Sechs Fragen an Volker Schlecht

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Interview: Im Gespräch mit dem Regisseur und Animationskünstler Volker Schlecht („Kaputt“ (2016)) konnten wir mehr über seinen neuesten Kurzfilm „The Waiting“, der auf der 73. Berlinale 2023 im Programm ‚Berlinale Shorts‘ seine Premiere feierte, erfahren, wie er mit der Arbeit der Biologin Karen Lips vertraut wurde, warum er Costa Rica auch selbst bereisen wollte und wie er die Zeichnungen für ihre Worte entwickelt hat.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Biologin Karen Lips?

Dazu muss ich kurz einen Umweg nehmen und über meine Zusammenarbeit mit Alexander Lahl und Max Mönch reden. Vor circa acht Jahren haben wir uns kennengelernt und den Animationsfilm „Kaputt“ zusammen gemacht, einen Kurzfilm über das ehemalige zentrale Frauengefängnis der DDR in der Burg Hoheneck. Alexander und Max sind vor ein paar Jahren bei Recherchen zum Thema Artensterben auf die Geschichte von Karen Lips gestoßen und haben sie dann 2019 zwei Stunden lang live interviewt, nachdem sie Karen einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet hatten. Ich war ursprünglich skeptisch, als sie mir zum ersten Mal von Karen erzählt hatten. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, eine Naturdoku zu zeichnen und hatte keine Vorstellung, wie ich da herangehen sollte. Doch dann drückte mir Max einen USB-Stick mit dem Interview in die Hand. Und dieses Interview hat mich einfach umgehauen. Ich war so berührt und beeindruckt, gar nicht so sehr von dem Problem der Frösche, sondern von dem Enthusiasmus, der Hingabe und auch von der fast zärtlichen Traurigkeit, die in der Stimme von Karen lagen und in der Art, wie sie von ihrer Forschung erzählte. Gleichzeitig wissenschaftlich seriös und trotzdem mit einfachen Worten, humorvoll, spannend und mit einer solchen Begeisterung, dass für mich in dem Moment klar war: wir müssen diesen Film machen.

Wie entstand daraus ein Film? Der Off-Kommentar war ja dann zuerst da und musste dann stark geschnitten werden?

Das Interview ist original ungefähr zwei Stunden lang. Das war die Grundlage, von der ich erstmal ausgegangen bin. Es fällt mir immernoch schwer, dieses Interview als Off-Kommentar zu bezeichnen, denn eigentlich sind ja meine Zeichnungen der Kommentar zu Karens Erzählung, nicht andersherum. Diese zwei Stunden hätten, leicht gekürzt und dramaturgisch überarbeitet, locker ein Podcast, ein Hörspiel oder eine Geschichte werden können. Meine Zeichnungen hat diese Geschichte eigentlich nicht gebraucht. Doch das war auch bei unserem Film „Kaputt“ schon ähnlich. Bei diesem hatten damals Max und Alexander aus circa sechs Stunden Interviewmaterial eine Fassung von etwas mehr als sechs Minuten destilliert. Diesmal wollte ich unbedingt so viel wie möglich von Karens wunderbarer Erzählung erhalten, aber realistisch waren mehr als zwanzig Minuten Animation einfach nicht zu schaffen. In einem Prozess über mehrere Monate, bei dem wir uns den bearbeiteten Text wieder und wieder hin- und hergeschickt haben, ist dann der jetzige Extrakt entstanden. Parallel zur Arbeit an der verschriftlichten Fassung habe ich mit den Sounddaten gearbeitet, um so viel wie möglich von der Emotionalität ihrer Stimme für den Film zu sichern und die Schnitte nicht allein inhaltlich zu entscheiden. 

Wie hast Du die visuelle Umsetzung geplant? Was lag Dir optisch dabei am Herzen?

Ich habe in den ersten Monaten dieses Interview rauf und runter gehört. Mit Kopfhörern auf dem Fahrrad, beim Joggen, beim Zeichnen. Später dann die jeweils aktuellen Schnittfassungen. So nach und nach entstanden Bildideen im Kopf. Aber wie schon bei „Kaputt“, für den wir nach Hoheneck gefahren sind, um uns die Überreste des Gefängnisses anzusehen, hatte ich das Gefühl, dass ich nach Costa Rica oder nach Panama fliegen muss, um irgendwie einen Zugang zu bekommen. Meine Frau und ich haben dann relativ spontan eine komplette Urlaubsreise um diese Recherche herum geplant, denn natürlich fliege auch ich nicht ohne ein schlechtes Gewissen mal schnell irgendwo hin, zumal bei einem ökologischen Thema. Aber ohne dieses Erlebnis wäre der Film definitiv anders geworden. Ich habe versucht, die Fülle dieser Vegetation und die Zartheit und Schönheit dieser tropischen Frösche zeichenhaft in den Film zu übersetzen. 

