Sechs Fragen an Marta Magnuska

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Interview: Im Gespräch mit der polnischen Filmemacherin und Animationskünstlerin Marta Magnuska konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Misaligned“, der auf dem 65. DOK Leipzig den Preis für den besten Animationsfilm im Internationalen Wettbewerb Kurzfilm gewann, wie weit die Corona-Pandemie bei der Entstehung eine Rolle spielt, und wie es war, zum ersten Mal mit einem größeren Team ein Projekt zu realisieren.

The original english language interview is also available.

Jedem Zuschauer wird das Sujet des Film sehr bekannt vorkommen – warum hast Du Dich dafür entschieden, einen Film über die Corona-Zeit zu machen?

Der Film zeigt den Alltag eines Paares, das zu Hause bleibt und seinen täglichen Routinen nachgeht. Die Wiederholung dieser Aktivitäten mag bei einigen Zuschauern Erinnerungen an den Lockdown wecken, aber das war eigentlich gar nicht mein Ziel. Die Idee für den Film hatte ich etwa ein Jahr vor Ausbruch der Pandemie, aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Geschichte einige der Realitäten der letzten Jahre widerspiegelt. Ich finde es ziemlich merkwürdig, wie Umstände, die scheinbar nichts mit dem Prozess der Entstehung eines Films zu tun haben, diesen so stark beeinflussen können und gleichzeitig eine enorme Bandbreite an möglichen Interpretationen zulassen.

Die Idee des Films ist lose inspiriert von einer Kurzgeschichte von Italo Calvino mit dem Titel „Geco’s belly“. Darin folgt ein Ehepaar dem täglichen Ritual, am Fenster zu sitzen und den Gecko auf der Jagd nach Fliegen zu beobachten. Der Anblick des Geckos, der die Fliegen verschlingt, löst einen Fluss existenzieller Gedanken in ihren Köpfen aus. Das Drehbuch ist keineswegs eine Adaption von Calvinos Werk, die ursprüngliche Idee hat sich mehrfach weiterentwickelt, und derzeit ist das Drehbuch nicht mehr wirklich direkt mit Calvinos Geschichte verbunden. In seiner endgültigen Fassung konzentriert es sich mehr auf die Beziehung zwischen Frau und Mann. Der Gecko blieb in der Geschichte als eine Art Katalysator der Ereignisse, magisches Element, Beobachter, stiller Verbündeter der Frau, die versucht, sich wieder mit ihrem Partner zu verbinden.

Mir wurde klar, dass der Film Themen berührt, mit denen viele Menschen etwas anfangen können – Einsamkeit in einer Beziehung, die Auswirkungen von Routine in einer Partnerschaft, das Verlassen der Liebe. Die meisten Leute sahen Aspekte früherer oder sogar aktueller Beziehungen.

Der Film spiegelt auch bestimmte Aspekte meines persönlichen Lebens wider. Ich meine, ich habe mehr als zwei Jahre daran gearbeitet, und in dieser Zeit habe ich die Einstellungen verändert, Konzepte und Themen geändert. So hat mich die Entwicklung des Films natürlich mit vielen Höhen und Tiefen in meinem persönlichen Leben konfrontiert.

Ich denke, das liegt zum Teil an der offenen Struktur des Films. Es tauchen immer wieder neue Ideen und Interpretationen auf, die oft überraschend/unbewusst mit meinem eigenen Leben zu tun haben.

In welchem Rahmen konntest Du Deinen Film realisieren?

Misaligned“ ist mein erster professioneller Film nach meinem Abschluss an der Filmschule. Der Film wurde von dem polnischen Studio Animoon produziert und von dem lettischen Studio Atom Art koproduziert. Die gesamte Produktionszeit dieses sechs Minuten langen Films dauerte mehr als zwei Jahre. Ich erinnere mich, dass der Prozess der Erstellung des Drehbuchs und der Animation am meisten Zeit in Anspruch nahm, da sich das Konzept des gesamten Films mehrmals änderte. Ich begann mit der Idee eines eher experimentellen Films, aber am Ende entwickelte er sich zu einem eher narrativen Film.

Wir haben in einem kleinen Team gearbeitet. Während meines Studiums an der Filmhochschule habe ich ein paar Kurzfilme gedreht. Animationsfilmstudenten führten nicht nur Regie bei ihren eigenen Kurzfilmen, sondern arbeiteten auch als Animatoren, Cutter und Compositing Artists. Da ich es gewohnt war, allein zu arbeiten und den gesamten Entstehungsprozess unter Kontrolle zu haben, bestand eine der größten Herausforderungen bei der Produktion von „Misaligned“ darin, die Arbeit unter den Teammitgliedern zu verteilen. Anfangs war ich nicht sehr erpicht darauf, die Animationsarbeit mit anderen zu teilen, weil der Stil meiner Zeichnungen eine Art Handschrift ist und es mir sehr schwer fiel, ihn von anderen zu imitieren. Während der Produktion arbeitete ich mit den Animatoren von AtomArt zusammen, die gute Arbeit leisteten und mir dabei halfen, den Film in angemessener Zeit fertigzustellen.

