier lebenden Jüdinnen und Juden ausmacht. Ohne persönliche Erfahrungen hätten wir das Drehbuch niemals so schreiben können. Alle Szenen, die im Film auftauchen sind Situationen, in denen sich Jüdinnen und Juden in Deutschland regelmäßig wiederfinden. Diese Situationen wurden bei „Masel Tov Cocktail“ auf einen Tag verdichtet.
Der Film besitzt eine wunderbar leichtfüßige Erzählweise mit viel Humor, aber auch einer klaren Botschaft. Wieso habt ihr euch u.a. dafür entschieden auf amüsante Weise Statistiken einzubauen und eure Hauptfigur mit dem Publikum reden zu lassen?
Arkadij: Wie soll man der Thematik sonst begegnen, wenn nicht mit Humor? Wir wollten etwas herstellen was Spaß macht, was ermächtigt, aber gleichzeitig auch eine neue Perspektive eröffnet; irgendwas, was sich nicht nach einem Film für die gymnasiale Oberstufe anfühlt. Wir glauben gute Filme sind nicht dazu da, um zu predigen, sondern viel mehr um zu lachen. Wir waren die Filme über Juden leid, die mit einer traurigen Klezmer-Musik beginnen und einen gebrochenen Juden seine Geige auspacken lassen. Durch den Humor wird alles etwas zugänglicher. Im Lachen wird das Publikum vereint – das jüdische wie auch das nicht-jüdische. Diese Lachallianz entkrampft uns alle. Wir hatten auch das Gefühl, dass es viel Aufklärungsbedarf gibt.
Am Anfang haben wir uns gefragt: Was wissen die Deutschen eigentlich über Juden? Die Antwort ist: Nichts. Außer Hitler, Holocaust und Antisemitismus. Man nähert sich der jüdischen Kultur nur über diese Assoziationen, wenn überhaupt. Wer weiß irgendwas über die Migration von ca. 200.000 sowjetischen Jüdinnen und Juden in die Bundesrepublik? Da wird ihnen keiner was darüber erzählen. In Deutschland denkt man, Juden kommen aus Israel, nicht aus der Ukraine oder Russland. Am Anfang des Projektes stand eine Notizensammlung mit Video-Snippets, Statistiken und langen Monologen, die wir als Antwort auf die Frage: „Was würden wir der Mehrheitsgesellschaft aus einer jüdischen Perspektive heraus gerne sagen?“, geschrieben haben. Schon sehr früh stand fest, dass wir unsere Hauptfigur das Publikum direkt ansprechen lassen möchten und auch die Statistiken als Kommentar zu den Monologen auftauchen lassen wollen. Auch damit hinterher niemand sagen kann: „Naja, dass du das erlebt ist schade, aber das heißt nicht, dass es allen so geht.“ Die Erlebnisse von Dima stehen für die Erfahrungswelt der meisten Jüdinnen und Juden in Deutschland. Den Reflex, den Film auf unsere subjektive Sicht zu reduzieren, können die nüchternen Zahlen und Fakten direkt aushebeln. Und natürlich ist Dimas direkte Ansprache an das Publikum eine Provokation – aber auch eine Aufforderung zur Reaktion. Denn wir wollen über das Thema ins Gespräch kommen und vielleicht sogar etwas ändern.
Ich mochte auch eure Bildsprache sehr – was war euch visuell wichtig?
Arkadij: Unser oberstes Credo ist es, Filme zu machen, die Spaß machen. Wir wollen Unterhaltung schaffen, die im besten Fall auch eine nachhaltigere Wirkung hat als das reine Entertainment Erlebnis. Wir selber mögen Filme, die verspielt sind und ein gewisses Tempo haben. Am wichtigsten war es unserem Protagonisten Dima eine Bühne zu bieten. Wir wollten keine Handkamera-Framings, wie so oft im deutschen Sozialdrama, sondern weite offene Bilder, die dem Schauspieler die Möglichkeit geben den ganzen Körper mitspielen zu lassen. Die untersichtigen Einstellungen unterstützen den Bühnencharakter zusätzlich. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Dynamik und das Tempo des Films. Die Kamera nimmt Dimas Weg, sein Tempo auf und unterstützt es.
Gleichzeitig wird die Kamera benutzt, um mit rasanten Bewegungen neue Figuren und Orte einzuführen. Der Zuschauer soll niemals die Orientierung verlieren und Dimas komplexen Ausführungen folgen können.
Der Hauptdarsteller Alexander Wertmann ist einfach wunderbar – wie habt ihr ihn gefunden?
