Neun Fragen an Kim Lêa Sakkal

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Interview: Im Gespräch mit der Filmemacherin Kim Lêa Sakkal konnten wir mehr über ihren 49-minütigen Film „Intermezzo“ erfahren, der auf dem 42. Filmfestival Max Ophüls Preis seine Weltpremiere feierte. Sie erzählt von der Stoffentwicklung, wie wichtig Musik für den Transport von Gefühlen ist und welches Glück sie beim Locationscouting hatten.

Wie kam es zu der Geschichte deines Abschlussfilms „Intermezzo“? Stehen wahre Ereignisse dahinter?

Es ist eine sehr persönliche Geschichte. Ich glaube, jeder hat oder wird einmal einen Menschen verlieren, der ihm nahesteht. Bei mir war das auch so. Aber es war gar nicht der auslösende Grund, warum ich jetzt unbedingt diesen Film machen wollte, sondern mir war es irgendwie total wichtig, eine Beziehung zu erforschen, die sehr nah und doch sehr fern ist und eine Situation zu erschaffen, wo man diese Beziehung testen kann. Zudem habe ich mich am Leben meiner Verwandtschaft und meiner engen Freunde bedient. So ist ein Mischmasch aus wahren Ereignissen und Fiktion entstanden.

Du erzählst Dein Drama indem Du vieles unausgesprochen lässt. Welche Themen lagen Dir bei der Stoffentwicklung besonders am Herzen?

Deniz Orta und Klaus Steinbacher

Vor allem ging es mir um komplexe Beziehungen. Das Leben und Beziehungen mit Menschen sind sehr kompliziert. Auch wenn man sich liebt, muss es nicht einfach sein. Deswegen habe ich ein Zwillingspaar entwickelt, da ich dort den Konflikt am höchsten zuspitzen konnte, von absoluter Nähe und einer Distanz, die da ist, wenn man sich eigentlich gar nicht mehr wirklich kennt. Wenn man nicht verwandt wäre, hätte man vielleicht auch gar nichts miteinander zu tun, aber man ist ja nun mal verwandt. Wie geht man damit um? Und gibt es auch Dinge, die ein Miteinander verbinden, die kein anderer versteht?

Was mich auch interessiert hat, war eine Welt zu erschaffen, die ein bisschen jenseits von Raum und Zeit ist. Ich wollte nicht verorten, wo es in Deutschland spielt. Auch wenn es in der Gegenwart spielt, gibt es nur wenige Andeutungen darauf, sondern man bewegt sich in einem Raum der Erinnerung. Wir erfahren eigentlich auch nicht viel über die Oma, sondern erleben in einer psychischen Erinnerung, wie die beiden mit ihrer Beziehung und ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert werden. Über dieses wunderbare alte Haus und die tolle Ausstattung konnte man schnell eine schöne Welt kreieren, in der die beiden sich erinnern.

Kannst Du mir mehr zum Drehort und zu den Drehbedingungen erzählen? Wo habt ihr gedreht und wie lange hattet ihr Zeit?

Der Drehort ist in Lohmar. Das ist eine halbe Stunde von Köln entfernt und direkt am Flughafen. Was praktisch war, weil wir da tatsächlich umsonst drehen durften. Aber unpraktisch, weil wir am Flughafen gedreht haben. Und jeder, der irgendetwas mit Filmen zu tun hat, weiß, dass Flugzeuge der Feind eines jeden Tonmeisters oder Tonmeisterin sind, denn die Geräusche bekommt man hinterher auch nicht mehr raus. Deswegen hatten wir dadurch etwas erschwerte Bedingungen. Aber eigentlich hatten wir wahnsinnig viel Glück. Ich hab dieses tolle Haus gefunden, das zu verkaufen war. Der Verkäufer war ein ganz netter älterer Herr, der das Projekt irgendwie toll fand und uns das Haus dann für einen Monat überlassen hat. Ashley Ohman und Renate Mihatsch, die das Szenenbild gemacht haben, haben da eine wahnsinnige Arbeit geleistet, dieses Haus authentisch auszustatten, denn es war wirklich komplett leer. Wir haben zehn Tage vorbereitet und dann hatten wir noch 17 Tage für den Dreh. Es war also ein knackiger Dreh – wir haben circa drei Filmminuten am Tag geschafft.

