„Kramer gegen Kramer“ (1979)

Doreen Kaltenecker
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1980 / 52. Oscarverleihung / 9 Nominierungen / 5 Auszeichnungen

Filmkritik: Ende der 70er Jahre wurde in der ganzen USA heiß über das Thema der Sorgerechtsfrage diskutiert. Es gab allein rund 50 Bücher, die sich damit beschäftigten. Das ging natürlich nicht an Hollywood vorbei. Sie lieferten mit der Romanadaption „Kramer gegen Kramer“ (OT: „Kramer vs. Kramer“, USA, 1979) ihren eigenen Beitrag zur Debatte. Schon im Vorfeld der 52. Oscarverleihung war klar, dass es sich hierbei um den sicheren Anwärter für den ‚Besten Film‘ handeln würde. So konnte er von seinen neun Nominierungen (in den 17 Kategorien) fünf Trophäen gewinnen und setzte sich damit gegen die starke Konkurrenz mit Filmen wie „Apocalypse Now“ von Francis Ford Coppola und Bob Fosses „Hinter dem Rampenlicht“ durch.   

Justin Henry und Dustin Hoffman
© D.R.

Der Werbekaufmann Ted Kramer (Dustin Hoffman) führt ein klassisches Vorzeigeleben in Manhattan. Während er tagsüber seiner Arbeit nachgeht, bleibt seine Frau Joanna (Meryl Streep) bei ihrem fünfjährigen Sohn Billy (Justin Henry) zu Hause. Doch als Ted eines Abends nach Hause kommt, eröffnet ihm Joanna dass sie ihn verlassen wird und ihren Sohn Billy nicht mitnimmt. Vor neue Herausforderungen gestellt, versucht Ted als alleinerziehender Vater Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen. 

Jane Alexander und Dustin Hoffman
© D.R.

In der USA gab es in den 70er Jahren einen massiven Wandel in der Rechtsprechung. Während vorher fast jedes Sorgerecht an die Mutter ging, stieg damals die Quote um 136%, dass auch die Väter das Sorgerecht zugesprochen bekamen. Dieses Thema war in aller Munde, viele Bücher wurden geschrieben, u.a. auch der Debütroman „Kramer gegen Kramer“ (OT: „Kramer versus Kramer“, 1977) von Avery Corman (*1935). Dieser wurde kurzer Zeit später von Robert Benton (*1932) für Hollywood adaptiert. Der Regisseur und Drehbuchschreiber, den man später durch die Filme „Nobody’s Fool – Auf Dauer unwiderstehlich“ (1994) und „Der menschliche Makel“ (2003) kennt, wollte ursprünglich Maler werden, kam dann aber als Autor zum Film und gab mit „In schlechter Gesellschaft“ (1972) sein Regiedebüt. „Kramer gegen Kramer“ war sein dritter Film. Er bekam für seine Regie und für das Drehbuch gleich zwei Oscars verliehen. So gesehen war das der Höhepunkt seiner Karriere, danach konnte er nur noch einmal einen Oscar für „Ein Platz im Herzen“ (1984) als Autor gewinnen. Inszeniert hat er den Film mit einer angenehmen Distanz zu den Figuren und versucht nicht es absichtlich zu rührselig werden zu lassen. So stand auch bei der Romanadaption Realismus und nicht das Dramatische im Vordergrund. Mit seiner pointierten Geschichte, frei von Ausschweifungen, auch wenn er an der ein oder anderen Stelle von dem Roman abweicht, thematisiert er neben dem Offensichtlichen auch eine frauenfeindliche Macho-Gesellschaft und schafft es ebenso wie der Roman, beide Parteien verständlich einzufangen.           

Dustin Hoffman und Justin Henry
© D.R.

Die Inszenierung bleibt im Gesamten sehr unauffällig. Für die Locations wählten sie einen authentischen Look und zeigten ein alltägliches New York, in dem Menschen leben und ihrer Arbeit nachgehen. Bei der Ausstattung der Wohnungen und des Gerichtssaals bleibt alles im authentischen (und für uns heute im schönsten 70er Jahre) Look. Zusammen mit seinem Kameramann Néstor Almendros, der dafür auch mit einer Nominierung bedachte wurde, spielte er mit Fern- und Nahsichten und macht dadurch die Distanz der Protagonisten zueinander deutlich. Bei der Bild- und Farbgestaltung sollen zwei Künstler (Pero della Francesca und David Hockney) ausschlaggebend gewesen, doch das erkennt man wahrscheinlich nur als wahrer Fachmann. Abgerundet wird der Film durch den konsequenten Einsatz klassischer Musik u.a. Henry Purcell und Antonio Vivaldi und einen eingängigen Drama-Score des Komponisten Herb Harris.

Meryl Streep und Dustin Hoffman
© D.R.

