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Der Texaner Joe Buck (Jon Voight), der bei seiner Großmutter aufwuchs und von deren wechselnden Liebhabern geprägt wurde, u.a. einem waschechten Cowboy, will aus der Enge seines Heimatorts ausbrechen. Er macht sich mit seinem mit einem Kuhfell bezogenen Koffer auf in die große Stadt New York, um mit seinem sexuellen Talent die Ladies zu beglücken und damit reich zu werden. Ohne Plan, wie er es genau angehen soll, trifft er auf Rizzo (Dustin Hoffman), der ihn erst einmal für seine Zwecke ausnutzt. Als sie sich wieder begegnen, kommt Joe bei ihm unter. Trotz des ganzen Elends der Stadt entsteht hier langsam eine Freundschaft und der gemeinsame Traum, nach Florida zu gehen.
In den vergangenen Oscarverleihungen wurde jedes Mal ein eher leicht zugänglicher Film zum besten Film des Jahres gekürt. Im Jahr davor war es „Oliver“ des Regisseurs Carol Reed. Es war wohltuend (vermutlich für die Kritiker damals), dass sich nun in diesem Jahr ein anspruchsvoller Film durchsetzen konnte. In der Tradition von Billy Wilders „Das verlorene Wochenende“ (1946), Elia Kazans „Tabu der Gerechten“ (1947) und Billy Wilders „Das Apartment” (1960) setzt er die Reihe von Filmen fort, die ein tabuisiertes Thema annahmen und es realitätsnah aufarbeiten. So zählt „Asphalt Cowboy“ auch zu den Filmen, welche das Independent Cinema genauso geprägt haben wie das New Hollywood, das Ende der 70er Jahre das klassische Hollywood-Kino modernisierte und Filme zeigte, die realitätsnah und gesellschaftskritisch waren und damit auch gegen Genre-Konventionen verstießen. Kurz nachdem diese Strömung Klassiker wie „Bonnie and Clyde“ (1967) hervorbrachte, gewann „Asphalt Cowboy“ den Oscar für den ‚Besten Film‘ und ist damit der einzige Film mit X-Rating, der jemals diese Trophäe gewann. Diese Altersangabe bekam eigentlich nur pornographisches Material verpasst, wurde aber damals auch für dieses Drama verwendet und erst ein Jahr später auf das neue R-Rated (Kinder dürfen den Film nur in Begleitung Erwachsener sehen) abgeändert. Der Film zeigte, dass man das Publikum auch mit schwierigen Themen konfrontieren konnte und dass sie auch Lust drauf hatten.
Der britische Regisseur John Schlesinger (1926-2003) drehte zuerst in Großbritannien Filme wie „Nur ein Hauch Glückseligkeit“, für den er auf der 12. Berlinale 1962 den Goldenen Bären erhielt, und die Thomas-Hardy-Adaption „Die Herrin von Thornhill“ (1967), bevor er in die USA übersiedelte. „Asphalt Cowboy“ war sein filmisches US-Debüt und brachte ihm den einzigen Oscar seiner Karriere für die ‚Beste Regie‘ ein, obwohl er noch zwei weitere Male nominiert wurde für „Darling“ (1965) und „Marathon Man“ (1976).
Schlesinger hatte den 1965 erschienenen Roman von James Leo Herlihy (1927-1993) zufällig im Urlaub gelesen und war sofort von der zeitgenössischen, dramatischen Handlung und dem bitterbösen Portrait einer Großstadt begeistert. Er selbst war erst 1967 in die USA gekommen und konnte ebenfalls die düsteren Seiten der glitzernden Stadt New York sehen. Er mochte zudem, dass es sich wie ein Spätwestern anfühlte – ein Abgesang an frühere Helden. In diesem Sinne setzte er den Film um, schuf ihn wie eine Ballade, die vom Verlust der Unschuld handelt, aber auch den Wert von Freundschaft betont. Er baut dabei absichtlich Brüche und Unterbrechungen mit Träumen, Visionen und Erinnerungen ein. Der Film, wie auch der Roman, erlaubt sich dabei kein Urteil, sondern überlässt dies dem Publikum. Mit dem Produzenten Jerome Hellman (1928-2021) fand er den richtigen Partner. Dieser erhielt für „Asphalt Cowboy“ ebenfalls seinen einzigen Oscar. Danach machte er sich noch mit Filmen wie „Der Tag der Heuschrecke“ (1975) und „Coming Home – Sie kehren heim“ (1978) einen Namen. Die Adaption des Romans übernahm Schlesinger nicht selbst, sondern der Drehbuchautor Waldo Salt, der hierfür eine Nominierung bedacht wurde und erst später einen Oscar für „Coming Home – Sie kehren heim“ (1978) erhielt.