Als wir zurückkamen, im März 2020, gab es den ersten Lockdown. Die Corona-Pandemie hat erstmal alles, was ich mir überlegt hatte, in Frage gestellt. Wozu jetzt ein Film über Frösche, habe ich mich natürlich gefragt. Erst nach und nach habe ich realisiert, wie viele Parallelen es zwischen Covid und der Pandemie der Frösche gab. Das ist dann als wichtiger Aspekt in den Film eingeflossen.

Generell war klar, dass so ein Film nicht mit den üblichen opulenten Naturdokus konkurrieren kann und muss. Davon gibt es ja zum Glück eine Menge. Das hieß für mich, ich bin frei, einen ganz anderen Weg zu gehen. Ich muss niemandem 1:1 zeigen, wie ein Regenwald oder Nebelwald aussieht. Ich wollte mich daher möglichst puristisch allein auf die Zeichnung konzentrieren. Keine Hintergründe, keine Farben. Allein der Vorstellung der Froscharten und einer Art Intro am Anfang blieb so etwas wie Colorierung vorbehalten. Alles andere ist bewegte, lineare Zeichnung. Vielleicht war ich in noch keinem anderen Film vorher so sehr bei mir selbst.

Das Storyboard, jede einzelne Bildidee, habe ich mit Alexander und Max besprochen. Während des Prozesses der Animation haben die beiden mir dann aber völlige Freiheit gelassen. Das ist auch eine Art von gegenseitigem Vertrauen, für das ich sehr dankbar bin.

Könntest Du Dir vorstellen, dass Dein Film an Schulen zur Aufklärung über das Artensterben eingesetzt wird?

Klar, das wäre sehr gut. Besonders hier bei uns in Europa wissen die wenigsten von diesem speziellen Phänomen. In Costa Rica weiß das natürlich jedes Kind. Über das generelle Drama des Artensterbens hinaus zeigt das Beispiel der Amphibien konkret, was uns verloren geht, dass es ganz klar menschliche Ursachen gibt, welchen Beitrag Wissenschaft leisten kann, und wie verletzlich das natürliche Gleichgewicht ist.

Über die Jahre hinweg realisierst Du immer wieder Kurzfilme. Was reizt Dich daran?

Unter uns Animationsfilmern stellt sich diese Frage, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Beim Spielfilm und beim Dokumentarfilm gibt es andere Möglichkeiten und andere Herangehensweisen. Die Filmemacher*innen sind in diesen Bereichen viel mehr in der Position, zu planen, zu dirigieren, zu führen, Verantwortung für Teams zu übernehmen. Dort ist es dann eher eine situative, projektabhängige Entscheidung, ob es ein kurzer oder langer Film wird.

Animationsfilme, wie auch Experimentalfilme, bieten ihren Autor*innen dagegen die Möglichkeit, eher wie in der bildenden Kunst zu arbeiten. Die visuellen Möglichkeiten sind erstmal unbegrenzt, ich kann ganz alleine im Atelier alle gestalterischen Entscheidungen im Prozess des Machens treffen und einen Film wie eine Skulptur oder wie ein Gemälde wachsen lassen. Diese Arbeitsweise lässt sich aber nur für Filme von wenigen Minuten Länge durchhalten, denn oft ist das ein rein handwerklich aufwändiger und zeitintensiver Prozess. 

Insofern liegt der Denkfehler oft darin, dass Animationsfilme und Experimentalfilme zu selbstverständlich mit Spiel- und Dokumentarfilmen verglichen werden und sich daraus diese immer gleichen Fragen ableiten. Nicht umsonst entstehen aber an vielen Hochschulen Animationsfilme auch im Kontext von Illustrations- oder Kunststudiengängen, nicht allein an Filmhochschulen. 

Sobald ich mich also entscheide, einen Animationsfilm mit Spielfilmlänge machen zu wollen, kommen zwangsläufig ganz andere Notwendigkeiten dazu: andere Dimensionen an Planung, an Budget, an Personal. Im Normalfall sind das dann also größere Produktionsstudios, die das stemmen können. Bei aller Hochachtung vor einigen wunderbaren Filmen, die auf diese Weise entstanden sind, hat es mich persönlich nie interessiert, in einem solchen Studiokontext zu arbeiten.

Sind bereits neue Projekte geplant?

Neue Illustrationen und Zeichnungen werden dieses Jahr auf jeden Fall noch entstehen. Ob und wann es einen neuen Film geben wird, kann ich noch nicht sagen. Ich arbeite aber tatsächlich parallel und nebenbei auch schon wieder an neuen Animationen.

Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker

Lies auch die Rezension des Kurzfilms „The Waiting

Transparenzhinweis: Ich hatte das Vergnügen auf dem 23. Landshuter Kurzfilmfestival selbst Teil der Jury (Shock Block) zu sein. So habe ich viele Kurzfilme im Rahmen dieser Tätigkeit gesehen.

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