„Kramer gegen Kramer“ von Avery Corman (1977)

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234 Seiten / Rowohlt Verlag

Buchkritik: Vor über 40 Jahren kam der kluge Roman „Kramer gegen Kramer“ des Schriftstellers Avery Corman auf den Markt. In den Jahren des gesellschaftlichen Aufbruchs gab er Männern und Frauen eine Stimme, die in alten Beziehungsmuster gefangen waren und darin nicht ihr Glück finden konnten.

Als Ted und Johanna ihren Erstgeborenen Billy bekamen, war die Rollenverteilung klar. Ted arbeitete weiter und sorgte dafür, dass genug Essen auf dem Tisch stand und Johanna blieb natürlich bei Billy zu Hause. Mit den Jahren möchte Johanna wieder anfangen zu arbeiten, doch Ted verbietet es ihr. Eines Tages kommt er nach Hause und Johanna ist gegangen und hat Billy dagelassen. Freunde und Familie wissen ebenfalls nichts. Doch statt sich weiter um den Verbleib von Johanna zu sorgen, muss Ted jetzt einen Weg finden als alleinerziehender Vater in New York seinen Sohn versorgen. 

Der 1935 in New York geborene Schriftsteller Avery Corman verfasste nicht nur fleissig Theaterstücke, Drehbücher und Zeitungsartikel, sondern 1977 auch seinen Debütroman „Kramer gegen Kramer“. Dieser mauserte sich schnell zum Bestseller und wurde deshalb zwei Jahre später mit Dustin Hoffman und Meryl Streep in den Hauptrollen unter der Regie von Robert Benton verfilmt. Warum dieses Buch damals und auch noch heute so gut funktioniert, ist der messerscharfe Blick auf etablierte Familienstrukturen. Auf den ersten Blick wirken Ted und Johanna wie ein modernes Paar, aber sobald sie ein Kind erwarten, fallen sie in die klassische Rollenverteilung zurück. Doch Johanna ist keine Frau, die nur Mutter sein will. Aus ihrer Perspektive erfährt man die Sicht einer unglücklichen Frau, die gefangen zu sein scheint. Das müsste zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches ein Novum gewesen sein. Der Autor schafft es, dass man sich schnell auf Johannas Seite schlägt und die Ungerechtigkeit spürt, die sie empfindet, so dass jeder Leser den radikalen Schritt ihrerseits unterstützt. Danach gelingt ihm ein Kniff, der mit dem Verschwinden der Mutter einsetzt, womit sich Ted als Alleinerziehender behaupten muss. Nach wenigen Kapiteln ist der Leser überzeugt, dass alles so seine Richtigkeit hat und Johannas erneutes Auftauchen wie ein Eindringen wahrgenommen wird. Hier findet ein starker Sympathieübergang statt. Neben den beiden Perspektiven, die hier dargelegt werden, spricht der Roman noch andere wichtige, gesellschaftliche Themen an, wie Arbeitslosigkeit, ein fehlendes soziales Auffangsystem und die Wahrnehmung von alleinerziehenden Personen in der Gesellschaft. All das schreibt Avery Corman in seinem schmalen Büchlein mit klarer, äußerst sachlicher Sprache und kommt ohne Umschweife zum Punkt. In diesen Schreibstil, der abgeklärter als seine Geschichte wirkt, muss sich der Leser zwar erst hineinversetzen, aber das funktioniert nach kurzer Zeit recht gut. Doch nicht die sprachliche Ausgestaltung macht dieses Buch so eindringlich, sondern, dass es sich traut Themen anzusprechen, die ansonsten im Privaten verborgen bleiben. 

Fazit: Der mittlerweile über 40 Jahre alte Roman „Kramer gegen Kramer“ erzählt nicht nur von einem vergangenen New York und wirft wichtige Fragen auf, um zum Umdenken zu animieren. Sondern er funktioniert auch in heutiger Zeit noch, vor allem als kluge Familienstudie. Der Autor Avery Corman erzählt hier in seinem Debütroman von den Schwierigkeiten einer Familie und schaut hinter die Fassade der klassischen Rollenverteilung. Er schafft es, die Sympathien richtig zu verteilen, so dass der Leser selbst zwischen den Stühlen steht. Das macht Cormans „Kramer gegen Kramer“ auch heute noch zu einem wertvollen Roman, der auch leicht lesbar ist.   

Bewertung: 4/5

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

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