„Joy“ (2020)

Doreen Kaltenecker
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Filmkritik: Der Eröffnungsfilm des 63. DOK Leipzig, was in diesem Jahr dual stattfand, der russische Zirkus-Dokumentarfilm „Joy“ (OT: „Джой“, Russland, 2020), welche damit in den Wettbewerb um die Goldene Taube im Internationalen Wettbewerb langer Dokumentar- und Animationsfilm ging. Weswegen der Film im Gedächtnis bleibt, ist die Diskrepanz zwischen dem, was die ZuschauerInnen in dem Film sahen und was die Regisseurin Daria Slyusarenko vermutlich beabsichtigt hat.

Der russische Wanderzirkus Джой (Joy) bricht von Moskau aus auf, um mit kleinen Shows in vielen Städten durchs Land zu ziehen. Geführt von der strengen, unbarmherzigen Hand von Marina folgt der Zirkus althergebrachten Pfaden. Eine Mischung von Clownsunterhaltung, Artistik und Tiershows wird zum Besten gegeben. Dabei sieht man nicht nur den DarstellerInnen die Zeit an, sondern auch die Behandlung von Personal und Tieren scheint heutzutage kaum noch tragbar. Als mit Jana neuer Wind in den Zirkus kommt, gäbe es vielleicht die Chance aus dem Eingefahrene auszubrechen.

Die russische Regisseurin Daria Slyusarenko war ein Jahr lang mit dem Zirkus unterwegs und lebte mit ihnen. Dabei hat sie einen 63-minütigen Film geschaffen, der für sie selbst die Magie des Zirkusleben einfängt. Doch für die ZuschauerInnen ist es ein hartes Portrait eines veralteten nicht tragbaren Establishments. Es beginnt bei der schlechten Tierhaltung und -behandlung und geht bei den menschlichen Niederungen weiter. Der Clown ist ein bekennender Rassist, die Chefin neigt zu ständigen Gewaltausbrüchen und im Gesamten herrscht eine unfreundliche Stimmung. Am schlimmsten schlägt sich die Misogynität, welche ebenfalls zum Alltag gehört, nieder, als die neue Clownin Jana dazu kommt. Man ist erstaunt, dass Slyusarenko so hinter die Kulissen schauen durfte und damit den ganzen Betrieb entlarvt und demontiert. Die Erklärung findet man darin, dass sie selbst das Magische darin sieht, was sie im Filmgespräch des DOK Leipzig erwähnt, und gibt damit vielleicht auch die Sicht der wandernden ZirkusdarstellerInnen wieder, was erklären würde, warum dieses Geschäft noch immer auf die Weise gelebt wird. Doch die Realität, welche das Publikum hier ungefiltert zu Gesicht bekommt, sieht viel dreckiger, härter und schonungsloser aus. So ist „Joy“ ein eindringlicher, wenn auch nicht in diesem Sinne beabsichtigter Film geworden, der das (spezielle) Zirkusleben mit seiner Misogynie, Misanthropie und Tierfeindlichkeit einfängt und damit jede aufgeklärte ZuschauerIn mit Stauen zurücklässt.

Fazit: Die knapp einstündige Zirkus-Dokumentation „Joy“ eröffnete das 63. DOK Leipzig und zeigt mit ungeschönten Blick das Leben in einem Wanderzirkus. Die Regisseurin Daria Slyusarenko begleitete diesen über eine langen Zeitraum und fing menschliche Niederungen, aus der Zeit gefallene Riten und Tierquälerei ohne Romantismus und Magie ein. So ist „Joy“ ein eindringliches, schockierendes Plädoyer für einen Wandel.

Bewertung: 7/10

Trailer zum Film „Joy“:

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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