Was lag Dir bei der visuellen Umsetzung am Herzen? Warum hast Du Dich für Schwarz-Weiß-Bilder entschieden?

In meiner Arbeit ist es mir besonders wichtig, mich von einem visuellen Stil zu lösen. Meistens animiere ich mit handgezeichneten Techniken, wobei ich mich auf ausdrucksstarke Schwarz-Weiß-Zeichnungen mit einem gelegentlichen Farbakzent konzentriere.

Mit jedem neuen Projekt versuche ich, etwas Neues zu lernen und zu erfahren, was die Gestaltung der visuellen Teile des Films angeht. Für die Animation von „Misaligned“ habe ich mich entschieden, Bild für Bild mit Kohle auf Papier zu zeichnen. Diese analoge Technik verleiht dem Film viel Ausdruck und führt oft zu unerwarteten Ergebnissen, die es mir erlauben, die Skizzenhaftigkeit des Stils zu betonen, mit all den Unvollkommenheiten, dem Schmutz und den Unfällen, die für diese Technik charakteristisch sind.

Wer mit meinen früheren Kurzfilmen („Foreign Body“ oder „The Other“) vertraut ist, wird feststellen, dass ich dazu neige, schwarz-weiße Zeichnungen anstelle von Farben zu verwenden. Ich vermute, das liegt daran, dass ich viele Skizzen mache, meist mit Tusche oder Kohle zeichne und es mir leichter und natürlicher fällt, mich auf diese Weise zeichnerisch auszudrücken.

Wieso verzichtest Du komplett auf Sprache?

Ich habe beschlossen, in „Misaligned“ keinen Dialog zu verwenden. Ich denke, der Animationsfilm ist ein sehr ausdrucksstarkes Kunstmedium, und in den meisten Fällen reichen Bilder und Sounddesign aus, um die Geschichte zu erzählen und Emotionen zu übertragen. Der Animationsfilm als Genre verwendet Metaphern, muss die reale Welt nicht nachahmen, sondern stellt immer eine Art Interpretation der Realität dar. Natürlich gibt es viele Animationsfilme, in denen der Dialog großartig funktioniert, aber ich hielt es nicht für nötig, ihn in meinem Film zu verwenden, um die Geschichte zu erzählen.

Kannst Du mir noch ein bisschen mehr von Dir erzählen und warum Du Dich für den (Animations-)Film entschieden hast?

Ich komme aus Łódź, Polen, wo ich mein Studium an der Akademie der Schönen Künste in der Abteilung für Grafikdesign begonnen habe. Während dieser Zeit begann ich, mich für Animation zu interessieren. Ich war sehr zufrieden mit meinem Studium, aber ich wusste immer noch nicht genau, was ich machen wollte, und ich wurde immer neugieriger auf Animationsfilme. Nachdem ich das erste Jahr der Schönen Künste abgeschlossen hatte, beschloss ich, mein Glück zu versuchen und nahm an der Aufnahmeprüfung für die Filmhochschule teil.

Ich rechnete nicht mit viel und dachte nicht ernsthaft daran, dort zu studieren, ich denke, es war für mich eher eine Herausforderung. Ich wurde angenommen und konnte mich nur schwer entscheiden, welche Schule ich wählen sollte. Am Ende schaffte ich es, an beiden Universitäten meinen Abschluss zu machen. Es war eine anstrengende Zeit für mich, an beiden Fakultäten weiter zu studieren, aber ich denke, es war eine gute Entscheidung. Obwohl ich damals schon ahnte, dass ich im Bereich Animation arbeiten würde, bot mir das Studium der Bildenden Kunst eine großartige Gelegenheit, verschiedene Techniken und visuelle Stile zu erkunden.

Zurzeit lebe und arbeite ich in Berlin.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Ich habe ein paar grobe Ideen für den nächsten Kurzfilm im Kopf, aber ich arbeite noch nicht an einem neuen Projekt. Derzeit arbeite ich an einigen Kurzfilmprojekten als Animator und Storyboard-Künstler.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker
Übersetzung von Michael Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Misaligned


Interview: In our conversation with Polish filmmaker and animation artist Marta Magnuska, we were able to learn more about her short film “Misaligned,” which won the prize for Best Animated Film in the International Competition Short Film at the 65th DOK Leipzig, the extent to which the Corona pandemic played a role in its creation, and what it was like to realize a project with a larger team for the first time.