Aarkadij: Das Casting des Hauptdarstellers war eine der größten Herausforderungen des Projektes. Uns war von Anfang an klar, dass wir einen jüdischen Hauptdarsteller wollen, da das Buch aus einer subjektiv jüdischen Perspektive geschrieben ist. Also begannen wir mit der Suche – die Auswahl war dementsprechend begrenzt. Wir haben nach jemandem gesucht, der vom Spielalter 18 Jahre alt ist, der Russisch und Deutsch spricht, der jüdisch ist und zu alledem ein guter Unterhalter; mögen sollte man ihn und… ach ja Spielen muss er natürlich auch gut. Wir begannen Agenturen abzugrasen und nach jüdischen Schauspielern zu suchen. Das ist natürlich eine merkwürdige Anfrage, die wir an die Agenturen gerichtet haben. Wir schauten an den Schauspielschulen, an Theatern und fanden niemanden Passendes. Also begannen wir in der muslimischen Community zu suchen, da wir das Gefühl hatten, dass Moslems in Deutschland mit ähnlichen Zuweisungen konfrontiert sind. Als die Zeit knapper wurde ließen wir uns E-Castings zukommen von allerlei talentierten Nicht-Juden und merkten, dass es nicht funktioniert. Wir glaubten den Leuten einfach nicht, wenn Sie in ihren Video-E-Castings spielten, dass sie Juden sind.
Und dann kam uns das Schicksal zu Gute. Ich bin Stipendiat des Ernst-Ludwig-Ehrlich-Studienwerkes, einer jüdischen Begabtenförderwerk mit Stipendiat*innen aus allen Fachrichtungen. Zweimal im Jahr wird ein Newsletter versendet, der über neu aufgenommene Stipendiat*innen informiert. Es war ungefähr sechs Wochen vor Drehbeginn als ich den Namen „Alexander Wertmann – Schauspiel“ las. Also schrieb er sofort eine Mail, um sich und sein Anliegen vorzustellen. Nach einem Mailverkehr, zwei Telefonaten und einem E-Casting fuhren wir nach Berlin, um ein längeres Casting durchzuführen. Was soll man sagen? Es war kein gutes Casting. Alex las die Texte, als ob er auf einer Theaterbühne steht. Er war völlig unerfahren in Film, stand noch nie vor einer Kamera und wusste nicht, dass es hier nicht darum geht den Zuschauer in der letzten Theaterreihe zu erreichen. Aber er verstand das Buch, kannte alle Situationen aus seinem privaten Leben und konnte sofort andocken. Zusätzlich war er sympathisch, hatte die passende Energie und Ausstrahlung. Gerade im Hinblick auf die anfänglichen Schwierigkeiten ist Alex´ schauspielerische Leistung im Film einfach grandios. Das Wichtigste hatte er ja bereits mitgebracht, die übrigen Anforderungen konnte er schnell und präzise umsetzen. Rückblickend hätte es keinen besseren als Alexander Wertmann für uns geben können.
Kannst Du mir noch mehr zur Realisierung des Films erzählen – u.a. wie lange ihr gedreht habt? Und wie ihr die Locations für den Film ausgewählt habt?
Mickey: Fast intensiver als der Dreh war die zweimonatige Vorbereitungsphase, die wir überwiegend am Produktionsstandort Ludwigsburg verbracht haben. Dort erarbeiteten wir gemeinsam mit unserem Team das Kamera-, Kostüm- und Szenenbildkonzept. Die letzten drei Wochen vor dem Dreh stieß außerdem Alexander Wertmann zu uns. Zusammen erarbeiteten wir die Rolle des „Dima“ und probten beinahe alle Szenen an den Original-Locations. Da wir aus produktionstechnischen Gründen nicht im Ruhrgebiet drehen konnten, aber eben dieses in „Masel Tov Cocktail“ erzählen wollten, gestaltete sich die Motivsuche äußerst schwierig: das Ruhrgebiet in Baden-Württemberg darstellen!? Dennoch gelang es uns einige Ecken zu finden, die an den ‚Pott‘ erinnern.
Dabei lag die Herausforderung darin, die separaten Schauplätze so auszuwählen, dass sie sich im fertigen Film wie ein Puzzle zusammenzufügen. Da wir auf diese Weise das Ruhrgebiet aus vielfältigen Versatzstücken zu rekonstruieren versuchten, hatten wir eine hohe Zahl an Motiven und somit auch Motivumzügen. Letztere sind immer sehr kräfteraubend, da wertvolle Arbeitszeit im Stadtverkehr oder Stau verloren geht. Die Dreharbeiten dauerten insgesamt elf Tage und verliefen dann glücklicherweise ohne größere Störungen. Solche hätten wir uns auch nicht erlauben können, denn einen Ersatz-Tag hätten wir aufgrund des begrenzten Budgets nicht gehabt. Als ein apokalyptisches Unwetter fünf Minuten nach Abdreh der finalen Szene losbrach, wussten alle, dass wir unfassbar viel Glück gehabt hatten. Im Anschluss befand sich der Film für drei Monate im Schnitt und weitere zwei Monate in der Postproduktion. Wir konnten den Film kurz vor unserer Premiere beim Max-Ophüls Filmpreis fertigstellen.
