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1946 / 18. Oscarverleihung / 7 Nominierungen / 4 Auszeichnungen
Don Birnham (Ray Milland) lebt ein Leben unter stetigen Alkoholkonsum. Eine Schreibblockade brachte ihm zum Trinken und er ist überzeugt davon, dass er auch nur unter dessen Einfluss wirklich schreiben kann. Sein Bruder Wick (Phillip Terry) und seine Freundin Helen (Jane Wyman) sind die einzigen beiden, die ihn immer wieder vom Alkohol weg bringen. Aber leider schaffen sie das nie dauerhaft. So auch an diesem Wochenende, an dem eine Ausfahrt aufs Land geplant ist, verpasst Don den Zug und verbringt lieber die Zeit in seiner Stammbar. Er schreckt auch immer weniger davor zurück, sich das nötige Geld für den nächsten Drink auf irgendeine Art zu besorgen und stößt damit die einzigen Menschen, die noch zu ihm halten, von sich.
Das in schwarz-weiß gedrehte Alkoholikerdrama ist der erste Film, der diese Sucht als Krankheit mit all den Schattenseiten zeigt. Bisher gab es nur die amüsanten ‘Comic Drunks’, die als Gag von Zeit zu Zeit durchs Bild wankten. Die Grundlage für den Film war der in vielen Teilen autobiographische Roman „5 Tage“ (OT: „The Lost Weekend“, 1944) des Schriftstellers Charles R. Jackson (1903-1968). Der Roman war 1944 ein absoluter Verkaufsschlager. Der Regisseur Billy Wilder laß ihn auf der Zugfahrt von Chicago nach Los Angeles und entschied sich am Ende der Reise dieses Buch zu verfilmen. Das Drehbuch hat Wilder zusammen mit Charles Brackett adaptiert. Zwar mussten sie im Gegensatz zur Vorlage noch ein paar Veränderungen einbauen, da in Hollywood der Haye-Code diverse Elemente des Romans, u.a. die homosexuelle Affäre und das fehlende Happy End, im Film nicht gestattete. Doch Wilder und Brackett holten so viel aus dem Stoff raus und packten so wenig wie möglich Hollywood herein, dass sich der Film trotz des unpassenden Happy Ends als realitätsnahes Drama behaupten konnte. Dafür gewannen die beiden auch den Oscar für das ‚Beste adaptiertes Drehbuch‘.
Der Film ist nicht wie andere Filme dieser Zeit ein reines Studio-Produkt, sondern die Außenaufnahmen entstanden in New York selbst. Billy Wilder und sein Kameramann John F. Seitz (1892-1972), der dafür auch mit einer Oscarnominierung bedacht wurde, fingen die Großstadt nicht wie üblich ein, sondern zeigten sie aus der Sicht eines Alkoholikers. Das bestimmte den Look, der grell, trocken und abstoßend wirkt. Eine Szene, in der der Hauptdarsteller auf die Kamera zuläuft und die Neonlichter im Hintergrund an ihm vorbeiziehen, gelangte zur Berühmtheit und wurde unzählige Male in der Filmgeschichte kopiert. Mit einem Trick schaffte es Wilder auch, die Bilder authentisch einzufangen. Er versteckte die Kameras in Koffern, so dass er ungestört filmen konnte. Für die Innenaufnahmen, bis auf das Krankenhaus, wofür sie im Bellevue Hospital Center in Manhattan auf der Suchtstation filmten, griffen sie auf Studioaufnahmen zurück. Doch dafür ließ Wylder die Third Avenue Bar „P. J. Clarke’s“ maßstabsgetreu nachbauen. Neben Doane Harrison, welche für den ‚Besten Schnitt‘ nominiert war, gab es noch eine weitere verdiente Oscar-Nominierung für den Komponisten Miklós Rózsa. Er setzte zum ersten Mal in der Filmgeschichte das Instrument Theremin ein, welches später vor allem den Klang von Science-Fiction-Filmen der 50er Jahre bestimmte. Er schaffte es mit den etwas schrägen Instrument wunderbar, die Albtraum-Sequenzen zu untermauern. Im Gesamten besitzt der Film einen starken authentischen Look, was für diese Zeit außergewöhnlich war (man erinnere sich an „Casablanca“ (1942)), aber notwendig für diese Geschichte war.