The subject of the film will seem very familiar to every viewer – why did you decide to make a film about the Corona times?

The film depicts a daily life of a couple staying home and performing their daily routines. The repetitiveness of those activities may bring in some viewers the lockdown memories, but actually it was not my aim at all. I came up with the idea of the film about a year before the pandemic began, but it’s impossible to deny that the story reflects some of the realities of the past few years. I find it quite curious how circumstances seemingly unrelated to the filmmaking process can influence it so much and at the same time give way to an enormous range of potential interpretations.

The idea of the film is loosely inspired by a short story written by Italo Calvino entitled „Geco’s belly”. In it, a couple follows a daily ritual of sitting by the window and watching the gecko hunt for flies. Watching the gecko devouring the flies triggers a stream of existential thoughts in their minds. The script is not an adaptation of Calvino’s work by any means, the initial idea evolved numerous times and currently the script it’s not really directly connected to Calvino’s story anymore. In its final version, it focuses more on the relationship between woman and man. The gecko remained in the story as a sort of catalyst of events, magic element, observer, silent ally of the woman who tries to reconnect with her partner.

I realized that the film touches on issues that many people can relate to – loneliness in a relationship, the impact of routine in a couple, falling out of love. Most people saw aspects of previous or even current relationships.

The film also reflects certain aspects of my personal life. I mean, I’ve been working on this for more than two years, and in that time I shuffled shots, changed concepts and themes. So of course its development caught me in many ups and downs in my personal life.

I guess it’s partly due to the open structure of the film, new ideas and interpretations keep on appearing, often surprisingly/unconsciously up to date with my own life.

In which context were you able to realize your film?

Misaligned” it’s my first professional film after I graduate from the film school. The film was produced by the polish studio Animoon and co-produced by the latvian studio Atom Art. The whole production period of this 6 minutes long film took more than two years. I remember the process of creating the script and animation was the most time consuming as the concept of the whole film changed multiple times. I started with the idea of a more experimental film but in the end it evolved toward a more narrative one.

We worked in a small team. During my studies at the film school I created a couple of short films. Animation students were not only directors of their own short films, but would work as well as animators, editors, and compositing artists. As I had been used to working on my own and had the whole process of creation under control, one of the biggest challenges during the production of „Misaligned” was to share the work among the team members. In the beginningI was not very eager to share the animation work, because of the style of my drawings that is kind of my handwriting and I used to find it very hard for other people to imitate. During the production I worked with the animators from AtomArt who did a good job and helped me to finish the film within reasonable time.

What was important to you in the visual realization? Why did you decide to use black and white images?

Defying a visual style is particularly important to me in my work. Mostly I’m animating with hand-drawn techniques, focusing on expressive black and white drawings with an occasional accent of color.

With each new project I try to learn and experience something new in terms of creating visual parts of the film. I choose to animate “Misaligned” using frame by frame charcoal drawing on paper. This analogue technique adds a lot of expression, often giving unexpected results that allow me to emphasize on the sketchiness of the style, with all the imperfections, dirt and accidents that are characteristic of this technique.

If you are familiar with my previous short films („Foreign body” or „The other”) you will observe that I tend to use black and white drawing instead of colors. I guess it’s because I do a lot of sketches, I mostly draw with ink or charcoal and I find it easier and more natural for me to express myself this way in drawing.

Why did you decide not to use any language at all?

I decided not to use any dialogue in „Misaligned”. I think animated film is a very expressive art medium and in most cases visuals and sound design are enough to tell the story and transfer the emotions. Animation as a genre uses metaphor, doesn’t need to mimic the real world but always constitutes a kind of interpretation of reality. Of course there are many animated films where the dialogue works great but I didn’t think it was necessary to use it in my film to tell the story.

Can you tell me a little bit more about yourself and why you chose (animation) film?

I come from Łódź, Poland where I started my studies at the Fine Arts Academy in the department of graphic design. During this time I started to get interested in animation. I was very happy with my studies but I still didn’t know what exactly I wanted to do and I was more and more curious about animated films. After finishing the first year the Fine Arts, I decided to try my luck and took the entrance exam to the film school.

I was not counting on much and I was not thinking seriously about studying there, I think it was for me more like a challenge. I got accepted and I had a hard time deciding which school I should choose. In the end, I managed to graduate from both universities. It was a busy time for me to continue to study at both faculties but I think it was a good decision. Even though at the time I had a feeling I’m going to work with animation, the fine arts studies gave me a great opportunity to explore different techniques and visual styles.

Currently I live and work in Berlin.

Are there already new projects planned?

I have a couple of rough ideas of the next short film in my mind, but I am not working on any new project yet. Currently I work on a couple of short film projects as an animator and storyboard artist.

Questions asked by Doreen Kaltenecker

Read on the german review of the short film “Misaligned

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