Kannst Du mir etwas mehr von euch beiden und eurem gemeinsamen Weg erzählen?
Mickey: Arkadij und ich sind uns vor ungefähr acht Jahren das erste Mal begegnet. Die Macromedia Hochschule in Köln, an der wir damals beide studierten, hatte einige Karten für die Oberhausener Kurzfilmtage verteilt. Arkadij war ein Jahrgang unter mir und als ich ihn im Kinosaal einschlafen sah, hätte ich nie gedacht, dass wir jemals einen Film zusammen drehen würden – doch das sollte sich bald ändern. Arkadij und zwei weitere Studenten aus seiner Klasse, Sebastian Schafstein und Leonard Ostermeier, wollten in den Semesterferien ein für unsere studentischen Verhältnisse riesiges Filmprojekt realisieren. Während der Vorbereitungen und dem Dreh habe ich Arkadij dann richtig kennengelernt. Zusammen mit den zwei anderen gründeten wir bald darauf die FreigeistFilm Gbr. In dieser Formation drehten wir fünf Kurzfilme, erlebten unsere ersten Filmfestivals und hatten Revolutionsgedanken. Letzteres stellte sich schon bald als schwieriger heraus als gedacht… Dennoch können wir uns keinen besseren Start in die Filmwelt vorstellen als in diesem Kollektiv. 2016 trennten sich unsere Wege, da jeder andere Pläne verfolgte. Während ich mein Philosophiestudium fortsetzte, begann Arkadij an der Filmakademie Baden-Württemberg Regie zu studieren. Trotz der plötzlichen Entfernung, gelang es uns den kreativen Austausch am Leben zu halten. Tatsächlich schrieben wir 2017 wieder an einem gemeinsamen Drehbuch, das wir ein Jahr darauf im Rahmen der Filmakademie verfilmten. Die Zusammenarbeit hat so gut harmoniert, dass Arkadij mich fragte, ob wir auch bei seinem nächsten Film „Masel Tov Cocktail“ zusammen Regie führen wollten. Na klar!
Wie verlief bei diesem Projekt eure gemeinsame Arbeit als Drehbuchautoren und Regisseure?
Mickey: Bei „Masel Tov Cocktail“ gab es im Vergleich zu früheren Projekten eine Besonderheit. Auf Grund von Arkadijs jüdischem Hintergrund hatte er natürlich einen ganz anderen Zugang zu dem Thema. Er begann gemeinsam mit seiner Freundin und Co-Autorin, Merle Teresa Kirchhoff am Drehbuch zu arbeiten. Ab einer fortgeschrittenen Fassung, als das Skelett des Drehbuchs stand, kam ich dazu. Während Merle und ich die wissenschaftliche beziehungsweise nicht-jüdische Perspektive ins Projekt trugen, lieferte Arkadij Material aus erster Hand und wir versuchten gemeinsam eine spannende Geschichte daraus zu stricken.
Eine Doppelregie bringt viele Vorteile mit sich, birgt aber auch Herausforderungen. Im Schreibprozess und den darauf folgenden Kreativentscheidungen muss zunächst eine gemeinsame Sprache gefunden werden. Da wir schon öfters zusammengearbeitet haben, wussten wir natürlich, dass unsere Geschmäcker nah genug beieinander liegen, um nicht ständig auf Konflikte zu stoßen aber dennoch gleichzeitig ausreichend verschieden sind, um eine gewisse, kreative Spannung zu bieten. Wir versuchen alle Meinungsverschiedenheiten in der Vorbereitungsphase aus dem Weg zu räumen, um nicht plötzlich am Filmset mit dem Diskutieren anzufangen, denn hier ist jede Minute kostbar. Tatsächlich gestaltet sich die Arbeit mit zwei Regisseuren sehr angenehm, da man im Gespräch mit den anderen Departments, zum Beispiel unserem Kameramann Nikolaus Schreiber, immer demokratische Entscheidungen treffen kann. Am Set gibt es eigentlich keine strikte Arbeitsteilung. Da wir beide uns gemeinsam und gründlich vorbereiten sind alle Entscheidungen bereits gefällt. Alle Schauspieler und Teammitglieder können mit Fragen immer zu beiden Regisseuren kommen und bekommen (meistens) die selbe Antwort.
Sind schon neue Projekte geplant – getrennt oder zusammen?
Mickey: Im April diesen Jahres sind wir gemeinsam in eine Wohnung im Ruhrgebiet gezogen, um an neuen gemeinsamen Projekten zu arbeiten. Natürlich hat jeder von uns auch eigene Ideen und Themen, die ihn beschäftigen, und die er eines Tages alleine oder vielleicht auch zusammen, umsetzen möchte.
Die Fragen stellte Doreen Matthei
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Masel Tov Cocktail“