Sieben Fragen an Miguel Goya und Tin Wilke

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Interview: Im Gespräch mit den beiden Filmemacher*innen Miguel Goya und Tin Wilke und Miguel Goya konnten wir mehr über ihren Kurzfilm „Las Flores“, der auf dem 44. Filmfestival Max Ophüls Preis 2023 im Programm ‚MOP-Shortlist: Lohn & Brot‘ lief, erfahren, warum und wie sie diesen in Pandemie-Zeiten realisiert haben und wie herausfordernd der Schnitt bei dieser Arbeit war. 

Wie seid ihr zu eurem Thema von „Las Flores“ gekommen? 

Wir sind beide mit der Latinx-Szene in Berlin verbunden und hörten von den Plänen der Gruppe über Freund*innen. Deutschland hatte gerade den Lockdown beschlossen und die Grenzen geschlossen. Trotzdem wurden durch eine Ausnahmeregelung im Frühjahr 2020 über 40.000 Saisonarbeiter*innen, meistens aus Osteuropa eingeflogen, um (unter meist sehr widrigen Arbeitsbedingungen) die deutschen Ernten zu sichern. Das ist aber nur ein Bruchteil der Anzahl an Arbeiter*innen, die normalerweise jährlich nach Deutschland zum Arbeiten kommen. Viele Migrant*innen, die in Berlin prekäre Jobs hatten, saßen plötzlich ohne Anspruch auf soziale Absicherung und ohne Arbeit in Berlin fest. Ihr einziger Ausweg lag in der Saisonarbeit, denn viele landwirtschaftliche Betriebe suchten nach billigen Arbeitskräften. Als wir von ihren Plänen hörten, kontaktierten wir sie sofort und baten sie darum, möglichst viel zu filmen. Wir konnten ja selber nicht hinfahren und hätten vor Ort auch gar keine Drehgenehmigung bekommen.

In welchem Rahmen habt ihr den Film realisiert?

Der Film wurde ohne jegliche Finanzierung realisiert und basiert auf dem Vertrauen von Vicky, Roca und Tincho zu uns. Wir hatten ein bisschen Kontakt zu ihnen, während sie in der Fabrik waren. Nach ihrer Rückkehr nach Berlin gaben sie uns das gesamte Material, dass sie mit ihren Handys gefilmt haben und auch Sprachnachrichten, die sie mit Freund*innen und Familie ausgetauscht haben. Anschließend haben wir fast zwei Jahre geschnitten, es war herausfordernd Videoschnipsel von wenigen Sekunden in eine kinematografische Form zu bringen.

Wie war es, in Pandemie-Zeiten zu arbeiten und so nicht selbst vor Ort zu sein?

Wir haben die Limitation zu unseren Gunsten genutzt und daraus ein Prinzip gemacht. Es war der Arbeit mit Found Footage sehr ähnlich, wir hatten sie zwar darum gebeten alles zu filmen, aber hatten ja keinerlei Kontrolle darüber, was die Protagonist*innen aufnehmen würden. Somit begann der Schnitt erst einmal mit Überraschungen.

Wie seid ihr die Zusammensetzung des Materials angegangen? Was lag euch beim Schnitt und auch auf visueller Ebene am Herzen?

Der zentrale Punkt lag darin, eine Verbindung aus den sehr kurzen Videofragmenten zu kreieren. Da fast alles im Hochformat gedreht wurde, beschlossen wir, das Material auch als solches zu zeigen. Durch die Dreiteilung des Screens konnten wir mehrere Videos gleichzeitig zeigen und das Material miteinander verbinden. Uns war es wichtig, die Spontanität der Handyvideos zu erhalten und gleichzeitig eine cinematographische Kontinuität zu erzeugen.

Wisst ihr, wie es den Porträtierten jetzt geht?

Wir haben relativ regelmäßigen Kontakt zu den dreien, auch weil wir sie immer auf dem Laufenden halten über neue Screenings. Wir freuen uns immer, wenn sie zu denen auch kommen und mit ihrer eigenen Stimme erzählen, wir letzten Sommer bei der Berliner Kurzfilmrolle.

Ihre Lage hat sich mittlerweile etwas stabilisiert. Sie sind erwachsener geworden, aber es bleibt für sie weiterhin prekär und viel schwieriger als für die meisten Deutschen, hier gute Jobs und ein stabiles Umfeld zu finden. Einer von Ihnen lebt auch nicht mehr in Deutschland.

Könnt ihr mir zu euch beiden erzählen und wie ihr zusammen gefunden habt? Hattet ihr ein bestimmte Arbeitsteilung bei euch?

Wir trafen uns 2019 in Berlin bei der Postproduktion des Dokumentarfilms „RePresente – the future is ours“, den Tin zusammen mit einem Kollektiv argentinischer und deutscher Filmemacher*innen und Aktivist*innen produzierte. Miguel war gerade als junger Regisseur und Cutter nach Berlin gekommen und suchte nach Arbeit im Film- und Videobereich. Er hat sich dem Team als Cutter angeschlossen. Gemeinsam stellten wir den Film im Jahr 2020 fertig. Als Ergebnis dieser großartigen kollaborativen Erfahrung beschlossen wir, an innovativen Filmformaten zu arbeiten, die relevante gesellschaftliche Themen mit zeitgenössischer Ästhetik verbinden.

Gibt es bereits neue Projekte – zu zweit oder allein?

Tin arbeitet gerade an einer Installation, für die Archivmaterial aus dem 20. Jahrhundert von neuronalen Netzwerken analysiert und zu neuen Bildern interpretiert wird, die dann als 3D-Skulpturen und Bilder mit Bioplastiken ausgestellt werden. Im Anschluss daran würde Tin gern wieder einen Film machen.

Miguel Goya arbeitet derzeit an einem experimentellen Dokumentarfilm, für den er eine Überlagerung aus Found Footage von Videos, die zu touristischen und Werbezwecken gedreht wurden und im Internet kursieren, montiert. Die sonst banalen Bilder erhalten dadurch einen Präsentationsrahmen, durch den sie einen neuen Zugang zur Welt der Bilder eröffnen. Im Alltag verbindet Miguel Goya seine Arbeit als Regisseur mit seiner Arbeit als Cutter.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „Las Flores

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