Was lag Dir visuell am Herzen?

Deniz Orta

Diese Welt einzufangen – deshalb haben wir auf 16mm-Film gedreht. Unser Kameramann Paul Falz hat das vorher auch schon öfters gemacht. Für mich war es das erste Mal. Ich bin begeistert. Ich finde, dass man das Korn im Bild spürt, wie das Bild lebt und das ist etwas ganz Besonderes, was man irgendwie auch digital nicht nachstellen kann. Visuell muss man sich sehr minimieren, wenn man auf Film dreht. Man kann nicht einfach die Kamera draufhalten und irgendwie von jeder Seite alles covern, sondern man muss sehr, sehr präzise vorher bestimmen. Das gefiel mehr sehr gut, dadurch waren die Szenen simpel aufgelöst. Wir haben selten mehr als drei Einstellungen gemacht, damit wenig geschnitten werden muss und so haben wir eher versucht, Plansequenzen zu machen oder das so zu koordinieren, dass man etwas, was man vielleicht in zwei Einstellungen machen würde, in einer schafft und diese Welt einfach authentisch ist und alles irgendwie zusammenpasst.

Eine gute Freundin von mir, die Pariser Designerin Leah Bauthamy hat die Kostüme gemacht und das hat sie sehr schön hinbekommen, denn alles ist aufeinander abgestimmt und sah nicht wie Kostüme aus. Man sollte nicht das Gefühl haben, dass es jetzt so super modern nach 2020 aussieht, sondern dass es auch irgendwann gewesen sein könnte.

Interessant ist auch die Musikauswahl. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Gesangsdarbietung in der Bar. Kannst Du mir mehr dazu erzählen?

Für mich ist Musik ganz stark mit Erinnerungen verbunden. Die ganze Musik im Film ist die Musik meiner Großeltern, die Musik, die ich immer gehört habe und wo ich einfach emotional sehr viel mit verbinde. Und ich glaube, so geht es den meisten Menschen. Ein Lied kann so viele Emotionen hervorrufen. Ja, und dann gerade bei dem Hildegard-Knef-Lied [Anm. d. Red. „Für mich soll’s rote Rosen regnen“] in der Bar hat es für mich einfach den Moment eingefangen. Also dieses unbeholfene Singen der süßen Sängerin Liv Clasvogt und dann aber dieser starke Text dazu von Hildegard Knef. Das hatte ich vorher genauso im Kopf und das löst bei mir einfach viel aus, das kann ich auch nicht mit Worten beschreiben.

Deine beiden Hauptdarsteller Deniz Orta und Klaus Steinbacher sind wunderbar. Hast Du sie über ein Casting gefunden?

Klaus Steinbacher und Deniz Orta

Klaus hab ich klassisch über ein Casting gefunden und er stand so relativ früh fest. Ich hatte anfänglich eine andere Hauptdarstellerin, die dann aber leider absagen musste und so bin ich nochmal auf Deniz gekommen, bei der ich vorher schon einmal angefragt hatte, sie aber wegen einem anderen Theaterprojekt nicht konnte. Ich hab es dann einfach nochmal probiert, ihr meine Situation geschildert und sie hatte kurzfristig Zeit. Wir haben uns dann zum ersten Mal zwei Wochen vor dem Dreh in Köln gelernt, so war es ein kleines Risiko, aber nach einer Woche Probe war klar, dass es eine schöne Schicksalsfügung war.

Es hat auch wahnsinnig viel Spaß gemacht mit den SchauspielerInnen Denis Orta und Klaus Steinbacher zusammenzuarbeiten, weil es sehr, sehr talentierte SchauspielerInnen sind.