Billy Wilder (1906-2002), der durch Filme wie „Boulevard der Dämmerung“ (1950), „Manche mögen’s heiß“ (1959) und “Das Apartment” (1960) heute zu den großen Regisseuren gehört, sagte über „Das verlorene Wochenende“, dass er ab diesem Zeitpunkt im Filmgeschäft ernst genommen wurde. Er wählte für seine Inszenierung keine distanzierte oder mitleidige Perspektive, sondern zieht den Betrachter selbst mit hinein in den Abwärtsstrudel. Dieser kompromisslosen Inszenierung seines vierten Films als Regisseur, nachdem er 13 Jahre als Drehbuchschreiber gearbeitet hatte, verdankt er auch den Oscar für die ‚Beste Regie‘. Sein zweiter Oscar bei dieser Verleihung. Charles Brackett, mit dem er das Drehbuch geschrieben hatte und mit dem er noch einige Male in der Zukunft zusammenarbeitete, erhielt ebenfalls zwei Oscars für das ‚Beste adaptierte Drehbuch‘ und als Produzent des Films.
Der britische Schauspieler Ray Milland (1907-1986) spielt in diesem Drama die Hauptrolle. Er begann seine Karriere noch in Großbritannien, ging aber bereits 1930 nach Hollywood, wo er von MGM unter Vertrag genommen wurde. Aber erst mit dem Wechsel zu Paramount spielte er größere Rollen, wurde bald die Standardbesetzung für romantische Komödien an der Seite von Claudette Colbert („Es geschah einer Nacht“-Darstellerin) und hatte mit „Das Mädchen, das den Lord nicht wollte“ (1935) seinen Durchbruch.Im Laufe seiner Karriere sah man ihn dann aber noch in vielen anderen Genres wie Abenteuerfilm („Drei Fremdenlegionäre“ (1939)), Agententhriller („Ministerium der Angst“ (1944)) und Hitchcocks Thriller „Bei Anruf Mord“ (1954). Er spielte zusätzlich in einer Vielzahl von Horror- und Science-Fiction-Filmen mit und inszenierte selber fünf Filme. In den 50er Jahren hatte er auch im Fernsehen seine eigene Show. All dieser Erfolg bedingte sich auch durch seine Rolle in „Das verlorene Wochenende“, die ihm den einzigen Oscar in seinem Leben einbrachte, den er ohne eigene Worte entgegennahm. Er spielt darin den Alkoholiker bestürzend echt. Er schafft es, den Charme der Figur genauso herauszuarbeiten, wie seinen Absturz hervorragend einzufangen. Dabei ist einem die Figur nicht unbedingt unsympathisch, aber Mitleid empfindet man ebenfalls nicht. Milland zeigt mit seiner Performance, dass jeder seines Glückes eigener Schmied ist. Seine Leistung ist noch erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Paramount ihn nur vorgeschlagen hatte, damit der Film einen Publikumsliebling hat und Wilder eigentlich José Ferrer für die Rolle wollte. Milland fühlte sich anfänglich in dieser Rolle auch nicht wohl und hatte Angst, dass es das Ende seiner Karriere bedeutete. Doch dann kniete er sich so sehr rein (u.a. verbrachte er eine Nacht in einer Entzugsklinik), dass er der Rolle die nötige Ehrlichkeit zukommen lassen konnte und schuf mit seiner Darstellung einen authentischen Alkoholiker, wie ihn die Menschen bis dahin nicht auf Leinwänden zu sehen bekommen hatten.