Der Film ist vor allem, was bei diesem Thema auch genau richtig ist, großes Schauspielerkino. Er wurde insgesamt viermal in dieser Kategorie nominiert. Der achtjährige Sohn-Darsteller Justin Henry, der hier sein Filmdebüt gibt, war ebenso nominiert wie Jane Alexander, welche die verständnisvolle Nachbarin spielt. Henry ist bis heute der zum Zeitpunkt der Verleihung jüngste Schauspieler mit einer Oscarnominierung. Doch nur die beiden Hauptprotagonisten des Films konnten die Trophäen auch gewinnen. Zum einen gewann Dustin Hoffman, den Preis für den ‚Besten Hauptdarsteller‘ und zum anderen Meryl Streep als ‚Beste Nebendarstellerin‘. Beide füllen ihre Rollen mit dem richtigen Gespür aus und ihre Karrieren wurden mit diesem Film und dem Oscargewinn weiter angekurbelt. Der 1937 in Los Angeles, USA geborene Dustin Hoffman hat schon vorher mit Filmen wie „Die Reifeprüfung“ (1967), „Asphalt-Cowboy“ (1969) und „Lenny“ (1974) auf sich aufmerksam gemacht, konnte nun aber nach drei Nominierungen seinen ersten Oscar gewinnen. Acht Jahre später sollte er für „Rain Man“ seine zweite Oscar-Trophäe seiner Karriere erhalten. Er schafft es, den Ted Kramer von einem unsympathischen Egomanen in einen liebenden Vater zu transformieren ohne, dass es dabei aufgesetzt wirkt. Er lässt die Schwächen seiner Figur zu und übertreibt die emotionalen Komponenten nicht. Das einzige was einen schalen Nachgeschmack hinterlässt, ist der unsensible Umgang mit Meryl Streep am Set, angeblich um sie auf die Rolle einzustimmen. Doch wie Dustin Hoffman selbst durch das wahre Leben – er steckte mitten in einer Scheidung – vorbereitet war, erging es auch der jungen Schauspielerin Meryl Streep, deren Freund kurz zuvor an Krebs starb und die zudem auch noch schwanger war. Ursprünglich waren Goldie Hawn, Susan Surrandon, Diane Keaton oder Jane Fonda im Gespräch, doch Benton entschied sich für die unbekanntere Meryl Streep. Dieser Film, in dem sie ihre Rolle, für die sie den Gerichtsmonolog selber schrieb, trotz Kürze sehr gut spielt, legte den Grundschein für ihre Karriere. Heutzutage ist Meryl Streep eine feste Größe bei den Oscars, wurde sage und schreibe schon 21 Mal nominiert und konnte davon drei Oscars gewinnen. Der Cast von „Kramer gegen Kramer“ gehört zu den wichtigsten Gründen, warum dieser Film sich so in die Herzen der Zuschauer gespielt hat und noch heute zum festen Kanon der Must-See-Film gehört.

Dustin Hoffman und Justin Henry
© D.R.

Die Premiere fand am 19. Dezember 1979 in New York statt und das Publikum nahm den Film ausgeprochen gut an, so dass er sich zum kommerziell erfolgreichsten Film des Jahres 1979 mauserte. Kein Wunder also, dass er auf der 52. Oscarverleihung, welche am 14. April 1980 im Dorothy Chandler Pavilion in Los Angeles stattfand, auf stolze neun Nominierungen von 17 Kategorien kam. Neben den fünf Oscars konnte der Film auch noch vier Golden Globes für das ‚Beste Filmdrama‘, das ‚Beste Drehbuch‘, sowie für Haupt- und Nebendarsteller gewinnen. Auch einen New York Film Critics Award gewann er und heute noch gehört er zu den bekanntesten Filmen über dieses Thema und den  Top-Gerichtsfilmen.

Dustin Hoffman und Justin Henry
© D.R.

Fazit: Das Familiendrama „Kramer gegen Kramer“, das am Ende zum Gerichtsdrama wird, gewann auf der 52. Oscarverleihung fünf der heiß begehrten Trophäen. Da der Film den Nerv der Zeit traf und zu einer aktuellen Debatte über die Rechte der Väter beitrug, war im Vorfeld schon klar, dass er als Sieger in der Kategorie ‚Bester Film‘ hervorgehen würde. Zudem überzeugte er als Schauspielerkino, und der Oscargewinn für Hoffman und Streep tat ihren Karrieren sehr gut. Der Film gehört trotz nicht mehr ganz aktueller gesellschaftlichen Themen auch heute noch zu dem Kanon von Filmen, welche Echtheit und Gefühl vor künstliches Drama stellten und so auch weiterhin Zuschauer – trotz einem etwas angestaubten 70er Jahre Look – von sich überzeugen kann.

Bewertung: 7/10

Trailer zum Film „Kramer gegen Kramer“

 

geschrieben von Doreen Matthei

Quellen:

Diese Rezension ist als Teil der Oscar-Reihe der Testkammer erschienen.

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