Wie offen warst Du für Improvisationen von Seiten der DarstellerInnen?

Klaus Steinbacher

Wir haben vor dem Dreh eine Woche lang geprobt, wo wir alles Mögliche improvisiert haben, um irgendwie eine Beziehung zwischen den beiden aufzubauen. Vor allem, weil sie sich ja vorher noch gar nicht kannten. Wir wollten auch herausfinden, was für die Figuren interessant sein könnte. Und dann haben wir am Set tatsächlich nicht viel improvisiert. Wir haben vorher immer die Szenen durchgesprochen und viel mit Drehbuch, also mit Text geübt und geprobt. Eigentlich war es wie bei der Leseprobe. Am Anfang haben wir geschaut, welche Unstimmigkeiten es gibt, die dann noch angepasst wurden und so haben wir uns dann eigentlich gar nicht weiter davon wegbewegt, was aber auch nicht nötig war. Es gab eine Szene, bei der ich mir selber noch nicht sicher war, wie ich das tatsächlich lösen würde: Das ist die Szene, in der Rebecca Carlo sagt, dass sie schwanger ist. Nach mehreren Proben und Besprechungen entschieden wir uns vom Drehbuch wegzugehen und eine neue Lösung zu finden und das ist die, die jetzt im Film ist. Es passt sehr gut und ich bin sehr froh darüber.

Kannst Du mir zum Schluss noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und wie Du zum Film gekommen bist.

Klaus Steinbacher und Deniz Orta

Ich bin im Libanon geboren, im Alter von sechs Jahren nach Deutschland gekommen, war hier bis zu meinem zwölften Lebensjahr und bin von meinem zwölften bis zum 18. Lebensjahr in Spanien aufgewachsen. Dann bin ich wieder zurück nach Deutschland gekommen, um erst ein Praktikum in einer Filmproduktionsfirma in Hamburg zu machen. Irgendwie wusste ich also schon, dass es in die Richtung Film oder irgendwas Kreatives gehen wird. Ich wollte schon immer was Kreatives machen, hab aber bis zu diesem Praktikum eigentlich immer nur sehr leidenschaftlich gemalt und fotografiert. Danach habe ich Kulturwissenschaften studiert für ein Jahr und dabei gemerkt, dass Theorie so überhaupt nicht meins ist. Glücklicherweise habe ich dann die Kunsthochschule für Medien in Köln gefunden. Und das war eine sehr glückliche Fügung, weil die sehr multimedial unterwegs ist. Das heißt, es war ganz gut, dass ich noch gar nicht so richtig wusste, was ich wollte. Ich hab mich mit Malerei und Fotografie beworben und mit einem Dokumentarfilm über meine libanesischen und deutschen Großeltern. Während des Studiums habe ich mich dann final für den Film entschieden, weil das die Disziplin ist, die für mich alles zusammenbringt: Die Fotografie, die Malerei und Komposition usw.. Mir hatte vorher immer die Arbeit mit anderen Menschen gefehlt und das habe ich dann im Film gefunden. Durch die Arbeit mit meinem Team, aber auch vor allem durch die Arbeit mit SchauspielerInnen, was ich wahnsinnig toll finde. Es macht mir am meisten Spaß, mit meinem team und SpielerInnen gemeinsam nach etwas zu suchen.

Wie geht es jetzt mit dem Abschluss in der Tasche weiter? Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich hab jetzt gerade mein Diplom gemacht in der Kunsthochschule für Medien und sitze an der Entwicklung meines neuen Stoffes, meinem Debüt-Langfilm. Ich kümmere mich parallel um die Finanzierung. Ich suche jetzt eigentlich nur noch nach den passenden PartnerInnen, die mich auf diesem Weg begleiten wollen, um dieses neue Projekt ins Leben zu rufen.

Die Fragen stellte Doreen Matthei

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Intermezzo

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