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Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit der Biologin Karen Lips?
Dazu muss ich kurz einen Umweg nehmen und über meine Zusammenarbeit mit Alexander Lahl und Max Mönch reden. Vor circa acht Jahren haben wir uns kennengelernt und den Animationsfilm „Kaputt“ zusammen gemacht, einen Kurzfilm über das ehemalige zentrale Frauengefängnis der DDR in der Burg Hoheneck. Alexander und Max sind vor ein paar Jahren bei Recherchen zum Thema Artensterben auf die Geschichte von Karen Lips gestoßen und haben sie dann 2019 zwei Stunden lang live interviewt, nachdem sie Karen einen Tag lang bei ihrer Arbeit begleitet hatten. Ich war ursprünglich skeptisch, als sie mir zum ersten Mal von Karen erzählt hatten. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, eine Naturdoku zu zeichnen und hatte keine Vorstellung, wie ich da herangehen sollte. Doch dann drückte mir Max einen USB-Stick mit dem Interview in die Hand. Und dieses Interview hat mich einfach umgehauen. Ich war so berührt und beeindruckt, gar nicht so sehr von dem Problem der Frösche, sondern von dem Enthusiasmus, der Hingabe und auch von der fast zärtlichen Traurigkeit, die in der Stimme von Karen lagen und in der Art, wie sie von ihrer Forschung erzählte. Gleichzeitig wissenschaftlich seriös und trotzdem mit einfachen Worten, humorvoll, spannend und mit einer solchen Begeisterung, dass für mich in dem Moment klar war: wir müssen diesen Film machen.
Wie entstand daraus ein Film? Der Off-Kommentar war ja dann zuerst da und musste dann stark geschnitten werden?
Wie hast Du die visuelle Umsetzung geplant? Was lag Dir optisch dabei am Herzen?
Ich habe in den ersten Monaten dieses Interview rauf und runter gehört. Mit Kopfhörern auf dem Fahrrad, beim Joggen, beim Zeichnen. Später dann die jeweils aktuellen Schnittfassungen. So nach und nach entstanden Bildideen im Kopf. Aber wie schon bei „Kaputt“, für den wir nach Hoheneck gefahren sind, um uns die Überreste des Gefängnisses anzusehen, hatte ich das Gefühl, dass ich nach Costa Rica oder nach Panama fliegen muss, um irgendwie einen Zugang zu bekommen. Meine Frau und ich haben dann relativ spontan eine komplette Urlaubsreise um diese Recherche herum geplant, denn natürlich fliege auch ich nicht ohne ein schlechtes Gewissen mal schnell irgendwo hin, zumal bei einem ökologischen Thema. Aber ohne dieses Erlebnis wäre der Film definitiv anders geworden. Ich habe versucht, die Fülle dieser Vegetation und die Zartheit und Schönheit dieser tropischen Frösche zeichenhaft in den Film zu übersetzen.
Als wir zurückkamen, im März 2020, gab es den ersten Lockdown. Die Corona-Pandemie hat erstmal alles, was ich mir überlegt hatte, in Frage gestellt. Wozu jetzt ein Film über Frösche, habe ich mich natürlich gefragt. Erst nach und nach habe ich realisiert, wie viele Parallelen es zwischen Covid und der Pandemie der Frösche gab. Das ist dann als wichtiger Aspekt in den Film eingeflossen.
Generell war klar, dass so ein Film nicht mit den üblichen opulenten Naturdokus konkurrieren kann und muss. Davon gibt es ja zum Glück eine Menge. Das hieß für mich, ich bin frei, einen ganz anderen Weg zu gehen. Ich muss niemandem 1:1 zeigen, wie ein Regenwald oder Nebelwald aussieht. Ich wollte mich daher möglichst puristisch allein auf die Zeichnung konzentrieren. Keine Hintergründe, keine Farben. Allein der Vorstellung der Froscharten und einer Art Intro am Anfang blieb so etwas wie Colorierung vorbehalten. Alles andere ist bewegte, lineare Zeichnung. Vielleicht war ich in noch keinem anderen Film vorher so sehr bei mir selbst.
Das Storyboard, jede einzelne Bildidee, habe ich mit Alexander und Max besprochen. Während des Prozesses der Animation haben die beiden mir dann aber völlige Freiheit gelassen. Das ist auch eine Art von gegenseitigem Vertrauen, für das ich sehr dankbar bin.
Könntest Du Dir vorstellen, dass Dein Film an Schulen zur Aufklärung über das Artensterben eingesetzt wird?
Klar, das wäre sehr gut. Besonders hier bei uns in Europa wissen die wenigsten von diesem speziellen Phänomen. In Costa Rica weiß das natürlich jedes Kind. Über das generelle Drama des Artensterbens hinaus zeigt das Beispiel der Amphibien konkret, was uns verloren geht, dass es ganz klar menschliche Ursachen gibt, welchen Beitrag Wissenschaft leisten kann, und wie verletzlich das natürliche Gleichgewicht ist.
Über die Jahre hinweg realisierst Du immer wieder Kurzfilme. Was reizt Dich daran?
Unter uns Animationsfilmern stellt sich diese Frage, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Beim Spielfilm und beim Dokumentarfilm gibt es andere Möglichkeiten und andere Herangehensweisen. Die Filmemacher*innen sind in diesen Bereichen viel mehr in der Position, zu planen, zu dirigieren, zu führen, Verantwortung für Teams zu übernehmen. Dort ist es dann eher eine situative, projektabhängige Entscheidung, ob es ein kurzer oder langer Film wird.
Insofern liegt der Denkfehler oft darin, dass Animationsfilme und Experimentalfilme zu selbstverständlich mit Spiel- und Dokumentarfilmen verglichen werden und sich daraus diese immer gleichen Fragen ableiten. Nicht umsonst entstehen aber an vielen Hochschulen Animationsfilme auch im Kontext von Illustrations- oder Kunststudiengängen, nicht allein an Filmhochschulen.
Sobald ich mich also entscheide, einen Animationsfilm mit Spielfilmlänge machen zu wollen, kommen zwangsläufig ganz andere Notwendigkeiten dazu: andere Dimensionen an Planung, an Budget, an Personal. Im Normalfall sind das dann also größere Produktionsstudios, die das stemmen können. Bei aller Hochachtung vor einigen wunderbaren Filmen, die auf diese Weise entstanden sind, hat es mich persönlich nie interessiert, in einem solchen Studiokontext zu arbeiten.
Sind bereits neue Projekte geplant?
Neue Illustrationen und Zeichnungen werden dieses Jahr auf jeden Fall noch entstehen. Ob und wann es einen neuen Film geben wird, kann ich noch nicht sagen. Ich arbeite aber tatsächlich parallel und nebenbei auch schon wieder an neuen Animationen.
Die Fragen stellte Doreen Kaltenecker
Lies auch die Rezension des Kurzfilms „The Waiting“