Noch bevor der Film fertig gestellt wurde, soll es zwei Bewegungen gegeben haben, die den Film verhindern wollten. Zum einen, berichtet Wilder selbst, soll die Alkoholindustrie fünf Millionen Dollar angeboten haben, um das Erscheinen zu verhindern, zum anderen soll die Abstinenzbewegung mit dem gleichen Anliegen auf Paramount zugekommen sein, um die Zuschauer nicht in Versuchung zu bringen. Auch die erste Probeaufführung misslang. Die Zuschauer hielten es durchweg für eine Komödie und lachten die ganze Zeit über. Auch die Vorabkritiken sprachen nur von bedingter Unterhaltsamkeit und so wurde der Kinostart erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben. Als Billy Wilder dann 1945 für fünf Monate in Europa unterwegs war, um die Film- und Theaterwelt zu entnazifizieren, machte sich der Studioboss Barney Balaban für den Film stark und so fand am 16. November 1945 die Premiere in New York ohne Wilder selbst statt und wurde erstaunlich gut angenommen. Der Film spielte 11 Millionen US-Dollar ein, was eine erstaunliche Summe bei einem Budget von 1,25 Millionen darstellt, und wurde kommerziell wie künstlerisch erfolgreich. Das wurde auch durch die vielen Auszeichnungen bekräftigt. Neben vier Oscars konnte er auch drei Golden Globes (‚Bester Film (Drama)‘, ‚Bester Schauspieler‘ und ‚Bester Regisseur‘) gewinnen und wurde zwei Mal auf den Internationalen Filmfestspielen in Cannes ausgezeichnet. Bis heute ist es der einzige Film, der den Oscar für den ‚Besten Film‘ und gleichzeitig den ‚Grand Prix‘ in Cannes erhielt, wobei dieser Preis 1955 in die Goldene Palme umbenannt wurde. Der Film gilt bis heute als einer der wichtigsten Beiträge zum Thema Sucht, hat sich stilbildend auf das Genre ausgewirkt und wird so stets einen fest Platz in der Filmgeschichte haben.
Fazit: Auf der 18. Oscarverleihung ging der Oscar für den ‚Besten Film‘ an den amerikanischen Spielfilm „Das verlorene Wochenende“. Nach einem autobiographischen Roman entstand ein Film, der dem Alkoholismus in seiner wahren Form zum ersten Mal ein Gesicht gab. Mit authentischen Bildern, Live Locations und einer intensiven Vorbereitung des Schauspielers Ray Milland ist dem Regisseur Billy Wilder ein eindringliches Portrait und packendes Drama gelungen, das eine Krankheit authentisch einfängt und trotzdem eine klassische Hollywood-Geschichte erzählt. Die vier gewonnenen Oscars für den ‚Besten Film‘, ‚Bester Hauptdarsteller‘, ‚Bestes adaptiertes Drehbuch‘ und ‚Beste Regie‘ hat sich dieser Film wahrlich verdient, der auf jeden Fall im Gedächtnis (auch als Meilenstein der Filmgeschichte) bleiben wird.
Bewertung: 7,5/10
Trailer zum Film „Das verlorene Wochenende“
geschrieben von Doreen Matthei
Quellen:
- Wikipedia-Artikel über den Film „Das verlorene Wochenende“
- Bosley Crowther, ‚‘The Lost Week-End,’ in Which Ray Milland Presents a Study in Dipsomania, Makes Its Appearance of the Rivoli‘, New York Times, 3. Dezember 1945
- Wikipedia-Artikel über den Regisseur Billy Wilder
- Wikipedia-Artikel über den Schauspieler Ray Milland
- Wikipedia-Artikel über den Drehbuchautor Charles Brackett
- ‚The Lost Weekend‘, Variety, 15. August 1945
- Trivia des Films „Das verlorene Wochenende“ bei ImDB
- Eintrag des Films „Das verlorene Wochenende“ im Portal „der film Noir“
- Erik Pfeiffner, ‚Das verlorene Wochenende‘, filmzentrale.com,
- Wikipedia-Artikel über die Oscarverleihung 1946
- Crowe, Cameron: Hat es Spass gemacht, Mr. Wilder?, Diana-Verlag, München/Zürich, 2000.
- Karasek, Hellmuth: Billy Wilder : eine Nahaufnahme, Hoffmann und Campe, Hamburg, 1992.
- Kubiak, Hans-Jürgen: Die Oscarfilme, Schüren-Verlag GmbH, Marburg, 2007.
- Koebner, Thomas: Filmregisseure, Philipp Reclam jun., Stuttgart, 2002.
- Schneider, Steven Jay: 1001 Filme die sie sehen sollten bevor das Leben vorbei ist, Edition Olms AG, Zürich, 2013.
- Reclam Filmführer
- Heinzlmeier, Adolf: Lexikon Filme im Fernsehen: 8500 Spielfilme TV – Video – Kabel, Rasch und Röhring, Hamburg, 1990.
Diese Rezension ist als Teil der Oscar-Reihe der Testkammer erschienen.
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