Der Film wurde an Originalschauplätzen in Texas, Florida und New York gedreht. Die Szenen der Großstadt, vor allem die Slums, besitzen dabei beinahe dokumentarischen Charakter. Ungeschönt fängt Schlesinger das New York von 1969 ein. Es ist dreckig, die Menschen sind gewalttätig und die Stadt lässt viele Träume Hinzugezogener platzen. Prostitution und Drogenkonsum gehören hier zum Alltag ebenso dazu. Diese Stadt steht im starken Kontrast zu der Hauptfigur und macht deren Kampf für ein besseres Leben noch deutlicher. So besticht der Film mit einer sehr authentischen Kameraarbeit und wird durch den gelungenen Schnitt, dessen Editor Hugh A. Robertson (1932-1988) hierfür auch für den Oscar nominiert war, perfekt zusammengefügt. Zusammen mit der Musik, die vor allem den Song „Everybody’s Talking“ von Harry Nilsson (1941-1994) konsequent einsetzt und ihn so zum Evergreen machte, wird die Tragik der Geschichte vollends entfaltet. Während das Lied am Anfang noch für die Naivität und Unbeschwertheit des Charakters steht, wird es über den Verlauf des Films immer düsterer und enervierender.
„Asphalt Cowboy“ ist durch und durch Schauspielerkino. Das Miteinander der beiden Hauptfiguren ist das Herz des Films und dementsprechend wichtig war die Besetzung der beiden Rollen. Der 1937 geborene Dustin Hoffman spielt hier den linkischen Rizzo, der doch das Herz am rechten Fleck hat. Für seine Darstellung war er als Bester Hauptdarsteller nominiert. Die Trophäe erhielt er aber erst für „Kramer gegen Kramer“ (1979) auf der 52. Oscarverleihung. Neun Jahre danach wurde er nochmal mit einem Oscar ausgezeichnet für seine Performance in „Rain Man“ (1988). Auch ein Jahr vor „Asphalt Cowboy“ war er bereits für seine Darstellung in „The Graduate“ (1968) nominiert, dementsprechend war Hoffman, als er die Rolle übernahm, kein unbeschriebenes Blatt mehr. Obwohl er als erste Wahl galt, war es auch für ihn das Beste, eine komplett anders gelagerte Rolle anzunehmen, um sogleich ein Image abzuwehren, was nach „Der Reifeprüfung“ hätte entstehen können. Für seine Vorsprechen für diese Rolle traf er sich auf den Straßen Manhattans mit der Crew und wurde, da er sich als Bettler verkleidet hatte, erstmal nicht erkannt. Er passte sich perfekt dem authentischen Setting des Films an. Um das stimmig umzusetzen, legte er sich nicht nur kleine Steinchen in die Schuhe, sondern hustete sich auch die Seele aus dem Leib. So existiert auch eine Anekdote, dass die eine Wutausbruchszene aus dem Film, bei der ein Taxifahrer Rizzo beinahe anfährt, ein realer Wutausbruch war. Im Vorfeld wurde ihm von dieser Rolle abgeraten, da er mit ihr seine Karriere zerstören würde, aber es formte ihn zu einem Charakterdarsteller und brachte ihm so vermutlich viel mehr interessante Rollen ein, als er wenn sich auf einen Typus festgelegt hätte.
An seiner Seite spielt der zur damaligen Zeit unbekannte Jon Voight. Der 1938 geborene amerikanische Schauspieler wurde für seine Rolle des naiven Möchtegern-Cowboys mit einer Oscarnominierung als Bester Hauptdarsteller bedacht. Den Preis sollte er aber schlussendlich erst zehn Jahre später für den Film „Coming Home – Sie kehren heim“ (1978) erhalten. Schlesinger wollte unbedingt, obwohl u.a. Warren Beatty Interesse an der Rolle hat, einen Schauspieler besetzen, der noch ein unbeschriebenes Blatt war. Der damals 30-jährige Broadway-Darsteller übernahm die Rolle und überzeugte als unbedarfter Wannabe-Callboy. Er schafft es, der Rolle, trotz so vieler falscher Abzweigungen in seinem Leben, Stolz zu verleihen und das Publikum mit seiner Geschichte mitfühlen zu lassen. Aber auch das Zusammenspiel mit Hoffman ist großartig. Diese eigenartige Freundschaft sieht man in dieser Art selten auf der Leinwand, so dass das Ende in all seiner Dramatik aufgeht und das Publikum berührt zurück lässt. Für Voight war die Rolle der Durchbruch als Filmschauspieler und man sah ihn danach in Filmen wie „Runaway Train“ (1985) und „Ali“ (2001).
Dass die Hauptdarsteller für diesen Film mit Nominierungen bedacht wurden, verwundert nicht. Aber dass die Schauspielerin Sylvia Miles (1924-2019) für ihre gerade mal sechs Minuten lange Szene mit einer Nominierung als Beste Nebendarstellerin bedacht wurde, erscheint merkwürdig. Ihre Performance hinterließ keinen bleibenden Eindruck und kann auch mit dem Spiel der beiden Hauptdarsteller nicht mithalten.
Der Film feierte am 25. Mai 1969 seine Premiere in New York und wurde damals sofort mit dem X-Rating, als jugendgefährend, eingestuft. Der Film war trotz dessen ein finanzieller Erfolg und konnte 20 Millionen Dollar an den Kinokassen einnehmen. Neben den drei Oscargewinnen konnte Jon Voight bei den Golden Globe den Preis als vielversprechendster Nachwuchsdarsteller gewinnen. Auch auf der 19. Berlinale 1969 wurde er mit einer Nominierung für den Goldenen Bären bedacht, Trotzdem hat man diesen Film heutzutage nicht auf dem Schirm, wenn man an die Oscargewinner des ‚Besten Films‘ denkt. Das hat das Drama wahrlich nicht verdient, denn trotz seiner 60er-Jahre-Ästhetik ist der Film weiterhin zeitgemäß und berührt mit der Geschichte über zwei nur sich selbst habende Antihelden auch noch 54 Jahre nach seiner Veröffentlichung.
Fazit: „Asphalt-Cowboy“ ist ein Drama von John Schlesinger, das auf der 42. Oscarverleihung 1970 mit drei Oscars, darunter dem Oscar für den ‚Besten Film‘, ausgezeichnet wurde. Das beinahe dokumentarisch inszenierte Drama erzählt die Geschichte von zwei gesellschaftlichen Außenseiter, die in ihrer störrischen Freundschaft gegenseitig Halt finden. Die Adaption des Romans von James Leo Herlihy ist dabei ungeschönt, geht nahe und besticht mit dem grandiosen Spiel der beiden Hauptdarsteller Hoffman und Voight.
Bewertung: 7,5/10
Trailer zum Film „Asphalt-Cowboy“:
geschrieben von Doreen Kaltenecker
Quellen:
- Wikipedia-Artikel über die Oscarverleihung 1970
- Wikipedia-Artikel über den Film „Asphalt-Cowboy“
- IMDb-Trivia zum Film „Asphalt-Cowboy“
- Wikipedia-Artikel über die Schauspielerin Sylvia Miles
- Wikipedia-Artikel über den Cutter Hugh A. Robertson
- Wikipedia-Artikel über den Produzenten Jerome Hellman
- Wikipedia-Artikel über den Regisseur John Schlesinger
- Wikipedia-Artikel über die Filmrichtung New Hollywood
- Kubiak, Hans-Jürgen: Die Oscarfilme, Schüren-Verlag GmbH, Marburg, 2007.
- Schneider, Steven Jay: 1001 Filme, die sie sehen sollten, bevor das Leben vorbei ist, Edition Olms AG, Zürich, 2013.
- Koebner, Thomas: Filmklassiker, Band 3, 1963-1977, Philipp Reclam junior, Stuttgart, 2006.
- Müller, Jürgen: Filme der 60er, Taschen, Köln, 2018.
- Jeff Lenburg, Dustin Hoffman: Seine Filme, sein Leben, Heine Bücher, München, 1988.